Jahrbücher ‚Religionsfreiheit 2024‘ und ‚Verfolgung und Diskriminierung von Christen 2024‘ in Berlin vorgestellt

„Es gibt praktisch kein gesellschaftlich relevantes Thema, das für die Religionsfreiheit keine Rolle spielt. Weltweit hat sich in kaum einer Region die Lage der Religionsfreiheit und der Menschenrechte im Vergleich zur Situation vor zehn Jahren verbessert. Das Gegenteil ist leider der Fall“, erklärte Prof. Dr. Thomas Schirrmacher anlässlich der Vorstellung der Jahrbücher Religionsfreiheit 2024 und Verfolgung und Diskriminierung von Christen 2024 am heutigen Donnerstag in Berlin. Schirrmacher ist Präsident der International Society for Human Rights (ISHR) sowie Mit­gründer und Mitherausgeber der Jahrbücher.

Besondere Sorge bereiten den Menschen­rechtsexperten die Entwicklungen im Mit­tleren und Nahen Osten mit ihren Auswirkungen auf Eu­ropa, die Türkei und speziell auf Deutsch­land. Weitere Brennpunkte sind Afrika, Indien und China. „Wir wissen heute wesentlich mehr als noch vor zehn Jahren und können weltweit Schicksale und Fakten erfassen sowie neutral analysieren. Die Jahrbücher und die neue Violent Incidents Database des Internatio­nalen Instituts für Religionsfreiheit doku­men­­tieren dies aktuell und vielfältig. Politik und Medien können darauf zurückgreifen“, sagte Schirrmacher weiter.

Der Vorstand der Deutschen Evangelischen Allianz, Frank Heinrich, wies auf den Missbrauch der Religion für politische und geostrategische Ziele hin: „Ein Beispiel für eine umgekehrte Instrumentalisierung von Religion findet sich im langjährigen und immer stärker zur Schau getragenen anti-jüdischen bzw. anti-israelischen Hass des türkischen Präsidenten Erdogan. Dies ist kein neues Phänomen, bereits 2010 wurde seine Einstellung im Zusammenhang der Gaza-Flotte, die von Istanbul aus in Richtung Gaza aufbrach, deutlich. Seine feindlichen und hassvollen Einstellungen scheinen sich heute aber mehr denn je innenpolitisch zu lohnen. Gewalt und Hassverbrechen gegen Juden und Muslime werden öffentlich stärker wahrgenommen. Aber in Europa gibt es auch eine wachsende Zahl von Hassverbrechen gegen Christen.“

Die Rolle Chinas bei der Unterdrückung von Gläubigen, Blasphemiegesetze in Indien und islamischen Staaten sowie Antikonversionsgesetze seien zu großen Bedrohungen für das Menschenrechte auf religiöse Selbst­bestimmung geworden. Auch von Russland gingen neue Gefahren für die Religionsfreiheit aus.

„Diktatoren lernen von anderen Diktatoren. Sie fürchten sich vor Religionsfreiheit und Menschenrechten und aktualisieren ihre Methoden zur Einschüchterung von Kritikern oder zur Verschleierung von Menschen­rechtsverletzungen. Dossiers und schwarze Listen über Politiker und Menschenrechtsverteidiger, die das Schicksal von Opfern und anderen Verfolgten öffentlich machen, scheinen zum Standard geworden zu sein. Bedrohungen, Kriminalisierung und Missbrauch von Interpol-Fahndungen sowie Einreiseverbote gehören ebenfalls zum Repertoire,“ erklärte Martin Lessenthin, Menschenrechtsexperte und Mitherausgeber der Jahrbücher.

