Schon als Teenager und auch bei späteren Besuchen des Scottish National War Museum am höchsten Punkt von Edinburgh Castle (siehe Foto) fand ich die Verquickung von Kriegerverehrung und christlichem Glauben oder zumindest Gottesglauben schockierend. Doch diesmal hatte ich erstmals Gelegenheit zu einem offiziellen Besuch mit genauem Studium der Inschriften und Fotos, dazu mein inzwischen erworbenes religionssoziologisches Wissen mit der Vergleichsmöglichkeit entsprechender Heldenverehrung in anderen Ländern, Kulturen und Religionen.
Nun weiß ich auch, dass der Glaube, dass Soldaten für Gott gestorben sind und als Märtyrer einer guten Sache von Gott belohnt werden und zu ihm eingehen, keine typisch schottische oder britische Angelegenheit ist, sondern weltweit und ähnlich in allen Religionen zu finden ist und einst in allen europäischen Ländern an der Tagesordnung war. In Deutschland zeugen die Inschriften zahlloser, inzwischen bisweilen überwucherter und selten prominent gepflegter Gedenkstätten und -steine für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges davon.
Doch am höchsten Punkt des Edinburgher Schlosshügels findet sich dies Phänomen höchst lebendig. Es löst heute für die betroffenen Landsleute religiöse Gefühle aus und etliche der Gedenkstätten und Inschriften sind jüngeren Datums. Die gigantische Anlage wurde 1927 eröffnet (siehe Foto), bezieht sich aber überwiegend auf den 2. Weltkrieg und die letzte Gedenkstätte (besser Kapelle) wurde 2003 hinzugefügt.
Damit mich keiner falsch versteht: Der Krieg gegen das nationalsozialistische Deutschland war weitgehend eine gerechte Sache und ich danke als Deutscher allen Ländern, deren Bürger dafür gestorben sind, dass Deutschland von der Nazidiktatur befreit wurde und ich heute in einem Deutschland der Freiheit leben kann. Aber die Überhöhung eines gerechten Krieges zu einer Art Religionskrieg im Namen Gottes und die Behauptung, Gefallene würden automatisch zu Gott kommen – übrigens ganz gleich, wes Glaubens sie tatsächlich gewesen sind –, kann die christliche Ethik nur ablehnen.
Nun aber zu einigen Details:
Die große Inschrift im Westflügel „Whether their fame centuries long should ring, They cared not overmuch, But they cared greatly to serve God and the King.“ (Henry Newbolt) oder die keltische Inschrift in der Ostkapelle für die schottischen Corps (übersetzt): „My country, my honour, my God“ (darunter ein keltisches Kreuz), mag man noch unter harmlos abtun und „Gott und König“ als Floskel verstehen. Auch die Schreine, Engel und religiösen Symbole mag man unter einer eher allgemeinen und diffusen Religiosität verbuchen; Fachleute würden wohl von einer „Zivilreligion“ sprechen.
Doch in der großen Kapelle um den sogenannten ‚Schrein‘ finden sich Engel, die die Wappen tragen. Die sehr große umlaufende Schrift in der gesamten Kapelle zitiert aus den sog. Apokryphen: „The souls of the righteous are in the hand of God. There shall no evil happen to them. The are in peace.“ („Die Seelen der Gerechten sind in der Hand Gottes. Ihnen wird nichts Böses geschehen. Sie sind in Frieden.“ aus Weisheit 3,1+3) (siehe Foto)
Darunter werden die unbekannten gefallenen Soldaten mit einer Anspielung auf das neutestamentliche Buch des Lebens (Offb 20,12 u. ö.) geehrt: „Others also there are who perished unknown; their sacrifice is not forgotten, and their names, though lost to us, are written in the Books of God.“ („Es sind noch andere da, die unbekannt starben; ihr Opfer ist nicht vergessen, und ihre Namen, auch wenn sie für uns verloren sind, stehen im Buch Gottes.“) (Siehe Foto) Vier betende und kniende Engel (siehe Foto) und der von der Decke herabhängende Erzengel Michael (s. Offb 12,7-8) ergänzen die religiös-christliche Ausrichtung.
Sehr unmittelbar wird Gott instrumentalisiert, wenn Gott für die Royal Air Force in der Hall of Honour in der ersten Person sagt: „I bare you on eagles’ wings and brought you unto myself“, entnommen aus 2Mose 19,4 (siehe Foto).
Nun noch der offizielle Kommentar des 2004 erschienenen Führers zu einer Statue in der Ostkapelle: „A statue in bronze, partly overlaid with gold and silver, with a background of carved and painted stone showing the rising sun, the land and the sea (Earth, Air, Fire and Water). The symbolic figure represents the Soul rising purified from the Flames of Sacrifice, the left hand grasps the broken blade – the end of war – and the right hand raises the hilt – now the Cross Triumphant – while the eyes seem to gaze beyond the range of mortal vision and to find there ‚A new Heaven and a new Earth‘ (Revelation, xxi 1)“ Scottish National War Memorial: Official Guide. Norwich: Jarrold Publ., 2004. S. 26). („Eine Statue aus Bronze, teilweise mit Gold und Silber überzogen, mit einem Hintergrund aus geschliffenem und bemaltem Stein zeigt die aufgehende Sonne, das Land und das Meer (Erde, Luft, Feuer und Wasser). Die symbolische Figur repräsentiert die Seele, die gereinigt aus dem Opferfeuer emporsteigt, die Linke hält ein gebrochenes Schwert – das Ende des Krieges – die Rechte reckt den Schwertgriff nach oben – jetzt das triumphierende Kreuz – während das Auge über den Rand der sterblichen Vision hinwegzuschauen scheint und dort ‚einen neuen Himmel und eine neue Erde‘ (Offenbarung 21, 1) zu finden scheint.“) (siehe Foto).
Man, man, als wäre nichts geschehen, wird das Schwert zum siegenden Kreuz und erstreitet die Armee den neuen Himmel und die neue Erde. Und gefallene Soldaten dürfen damit rechnen, dass sie für ihr Opfer von Gott belohnt werden?! Haben wir denn nichts aus der Geschichte gelernt?