Vorbemerkung: Meine Beziehung zu Richard Wurmbrand begann im Haus meiner Eltern Bernd und Ingeborg Schirrmacher und mit dem Lesen seiner Bücher jeweils nach Erscheinen – von „Gefoltert für Christus“, 1967 – ich bin Jahrgang 1960 – bis hin zu „Karl Marx und Satan“, 1986, mit dem ich mich im Zusammenhang mit meinen eigenen Veröffentlichungen zu Marx und zum Kommunismus auseinandersetzte (siehe dazu „Der junge Marx: Karl Marx bevor er Philosoph wurde“. Factum 6/1989: 264–272, wieder abgedruckt in: Thomas Schirrmacher. Marxismus – Opium für das Volk? 3. korr. Aufl. VKW: Bonn, 2022 – 1. Aufl. 1990).
Zudem erlebte ich Wurmbrand im Studium bei einer Gastvorlesung an meiner Alma mater, der heutigen STH Basel. Zusammen mit „Brother Andrew“ beeinflusste Wurmbrand meine Theologie des Martyriums zutiefst, wie mein Buch „Christenverfolgung geht uns alle an“ beweist. Am 29.6.2009 hielt ich in Leinfelden beim Jahresfest der Hilfsaktion Märtyrerkirche, die Wurmbrand gründete, meinen ersten Vortrag über Wurmbrand und bekam aufgrund der idea-Berichterstattung viele Rückmeldungen, die mir den Anstoß gaben, bis heute die Forschung zu Wurmbrand im Blick zu behalten.
Richard Wurmbrand wurde 1909 in Bukarest als viertes Kind und vierter Sohn eines armen, rumänischen, jüdischen Zahnarztes geboren, 1911–1921 lebte die Familie in Istanbul, wo sein Vater starb, als Richard 9 Jahre alt war. Er wuchs in großer Armut auf, lernte aber schnell verschiedene Sprachen von der Straße. Seine Bildung erhielt er vorwiegend durch das Lesen der vielen Bücher seines Vaters. Als Jugendlicher zunächst Buchhalter wurde er kommunistischer Agitator, wozu er zwei Jahre 1927–1928 in Moskau studierte. Anschließend gab er in Rumänien die Zeitschrift der kommunistischen Partei heraus und nahm andere Leitungsaufgaben wahr, die ihn wiederholt ins Gefängnis brachten. In der Zeit verstand er sich rückblickend als glühender Kommunist und Atheist.
1936 heiratete er die Jüdin Sabina Oster aus Czernowitz, einem jüdischen Siedlungsschwerpunkt, damals Teil von Rumänien, heute der Ukraine. Sabina brach dafür ihr Chemiestudium in Paris ab. 1941 wurde ihr einziges leibliches Kind Michael geboren.
Um seine Tuberkulose zu kurieren, zog er 1937 in das Bergdorf Noua, wo er mit seiner Frau durch die Freundschaft zum deutschstämmigen lutherischen Schreiner Christian Wölfkes zum evangelisch-lutherischen Glauben konvertierte und 1938 von norwegischen Judenchristen getauft wurde und bereits ein Jahr später anglikanisch ordiniert wurde. Seiner Arbeit unter Juden und Judenchristen setzte Wurmbrand 1980 mit dem Buch „Christus auf der Judengasse“ ein Denkmal.
Ab 1940 kooperierte Rumänien mit Hitlers Deutschland, 1941 kam Rumänien unter deutsche Kontrolle, im selben Jahr wurden fast alle Juden in Rumänien umgebracht, einschließlich der gesamten Verwandtschaft Sabinas. 1940 mussten alle Briten und Anglikaner Rumänien verlassen, Richards Ordination ging nun von den Anglikanern zu den Lutheranern über. Bis zum Ende der deutschen Herrschaft 1944 verhalfen die Wurmbrands Judenchristen und Juden zur Flucht, vor allem Kindern.
