Emotionaler Fehler Nr. 1: „Wie bei Konvertiten häufig“?
Der ARD-Terrorismusexperte Holger Schmidt hat in der Deutschen Welle (DW) pauschal nicht nur Konvertiten zum Islam, sondern Konvertiten von einer Religion oder Weltanschauung zu anderen überhaupt als Radikale verunglimpft. „Das sind die 150-Prozentigen“ wird er zitiert, weil sie „häufig“ radikaler würden als die in eine Religion hineingeborenen Anhänger einer Religion. Damit bedient er einen weit verbreiteten Generalverdacht, der aber statistisch nicht zu erhärten ist.
Die Deutsche Welle berichtet jedenfalls (Biggi Hoffmann. „Das sind die 150-Prozentigen“. SWR-online. 27.5.2015):
„Konvertiten handeln häufig extrem: Sich bewusst für eine Religion zu entscheiden, spiele eine große Rolle, sagt Schmidt. Derjenige setze sich ganz anders damit auseinander, als jemand, der mit einer Religion aufwächst: ‚Man entscheidet sich sehr viel reflektierter und wenn man eine sehr radikale Ausprägung einer Religion kennenlernt, wie es der Islamismus ist, dann besteht die Gefahr, dass man 150-prozentig wird.‘ Viele der ganz entschlossenen islamistischen Kämpfer sind nach Angaben des Experten Konvertiten, ‚die in einer Art Überreaktion extrem, ich möchte fast sagen angefixt von dem sind, was sie da als radikale Religion lernen.‘ Dieser Effekt sei ganz besonders gefährlich. Selbst aus der Szene islamistischer Terroristen gebe es beinahe abfällige oder verwunderte Äußerungen über Konvertiten nach dem Motto ‚das sind die 150-Prozentigen‘.“
Konvertiten sollte man nicht pauschal verurteilen. Ja, Leute die extrem handeln, sind manchmal Konvertiten. Aber der Umkehrschluss wird durch keine Untersuchung bestätigt, nämlich dass 1. Extremisten immer Konvertiten sind (dafür gibt es gerade bei IS wirklich zuviele Gegenbeispiele) und 2. Konvertiten automatisch oder überdurchschnittlich häufig extrem werden. Darf man wirklich Hunderttausende Konvertiten jährlich weltweit verunglimpfen, weil ein paar von ihnen Terroristen werden?
Wir kennen aber in der Regel in der Öffentlichkeit, in den Medien, ja selbst im Alltag nur Extremisten, die konvertiert sind, die friedlichen und ‚normalen‘ Konvertiten dagegen kennen wir in der Regel nicht, denn sie sind nicht Thema der Medien, treten kaum öffentlich in Erscheinung und selbst wenn wir ihnen im Alltag begegnen, fallen sie uns nicht als Konvertiten auf.
Es gab und gibt einige Katholiken, die Protestanten wurden und umgekehrt, die ihre neue Konfession sehr aggressiv vertraten und vertreten. Wir haben aber jährlich über Zehntausend Übertritte zwischen der katholischen und den evangelischen Kirchen weit, ohne dass die Beteiligten irgendwie auffallen, auch die nicht unter ihnen, die den Schritt aus tiefer Überzeugung gehen.
Nicht jeder Deutsche, der Muslim wird, wird Islamist! Nicht jeder Atheist der Christ wird, wird Extremist. Nicht jeder der aus der Kirche austritt und vom christlichen Glauben zu einer nichtreligiösen Weltanschauung wechselt, wird Extremist.
Nicht jeder, der vom Juden zum Atheisten wird, wird ein Marx. Nicht jeder, der sich von seiner Klosterausbildung abwendet, wird ein Stalin.
Es gibt Millionen Konvertiten, die nicht extrem werden, extremistische Konvertiten sind eine kleine Minderheit der Konvertiten aus westlichen Ländern!
Übrigens noch eine Ergänzung: Schmidt meint, andere IS-Terroristen meinen, Konvertiten seien die 150-Prozentigen. Also Mörder können uns erläutern, ob andere noch mördersicher sind? Kann man den Terrorismus des IS denn noch wesentlich überbieten? Und außerdem gibt es öfter auch die umgekehrte Realität. IS-Terrotisten gefällt nicht, dass konvertierte westliche Mitkämpfer dann doch plötzlich Skrupel haben, wenn sie unbeteiligte Kinder und Frauen töten sollen! Hier sind die in der Religion hinein geborenen oft hemmungsloser als die Konvertiten.
Emotionaler Fehler Nr. 2: „Wie bei einer Sekte“?
Der von den Gebühren aller Deutscher bezahlte Terrorismusexperte spielt auch sonst eher mit Emotionen, die seine Zuschauer mögen und teilen, statt differenzierte Zusammenhänge zu erläutern. So sagt Schmidt der Deutschen Welle zufolge, es sei bei diesen Konvertiten „Wie bei einer Sekte“.
„Schmidt berichtet, dass es immer wieder Fälle gebe, in denen junge Leute ausreißen und sich auf den Weg zu den islamistischen Kämpfern machen. … Wenn sich jemand radikal verhalte, stelle sich die Frage, ob man die Person noch zur Umkehr bewegen kann. ‚Im Grunde ist es wie bei einer Sekte’, meint Schmidt.“
Wie ist es denn so pauschal bei einer „Sekte“? Dass ‚Sekte‘ eigentlich ein soziologischer Begriff für alle kleineren Abspaltungen großer Religionen und Weltanschauungen ist, lassen wir einmal ganz außen vor. Jedenfalls haben wir Hundertausende „Sekten“-Angehörige, die noch nie dadurch aufgefallen sind, dass sie von zu Hause ausbrechen, um andernorts Krieg zu führen.
Werden hier nicht emotionale Versatzstücke gegen kleine Gruppen an die Stelle ernsthafter und belegbarer Regelmäßigkeiten gestellt?
Dank der Globalisierung wird die Zahl der Religionswechsler weltweit in den nächsten Jahren weiter stark anwachsen. Zum einen, weil die Jugend – längst nicht mehr nur die westliche Jugend – für sich in Anspruch nimmt, sich selbst ihre Religion zu wählen, wie den Musikstil, die Mode oder den Beruf. Zum anderen, weil Dank der Reisemöglichkeiten und des Internets Menschen andere Religionen in einem Maße kennenlernen wie nie zuvor. Verhindern kann man das auf Dauer nicht, es sei denn mit Gewalt und enormem sozialen Druck.
Da ist es wichtig, dass dieser Prozess nicht mit emotionalen Versatzstücken behängt wird, nur weil einige wenige der Konvertiten zu Terroristen werden.
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