Vergleich von Länder untereinander; Länder im Querschnitt 2007–2014; grundsätzliche Einordnung von Ländern

Vorbemerkung

Das Pew Research Center’s Forum on Religion & Public Life veröffentlichte 2009 bis 2014 fünf globale Berichte zur Religionsfreiheit. Dazu gehören umfangreiche Rankings, deren Verlauf über den ganzen Zeitraum in vielfältigen Variationen verglichen wird.

Cover Plausibilitätsprüfung der PEW-Berichte zur ReligionsfreiheitZu allen Statistiken und wissenschaftlichen Ergebnissen gehört eine frühzeitige Plausibilitätsprüfung. Sie kann Schwächen von Untersuchungen aufdecken, ohne schon genau sagen zu können, woher die nicht plausiblen Ergebnisse stammen.

Die Zuordnung einzelner Länder erschien mir nicht sehr plausibel. Länder mit recht großzügiger Religionsfreiheit erhielten sehr schlechte Bewertungen, Länder mit schwerwiegenden Beschränkungen gute Werte, etwa wenn Deutschland für 2013 einen schlechteren SHI-Wert von 4,5 hat als Saudi Arabien mit 3,6. Zudem schwankten einige Länder innerhalb der sechs Jahre, die untersucht wurden, erheblich, in denen sich aus meiner Sicht keine nennenswerten Veränderungen der Lage abzeichnen. Dazu kommen erhebliche Unterschiede in der Einstufung von Ländern im Vergleich zu den Ergebnissen anderer Forscher.

Also begann ich, einige Länder im Zeitlauf anzuschauen und dann Länder innerhalb eines Jahres und im Zeitlauf miteinander zu vergleichen. Das Ergebnis findet sich beispielhaft unten und lässt erhebliche Zweifel an der Zuverlässigkeit der Ergebnisse aufkommen.

Berichte und Abkürzungen

  • PEW 2009 = Stand: Mitte 2007
  • PEW 2011 = Stand: Mitte 2009
  • PEW 2012 = Stand: Mitte 2010
  • PEW 2013 = Stand: Ende 2011
  • PEW 2014 = Stand Ende 2012
  • PEW 2015 = Stand Ende 2013
  • PEW 2016 = Stand Ende 2014

Alle Angaben unten beziehen sich durchgängig auf den Stand, nicht auf das Veröffentlichungsjahr des Berichts.

GRI = Government Restrictions [on Religion] Index (= Beschränkung der Religion staatlicherseits)

SHI = Social Hostilities Index (= Beschränkung der Religion durch gesellschaftliche Kräfte)

GRI: „Very high“ 6,6 ++ / „High“ 4,5 – 6,5 / „Moderate“ 2,4 – 4,4 / „Low“ 0,0 – 2,3

SHI: „Very high“ 7,2 ++ / „High“ 3,6 – 7,1 / „Moderate“ 1,5-3,5 / „Low“ 0,0 – 1,4

Deutschland

a) Deutschland in der Zeitschiene

Deutschland GRI: 2007: 3,1; 2008: 3,2; 2009: 3,5; 2010 4,0; 2011 3,5; 2013: 4,5; 2014 3,4: Gab es wirklich eine Verschlechterung der Beschränkung der Religionsfreiheit von Regierungsseite von moderat 2007 zu (knapp) hoch in 2013 und dann wieder zurück? Der Wert ist meines Erachtens an sich schon zu hoch, dass aber die rechtliche Beschränkung von Religionsfreiheit in 5 Jahren in Deutschland stark zugenommen hat, ist durch nichts zu belegen.

Deutschland SHI: 2007: 2,1; 2008: 2,5; 2009: 3,3; 2010: 5,3; 2011: 5,0; 2013: 4,3; 2014: 2,5: starke Schwankung, in der Realität eher unverändert, wobei die Zahlen für 2007/2009 und 2014 angemessen sind, die Zahlen für 2011 und 2013 aber viel zu hoch.