Die Zahl der verfolgten Christen hat in den letzten Jahren ständig zugenommen

Der langjährige Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Volker Kauder, erklärte: „Ein Angriffskrieg auf die Souveränität eines anderen Landes ist durch nichts gerechtfertigt. Indem die Russisch-Orthodoxe Kirche diesen Krieg befürwortet, untergräbt sie die christliche Moral. Die Religionsfreiheit schützt grundsätzlich jede Religion und jeden Glauben, ohne eine Wertung vorzunehmen. Eine Glaubens­auffassung als richtig zu definieren, führt gerade in islamischen Staaten zu großem Verfolgungsdruck vor allem für die Christen.“

Der Director of European Advocacy bei ADF International, Dr. Felix Böllmann, erläuterte: „Obwohl das Völkerrecht die Religionsfreiheit für alle nahezu flächendeckend garantiert, versagen viele Regierungen auf der ganzen Welt bei der Wahrung dieses Rechts. In Indien, Pakistan und vielen südostasiatischen Ländern werden drakonische Anti-Konversionsgesetze routinemäßig missbraucht, um Christen ins Visier zu nehmen. Übergriffe und Gewalt sind oft die Folge – sei es durch den Staat oder durch gewalttätige Mobs. Aber auch in Europa führen sogenannte ‚Hassrede‘-Gesetze zunehmend zur Einschränkung von Glaubensäußerungen. Ihre abschreckende Wirkung begünstigt Selbstzensur und lässt Menschen verstummen, mit gravierenden Folgen für das gesellschaftliche Klima, Religionsgemeinschaften und den persönlichen Glauben.

Christen sind die am meisten verfolgte Glaubensge­mein­schaft der Welt. ADF Inter­national setzt sich für Gerechtigkeit für diejenigen ein, die unter Verfolgung leiden. Zugleich ist es von entscheidender Bedeutung, dass die internationale Ge­meinschaft Verletzungen der Religionsfreiheit nicht hin­nimmt, egal wo sie stattfinden.“

„Die kurdischen Christen von Afrin fühlen sich vom Rest der Welt im Stich gelassen, ins­besondere von Staaten wie Deutschland, die sich auf das jüdisch-christliche Erbe beru­fen. Rund 1.200 von ihnen leben noch immer in Zelten und feiern ihre Gottes­dienste in einer Baracke im Niemandsland im Nordwesten Syriens unweit von Aleppo. 2018 mussten sie vor der türkischen Armee und ihren islamistischen Söldnern fliehen. Auch in ihren Zelten werden sie fast täglich von der Türkei angegriffen, unter anderem mit Kampfdrohnen“, so Dr. Kamal Sido, Nahostreferent der Gesellschaft für bedrohte Völker.

Lizzie Francis, Legal Counsel bei ADF Inter­national, ergänzte im Blick auf Ägypten: „Obwohl es in den letzten Jahren einige positive Entwicklungen in Bezug auf die Religionsfreiheit in Ägypten gegeben hat, ist die Lage für Christen und religiöse Minder­heiten nach wie vor katastrophal. Es gibt strenge Beschränkungen der Redefreiheit, der religiösen Konversion und des Familienlebens für religiöse Minderheiten, und die vielen Angriffe auf christliche Gemeinden durch islamistische Extremisten werden von den Gesetzeshütern nicht angemessen beant­wortet. So wird Ägypten zu einem zunehmend feindseligen Land für Christen, die ihren Glau­ben weitergeben wollen, oder für christliche Familien, die ihre Töchter vor Zwangsver­heiratungen mit älteren muslimischen Män­nern schützen wollen. Jeder sollte das Recht haben, seine religiösen Überzeugungen in Freiheit auszuleben, ohne Repres­salien des Staates oder Ausbeutung durch andere in seinen Gemeinschaften befürchten zu müssen.“

Und der koptische Menschenrechtsaktivist und Rechtsanwalt, Tamer Hannah, fügte hinzu: „Die Konversion zum Islam ist in Ägypten ein einfacher Prozess, der nur wenige Stunden dauert: Sie unterschreiben ein Dokument und werden sofort als Muslim anerkannt und genießen den Schutz sowohl der Polizei als auch der islamischen Gruppen. Im Gegensatz dazu ist eine Konversion vom Islam zum Christentum fast unmöglich. Selbst konvertierte Muslime, die zum Christentum zurückkehren wollen, sehen sich schweren Auswirkungen nach islamischem Recht gegenüber, einschließlich der Androhung des Todes, wie sie in ihrer Auslegung des Korans vorgeschrieben ist.“

