Ich bin Daniel und Debora Höly sehr dankbar, dass sie für Deutschland die Initiative ergriffen und die Möglichkeit für Christen aus Freikirchen und insbesondere für Betroffene geschaffen haben, an ihrer Online-Umfrage teilzunehmen. Ich danke allen Betroffenen, die in ihren Antworten ihr Herz offenbart haben und dazu beitragen, dass in Zukunft ein besserer Umgang mit sexueller Gewalt im freikirchlichen Umfeld möglich wird. Ein Umgang, der einerseitsbiblisch-theologischen und seelsorgerlich-geistlichen Werten besser Rechnung trägt, und andererseits dem gerecht wird, was in den letzten Jahrzehnten fachlich an Wissen gewonnen und in einen besseren gesetzlichen Schutz investiert wurde.
Ich war etwas mehr als ein Jahr Pastor, als die Kinder eines Ältesten meiner Gemeinde mir berichteten, sie würden regelmäßig missbraucht. Unerfahren wie ich war, versuchte ich, die Sache kirchenintern, also ohne Polizei, anzugehen. Niemand glaubte mir und den Kindern. Am Ende wurde ich versetzt und erst sehr viel später kam es zu einer Verurteilung durch ein Gericht. Die Kinder sind mir allerdings bis heute dankbar, dass ich eingegriffen habe und ihren Glauben an Jesus Christus ‚gerettet‘ habe.
Viele Weltreisen und Gespräche und Erfahrungen mit Gemeinden auf allen Kontinenten weiter dränge ich heute darauf, dass Gemeinden wie selbstverständlich Themen rund um jede Form von häuslicher oder innergemeindlicher Gewalt und – wie in diesem Fall Gegenstand der Umfrage – sexuellem Missbrauch thematisieren, in Lehre und Seelsorge ansprechen und für Schulungen von Mitarbeitern und Seelsorgern verpflichtend machen. Nie darf der Eindruck erweckt werden, dass die Zugehörigkeit zu unseren Gemeinden solche Gräuel automatisch verhindert, oder dass ihr Aufdecken und Angehen den guten Ruf der Gemeinde schade.
Denn beides widerspricht unseren biblischen Überzeugungen. Für Erweckungs- und Heiligungsbewegungen, aus denen die meisten unserer Freikirchen hervorgegangen sind, bedeutet Heiligung ja nicht, den Anschein zu erwecken, man wäre heiliger, und dafür alles zu unterdrücken, was diesen Anschein in Frage stellen könnte, sondern umgekehrt: angesichts des Wissens, wie leicht wir alle unheilig denken und handeln können, selbstkritisch und wachsam zu sein und Hilfe zum heiligen Leben anzubieten. Heiligung bedeutet mit Unheiligem zu rechnen und gegen Unheiliges einzuschreiten und bei allem die verändernde Kraft des Heiligen Geistes zu erbitten.
Das Erschreckendste an den Untersuchungen fassen für mich die rückblickenden Wünsche der Betroffenen zusammen. Zwei Beispiele müssen hier genügen.
„Das mir jemand geglaubt hätte!“
Eltern glaubten Kindern nicht oder Frauen wurden verdächtigt, ihre Männer zu Unrecht zu verunglimpfen. Der Glaube, dass so etwas angeblich in frommen Kreisen nicht vorkommt, wurde aufrechterhalten, indem man die Opfer zu den Schuldigen machte.
(2) [Einen] „Offenen Umgang mit dem Thema, um zu merken, dass man nicht alleine damit ist und die Zusage, dass man nicht schuld ist, wenn einem so etwas widerfährt.“
Sorgen wir dafür, dass dieser Wunsch Wirklichkeit wird!
Prof. Dr. phil. Dr. theol. Dr. h. c. Thomas Paul Schirrmacher
Generalsekretär der Weltweiten Evangelischen Allianz 2021–2024
Präsident des Internationalen Rates der International Society for Human Rights
Professor für Religionssoziologie, Staatl. Universität des Westens (Timisoara, Rumänien)
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