Der GRI müsste in Deutschland recht niedrig sein, der SHI viel höher, denn die rechtliche und politische Freiheit ist sehr hoch, aber es gibt Diskriminierung durch bestimme Bevölkerungsgruppen. 2007 war der SHI laut PEW aber viel niedriger als der GRI, 2013 immer noch ein bischen niedriger. Das stellt die Verhältnisse auf den Kopf.

b) Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern zum Jahr 2013

Deutschland: GRI 2013: 4,5:
demnach Lage wie in (+/-0,2) Libyen, Paläst. Autonomiegebiete, Äthiopien, VAE, Griechenland, Nepal;
Lage etwas besser als in Deutschland in: Nigeria, Liberia;
Lage viel besser als in Deutschland in: Südsudan, Serbien, Ungarn, Italien, Kambodscha;
das ist wirklich alles realitätsfern.

Deutschland und Europa (geografisch): GRI 2013: schlechter als Deutschland sind nur drei Länder Belarus, Bulgarien, Russland; besser sind z. B. Österreich, Bosnien-H., Georgien, Italien, Malta, Serbien, Griechenland, Ungarn. Demnach wäre Deutschland fast Schlusslicht in Sachen Beschränkung der Religionsfreiheit durch den Staat im geografischen Raum Europa, das wird der Realität nicht gerecht.

Weitere Länder

Bulgarien SHI: 2007: 2,2; 2009: 4,0; 2010: 2,2; 2011: 4,7; 2012: 4,4; 2013: 3,6; 2014: 2,8: ständiges Auf- und Ab-Pendeln, obwohl sich die Lage eigentlich nicht geändert hat.

Indonesien GRI: 2007: 6,2; 2012: 8,3; 2013: 8,5; 2014: 7,9: nimmt angeblich stark zu, in Wirklichkeit nimmt sie ab. Vergleiche dazu Iran GRI: 2007: 7,9; 2012: 8,6; 2013: 8,3; 2014: 7,7. Die Lage in Indonesien soll so schlimm oder etwas schlimmer wie im Iran sein? Das macht wirklich keinen Sinn.

Mexiko GRI: 2007=2008: 4,7; 2009: 4,2; 2010: 3,5; 2011: 3,6; 2012: 3,9; 2013 3,4; 2014: 4,5; SHI: 2007: 5,5; 2008: 4,7; 2009: 5,1; 2010: 3,6; 2011: 3,2; 2012: 6,7; 2013: 3,7; 2014: 4,2: War die Lage 2013 wirklich erheblich besser? Und war das Auf und Ab wirklich vor Ort zu spüren, ja ein Sprung seit 2012 innerhalb eines Jahres von 6,7 auf 3,7?
Siehe auch SHI: 2012 + 2007 sehr schlecht, 2010, 2011, 2013 viel besser; es gibt keinen Anhaltspunkt dafür.

Brasilien SHI: 2007: 0,8; 2013: 3,7; 2014: 3,5: kein Anhaltspunkt für eine derartige Verschlechterung von einem der besten Länder hin zu einer schlechten Situation, während der GRI die ganzen Jahre zu den besten gehört.

Irak SHI: 2007: 10,0; 2012: 9,0; 2013: 7,4; 2014: 8,5. Hat es tatsächlich eine derartige Verbesserung des SHI während 2013 gegeben? Ähnliches gilt für Syrien.

Saudi Arabien: SHI: 2011: 6,5; 2012: 6,4; 2013: 3,6; 2014: 3,6: Es gibt keinen Anhaltspunkt für eine derart starke Verbesserung des SHI, der damit mit Deutschland gleichzieht.

Ungarn GRI: 2007: 0,3; 2011: 1,0; 2012: 2,4; 2013: 2,9; 2014: 2,8: SRI: 2007: 1,0; 2011: 2,0; 2012: 2,7; 2013: 2,4; 2014: 2,2: erhebliche Verschlechterung der Lage wird nicht abgebildet, Ungarn bleibt angeblich wesentlich besser als Deutschland, religiöse Minderheiten sehen das genau anders herum.