„Das Auswärtige Amt muss die Länderberichte zu Ägypten überarbeiten; wer wie Frau Baerbock von wertegebundener Außenpolitik redet, darf einem brutalen Regime keinen ‚Discount‘ bei Menschenrechtsverletzungen geben. Das muss sich auch in den sogenannten asyl- und abschiebungsrelevanten Länderberichten des AA zeigen“, sagte der menschenrechtspolitischer Sprecher der CDU/CSU, Michael Brand MdB, und fügte hinzu: „Wirtschaftliche Zusammenarbeit heißt im Fall von Ägypten, dass Milliarden deutscher Steuergelder dorthin fließen. Wir können uns die Welt nicht backen, und wir müssen immer die Menschen und auch die geopolitische Lage im Blick haben. Wer allerdings unsere Vorstellungen offen mit Füßen tritt, den können wir nicht auch dafür mit massivem Geld belohnen; es muss schon ein Minimum an Respekt erwartet werden dürfen; das wäre umgekehrt genauso, und wir behandeln auch unsere schwierigen Partner mit Respekt.“

Kein Weltfrieden ohne Religionsfrieden

Der Bundesvorsitzende des Evangelischen Arbeitskreises der CDU, Thomas Rachel MdB, äußerte: „Gerade in Zeiten zahlreicher gewalttätiger Konflikte wird deutlich, dass es ohne Religionsfrieden keinen Weltfrieden gibt. Richtig verstanden, haben Religionen die Kraft, Konflikte zu überwinden und zur Versöhnung einzuladen. 85 Prozent der Weltbevölkerung sind religiös. Wir sollten die Kraft dieser Menschen stärker nutzen! Religiösen Glaubensrichtungen sollten wir mit Respekt und Achtung begegnen. Was mich zutiefst besorgt: Im weltweiten Maßstab sind vor allem Christen von Diffamierung, Diskriminierung und Verfolgung betroffen. Das darf uns nicht gleichgültig sein!“

Der Mitherausgeber der Jahrbücher und Historiker, Martin Warnecke, erinnerte in diesem Zusammenhang: „Leider neigen zu viele politische Akteure – vornehmlich aus den säkularisierten Gesellschaften des Westens – dazu, die weltweit wachsende Bedeutung des Faktors Religion zu unterschätzen. Familien mit einer ausgeprägten religiösen Identität haben im Schnitt mehr Kinder als religionsferne Familien. Allein diese simple Tatsache sollte zu denken geben.“ Und weiter sagte Warnecke: „Blickt man in die Geschichte, so war Religion fast immer auch ein politischer Faktor. Heute ist das nicht anders – man braucht nur die Zeitung aufzuschlagen. Das Jahrbuch möchte einen Beitrag dazu leisten, die großen Themen und Trends unserer Zeit besser zu verstehen. Eine nüchterne Analyse ist die Voraussetzung eines jeden erfolgreichen Handelns.“

Entschlossener gegen Antisemitismus und Völkermord

Mehr Entschlossenheit im Kampf gegen Antisemitismus forderte der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck: „Das Allzeithoch des Antisemitismus erfordert eine entschlossene und nachhaltige Reaktion der wehrhaften Demokratien. Antisemitismus greift nicht nur das Lebensrecht aller Jüdinnen und Juden an, sondern stellt auch eine tiefgreifende Verschwörungstheorie dar, die die Grundlagen unserer offenen Gesellschaften gefährdet. In dieser Weltsicht sind staatliche Institutionen und Demokratie nur Kulissen, hinter denen die Juden vermeintlich die Fäden ziehen. Diese Denkweise macht den Antisemitismus so gefährlich und zugleich so schwer zu bekämpfen.“

Thomas Schirrmacher ergänzt in diesem Zusammenhang: „Die derzeitige globale Situation widerlegt all jene, die einen möglichen Zusammenhang zwischen antisemitischer Kritik an Israel und Antisemitismus selbst bestreiten. Die meisten gewalttätigen Demonstranten auf der ganzen Welt machen keinen Unterschied zwischen beiden. Sie kritisieren Israel als jüdischen Staat, und ihr Hass auf Juden schlägt in Hass auf das einzige Land mit einer jüdischen Bevölkerungsmehrheit um. Die zunehmende tatsächliche Gewalt gegen Juden sowie der Aufruf zur Gewalt gegen sie unterscheiden kaum noch zwischen Israel und den Juden. Der Slogan ‚From the river to the sea, Palestine will be free‘ leugnet sowohl einen jüdischen Staat im Heiligen Land als auch die Anwesenheit von Juden im Heiligen Land. Der Slogan kann nur durch die Tötung von Juden oder deren gewaltsame Vertreibung erfüllt werden.“