1944 wurde Rumänien von der sowjetischen Armee besetzt und Wurmbrand wirkte bis 1948 in relativer Freiheit. 1945–1947 ließ Wurmbrand Hunderttausende Evangelien drucken und unter Angehörigen der Roten Armee verteilen und gründete russischsprachige Untergrundgemeinden. Zugleich wurde er erfolgreicher Buchautor und Prediger und Dozent am baptistischen Seminar in Bukarest. Wurmbrand gewann internationale Organisationen dafür, Lebensmittel in Rumänien zu verteilen, und repräsentierte dafür kurze Zeit das Internationale Rote Kreuz und den Ökumenischen Rat der Kirchen und andere kirchliche Organisationen Europas. Er stellte die Unterbringung und Versorgung von 100 Überlebenden des KZ Auschwitz sicher.
Die Wurmbrands wirkten an dem mit, was man im Westen bereits „Untergrundkirche“ nannte; Wurmbrand zog lebenslang die Ausdrücke „verfolgte Kirche“ oder „Märtyrerkirche“ vor. Von der Regierung 1945 zu einem Kongress eingeladen, bei dem sich kirchliche Führer zur kommunistischen Regierung bekannten, sprach sich Wurmbrand vor 4.000 Zuhörern und landesweit vom Radio übertragen dafür aus, dass Christen immer Christus und seine Botschaft an erste Stelle setzen müssten. Überraschend erhielt er tosenden Applaus der bis dahin ‚braven‘ Teilnehmer.
1948 wurde Wurmbrand entführt und eingesperrt, seiner Frau und der Öffentlichkeit wurde erklärt, er sei gestorben. Er wurde zunächst achteinhalb Jahre inhaftiert, später noch einmal fünfeinhalb Jahre. Ein geplanter Schauprozess fand nie statt, da Wurmbrand nicht gebrochen werden konnte. Neben ständiger Folter, Gehirnwäsche und Drogen war die schrecklichste Zeit eine dreijährige Einzelhaft zwölf Meter unter der Erde ohne Licht und Geräusche. In ihr erarbeitete Wurmbrand Hunderte von Predigten und predigte sie laut, von denen er 350 später aus dem Gedächtnis niederschrieb und 1969 teilweise veröffentlichte. Seine Ehefrau Sabina wurde 1950 für drei Jahre in ein Arbeitslager gebracht.
Viele Mitgefangene sagten sich unter Drogen und Folter vom christlichen Glauben los. Weil dies bei Wurmbrand nicht griff, bot der Geheimdienst die Freilassung und das Amt des lutherischen Bischofs an, wenn er sich entschiede, für sie zu arbeiten.
1956–1959 setzte er in der kurzen Tauwetterphase nach Stalins Tod das öffentliche Evangelisieren fort, traf sich mit dem Patriarchen der Rumänisch-Orthodoxen Kirche zur Fürsprache für die innerorthodoxe „Army of the Lord“ und erhielt die Erlaubnis, in den orthodoxen Kathedralen von Sibiu und Cluj zu predigen. Doch 1959 wurde er für weitere fünfeinhalb Jahre inhaftiert. Seine Frau führte seine Arbeit fort. Zwei Jahre verbrachte er in einem „dying room“ für sterbende Häftlinge. Sein Sohn Michael wurde jede Art der höheren Bildung ebenso wie die Ausreise verweigert. Das Ende der Gefangenschaft nahte vermutlich deswegen, weil Wurmbrand mehrere hochrangige Geheimdienstoffiziere zum christlichen Glauben geführt hatte, so dass man eine weitere Ausbreitung des christlichen Glaubens im Gefängnis verhindern wollte.
1964 konnte das Ehepaar mit ihrem Sohn von Judenchristen in Norwegen und England für 10.000 US-Dollar freigekauft werden, 1965 erreichten sie Oslo. 1966 wurde Wurmbrand weltweit bekannt, als er vor einem Ausschuss des US-Senats („Unterausschuss des Komitees für nichtamerikanische Betätigungen“) und anschließend vor dem gesamten US-Kongress in Anwesenheit der Weltpresse aussagte und vor den Fernsehkameras sein Hemd auszog und die Spuren der schweren Folterungen zeigte. Der Ausschuss ließ alle Aussagen von Experten und Behörden überprüfen und befand sie für glaubwürdig. Die Ergebnisse wurden in dem Buch „Blut und Tränen“ 1970 veröffentlicht.