Länder mit sehr, sehr niedrigem SHI 2013 unter 0,5, in denen tiefverwurzelter Hass auf andere ‚Rassen‘ und soziale Gruppen und starker Antagonismus der konfessionsverschiedenen sozialen Gruppen herrschen (Beispiele): Jamaika SHI 2013: 0,4; Kambodscha 0,4; Kuba 0,0; Kasachstan 1,0; Taiwan 0,0; Turkmenistan 0,4; Oman 0,1; Westsahara 0,0; Kongo 0,00.

Die 18 Berichte, die als Datenquelle dienen

Ein Grund für solche Ergebnisse könnte darin liegen, dass die Datenbasis der Berichte sehr dünn ist. Den Berichten liegt keine Forschung vor Ort zu Grunde, ebenso keine Ausarbeitung von Experten in den genannten Ländern oder für die genannten Länder. [Das ist ungewöhnlich, da PEW sonst umfangreiche Umfragen und Forschungen zur Religion usw. in vielen Ländern betreibt.] Die Ergebnisse stammen ausschließlich aus der Codierung anderer Berichte, untern denen wieder keiner durch Forschung vor Ort gewonnen wird. Zudem sind die 18 Berichte alle sehr stark voneinander abhängig.

Ich wähle hier den Bericht für 2013 als Grundlage. Der Bericht für 2014 enthält einen Bericht zur Religionsfreiheit weniger (2013: Nr. 6) und hat die Amnesty International-Berichte (2013: Nr. 11) durch die Global Terrorism Database (2014: Nr. 10) ersetzt, was die Datenbasis zur Religionsfreiheit direkt eher verschlechtert.

Nur 4 der 18 Berichte haben speziell mit Religionsfreiheit zu tun, alle anderen Berichte behandeln Diskriminierung usw. im allgemeinen Sinne oder andere Themen.

Es wird deutlich gesagt, dass die 2. Quelle die eigentliche Quelle ist, die anderen nur zusätzlich bei Unstimmigkeiten zu Rate gezogen werden (Jan 2014: S. 40). So hat Deutschland seine sehr negative Bewertung vor allem der sehr negativen Bewertung in Quelle 2 zu verdanken.

Alle Berichte, die Spannungen für den SHI enthalten, berichten über Spannungen aus rassistischen usw. Gründen, keiner sammelt speziell oder differenziert nach Diskriminierung durch die Mehrheitsbevölkerung wegen deren Religionszugehörigkeit. Deswegen sagt der SHI für Deutschland eher etwas über das Verhältnis der Deutschen zu Ausländern aus als etwas über das Verhältnis zu Anhängern anderer Religionen. Dieses Problem wird von PEW nirgends thematisiert.

Keiner der Berichte strebt von seiner Natur her Vollständigkeit an, es wird berichtet, was eingesandt oder durch die Medien in Erfahrung gebracht wird. Heißt das: Wird über ein Land viel Negatives berichtet, steigt das negative Ergebnis, wird wenig berichtet, sinkt das negative Ergebnis? Oder wie wird die Quantität und Qualität von Vorkommnissen in Relation zur Größe der Bevölkerung eines Landes gewertet?

Die Berichte berichten über recht unterschiedliche Zeiträume und oft nicht nur über Dinge in den letzten 12 Monaten, werden aber von PEW trotzdem einem festen Jahr zugeordnet.

Keiner der Berichte strebt irgendeine Art von Ranking an oder vergibt irgendeine Art von Punktesystem. Es ist also irreführend, dass PEW sich auf diese Berichte stützt, es werden einfach die in den Berichten genannten Ereignisse benutzt.

Viele der Berichte berichten nur über ausgewählte Länder, USCIFR z. B. über 0 oder 36 (Nr. 17 für 2012 = 0; Nr. 12 für 2012 = 29). Nur Nr. 2 berichtet über alle Länder. Für ein bestimmtes Land kann sich also die Zahl der Berichte von 18 aus halbieren. Es wird auch kein Verfahren genannt, wie verhindert wird, dass Länder, die in fast allen Berichten vorkommen, schlechter wegkommen als solche, die nur in wenigen Berichten erfasst sind.