Im Blick auf die Armenier in Aserbaidschan sagte die Genozidforscherin Prof. Dr. Tessa Hofmann: „Besorgniserregend ist außerdem das irredentistische Konzept eines ‚Gesamt-Aserbaidschans‘. Es bildet seit September 2022 die offizielle Staatpolitik Aserbaidschans und richtet sich unter anderem gegen die Republik Armenien, trotz laufender Friedensverhandlungen. Mindestens 23 Armenier, darunter acht Führungs­persönlichkeiten der einstigen Republik Arzach, befinden sich als Kriegsgefangene und politische Geiseln noch immer in aserbaidschanischer Haft. Sanktionen gegen die politisch Verantwortlichen in Aserbaidschan sowie die straf- und völkerrechtliche Aufarbeitung der Verbrechen gegen die armenische Bevölkerung Berg-Karabachs sind daher dringend geboten.“

Der Beauftragte der Bundesregierung für Religions- und Weltan­schauungsfreiheit, Frank Schwabe MdB, stellte fest: „Das internationale Recht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit wird weltweit massiv verletzt oder infrage gestellt. Wer dieses Jahrbuch zur Hand nimmt, weiß darum. Und neue Entwicklungen wie zum Beispiel die sogenannte Künstliche Intelligenz führen hier international zu neuen Herausfor­derungen. All das betrifft religiöse Mehrheiten und Minderheiten ebenso wie Menschen, die sich keiner Religion anschließen wollen.“

Während der Pressekonferenz © BQ/Martin Warnecke

Die Jahrbücher 2024

Das Jahrbuch Verfolgung und Diskriminierung von Christen 2024 sowie das Jahrbuch Religionsfreiheit 2024 stehen ab sofort kostenlos zum Download und zum freien Verteilen und Bereitstellen auf anderen Internetseiten zur Verfügung.

Die Jahrbücher werden von der Deutschen Evangelischen Allianz auch allen Bundes­tagsabgeordneten zur Verfügung gestellt. Ähnliches gilt in der Schweiz und in Österreich. Weitere Exemplare zur Weitergabe an Politiker und Kirchenleiter können angefordert werden.

Die Jahrbücher werden von der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (ISHR), dem Internationalen Institut für Religionsfreiheit (IIRF) sowie den Religions­freiheitsarbeitskreisen der drei deutschsprachigen Allianzen, der Deutschen Evangeli­schen Allianz, der Schweizerischen Evangelischen Allianz und der Österreichischen Evangelischen Allianz von Thomas Schirrmacher, Martin Lessenthin und Martin Warnecke herausgegeben.

Die gedruckte Fassung ist am 5.12.2024 im Verlag für Kultur und Wissenschaft (VKW) erschienen. Beide Jahrbücher sind in einem Wendebuch zusammengebunden. Jedes Jahrbuch beginnt auf einer anderen Seite des Umschlags. Beide Bücher als Wendebuch sind zum Preis von 14 Euro über den Buchhandel erhältlich.

Bibliografische Angaben

  • Thomas Schirrmacher, Martin Lessenthin und Martin Warnecke (Hg.). Jahrbuch Verfolgung und Diskriminierung von Christen 2024. Studien zur Religionsfreiheit Bd. 41. Verlag für Kultur und Wissenschaft: Bonn, 2024. ISBN 978-3-86269-306-1. Pb. 166 S.
  • Thomas Schirrmacher, Martin Lessenthin und Martin Warnecke (Hg.). Jahrbuch Religionsfreiheit 2024. Studien zur Religionsfreiheit Bd. 42. Verlag für Kultur und Wissenschaft: Bonn, 2024. ISBN 978-3-86269-307-8. Pb. 378 S.
 

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