1967 veröffentlichte Wurmbrand seinen Bestseller „Gefoltert für Christus“, in dem er die unterschiedlichsten und schlimmsten Folterarten beschrieb, die er erlebt hatte. Das Buch wurde in 80 Sprachen übersetzt. Außerdem gründete er das Werk „Jesus für die kommunistische Welt“, das später in „Stimme der Märtyrer“ (so auch der Name der deutschen Zeitschrift der „Hilfsaktion Märtyrerkirche“) umbenannt wurde. 17 weitere Bücher in englischer Sprache folgten wie „In Gottes Untergrund“ (1968) und „Antwort auf Moskaus Bibel“ (1975). Die Zahl seiner vielen rumänischen Bücher ist nicht bekannt. Seine Bestseller sind alle bis heute in vielen Sprachen lieferbar.
Weltweit wies er rastlos auf das Schicksal verfolgter Christen in kommunistischen Staaten hin, das seit etwa 1960 zunehmend in der Weltöffentlichkeit bekannt wurde. Seine Botschaft war, das kommunistische System zu hassen und zu bekämpfen, aber die Kommunisten zu lieben. Er verwendete viele Schriften darauf, detailliert aus den Originalquellen zu belegen, dass der Kommunismus zwar anti-theistisch, aber dennoch eine vollwertige politische Religion sei.
In seinem Buch „Karl Marx und Satan“ stellte Wurmbrand die These auf, dass Marx in seiner Jugend vom Satanismus beeinflusst wurde und sich später zum Satanismus bekehrt habe. Die Forschung hat diese Bekehrung jedoch so nicht bestätigen können, durchaus aber die Affinität von Marx zu frühen ausgesprochen „anti-christlichen“ Kreisen.
Rumänien und andere kommunistische Staaten begannen eine weltweite Medienkampagne gegen Wurmbrand, er sei einfach nur als Krimineller im Gefängnis gewesen und ein notorischer Lügner. Als Ergebnis hielten auch viele Kirchenführer seine Berichte für antikommunistische und fundamentalistische Propaganda. 1969 warnten die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen der EKD und der Ökumenische Rat der Kirchen alle Kirchen davor, Wurmbrand einzuladen. Der Generalsekretär des ÖRK, Konrad Raiser, entschuldigte sich 1991 nach dem Ende der Sowjetunion persönlich und öffentlich für den Kampf gegen Wurmbrand und die völlige Fehleinschätzung der Lage der verfolgten Christen.
Aus Sicht der historischen Forschung wurden alle seine Berichte bestätigt, wobei die Lage in Wirklichkeit viel schlimmer war, da Wurmbrand natürlich nicht die tatsächlichen Ausmaße der Christenverfolgung in den kommunistischen Ländern kannte.
1990 konnte das Ehepaar Wurmbrand erstmals nach Rumänien zurückkehren und gründete dort einen Verlag. Ansonsten reisten sie rastlos um die Welt. Mehr und mehr wurde nun China zum Thema, auch wenn Wurmbrand schon früh auf die Methode der Gehirnwäsche in China hingewiesen hatte. Nach 1989 weitete das weltweite Netzwerk „Voice of the Martyrs“ („Hilfsaktion Märtyrerkirche“) seine Tätigkeit auf die verfolgte Kirche in der islamischen Welt aus. 1995 zog sich Wurmbrand aus der Öffentlichkeit nach Torrance in Kalifornien zurück, 2000 starb seine Frau Sabina, 2001 er selbst im Alter von 92 Jahren.
Hauptwerke in deutscher Übersetzung (alle HMK, Uhldingen)
- Gefoltert für Christus (1967)
- In Gottes Untergrund (1968)
- Blut und Tränen (1970)
- Antwort auf Moskaus Bibel (1975)
- Christus auf der Judengasse (1980)
- Karl Marx und Satan (1986)
Bücher über Wurmbrand in deutscher Sprache
- Hans Martin Brown. Richard Wurmbrand: Chronik (ab 1964). Stephanus Edition: Uhldingen (2001)
- Hilfsaktion Märtyrerkirche (Hrsg.): Ungebrochen – die Kraft der Hoffnung: Die Geschichte von Richard und Sabina Wurmbrand. Gießen (2019)
- Michael Hausin. „Richard Wurmbrand“. Sp. 1585-1590 in Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon. Bd. 23. Nordhausen (2023)
- Mihai-Francisc Nemeti, The Political Theology of Richard Wurmbrand. Diss. Freie Universität Amsterdam (2023)