Die Berichte sind teilweise stark voneinander abhängig und verweisen aufeinander als Quelle. Das macht sie für ein wissenschaftliches Ranking unbrauchbar. So zitiert der Bericht des US-Außenministeriums die meisten der verwendeten Berichte von Menschenrechtsorganistionen (z. B. AI, HRW), die sich wiederum auf den Bericht des Außenministeriums und überhaupt Berichte der US-Regierung berufen.

Berichte Nr. 2., 3., 4., 14., 16. sind politische, regierungsamtliche Berichte aus dem Bereich der US-Regierung, keine wissenschaftlichen Berichte, Berichte Nr. 9. + 10. entsprechend aus anderen Staaten/Staatenverbünden.

Es werden keine Wissenschaftler in den Ländern zu Rate gezogen, und sei es nur für eine Plausibilitätsprüfung des Ergebnisses.

Keiner der Berichte enthält originäre Forschung in den jeweiligen Ländern, wie sie PEW für andere Themen rund um Religion oft durchführt oder das etwa beim Weltverfolgungsindex für das Christentum der Fall ist.

Kommentar zu den 18 Berichten im Einzelnen

1. Country constitutions – Länderverfassungen

Ändert sich praktisch nicht von Jahr zu Jahr und besagt gar nichts über die reale Lage. So hat der Iran ein sehr gutes Bekenntnis zur Religionsfreiheit in seiner Verfassung.

2. U.S. State Department annual reports on International Religious Freedom

Anekdotisch, d. h. es werden nur Ereignisse aufgenommen, die an das Außenministerium berichtet wurden, es gibt keine systematische Suche weltweit. Sehr stark von Positionen der US-Außenpolitik (siehe etwa den Bericht über Saudi Arabien) oder amerikanischen Vorurteilen abhängig.

Die Berichte beginnen immer mit dem, was hier als 1. genannt wird und berufen sich viel auf andere unten gelistete Quellen.

Deutschlands Negativ-Punkte sind: vermeintlich unberechtigte Bevorzugung der Körperschaften des öffentlichen Rechts & Verfolgung von Scientology.

3. U.S. Commission on International Religious Freedom annual reports

Wechselnd 10-15 Länder. Im Gegensatz zu 2. sehr wenig von Positionen der US-Außenpolitik abhängig, aber Hauptaufgabe ist es, dem Außenministerium „countries of concern“ vorzuschlagen.

4. U.N. Special Rapporteur on Freedom of Religion or Belief reports

Berichtet jedes Jahr nur über sehr wenige, jährlich wechselnde Länder, die der Sonderberichterstatter offiziell bereist hat. Das heißt, es gibt keine Berichterstattung über dasselbe Land Jahr für Jahr.

5. Human Rights First reports in first and second years of coding; Freedom House reports in third, fourth and fifth years of coding

Ist ein allgemeiner Demokratiebericht, der nicht speziell auf Religionsfreiheit eingeht.

6. Hudson Institute publication: “Religious Freedom in the World” (Paul Marshall)

Ist ein sehr guter, aber nur einmal erschienener Bericht, der also nicht für Vergleiche Jahr für Jahr genutzt werden kann.

7.-17. sind Menschenrechtsberichte, die sich nicht speziell auf religiöse Fragen beziehen und nur anekdotisch ausgewertet werden können.

7. Human Rights Watch topical reports

8. International Crisis Group country reports

9. United Kingdom Foreign & Commonwealth Office annual report on human rights

10. Council of the European Union annual report on human rights

11. Amnesty International reports

12. European Network Against Racism Shadow Reports

13. United Nations High Commissioner for Refugees reports

14. U.S. State Department annual Country Reports on Terrorism

15. Anti-Defamation League reports

16. U.S. State Department Country Reports on Human Rights Practices

17. Uppsala University’s Uppsala Conflict Data Program, Armed Conflict Database

18. Human Rights Without Frontiers “Freedom of Religion or Belief” newsletters

Ist ein sehr guter Rundbrief, der aber 1. fast ausschließlich Nachrichten anderer Quellen weiterleitet und 2. nur weiterleitet, was erhältlich ist und deswegen über einige Länder fast nie, über andere fast täglich berichtet.

iirf_bulletin_2016_2a

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