Die Antidiskriminierung treibt immer tollere Blüten

In einer der angesehensten juristischen Fachzeitschrift der Welt, dem ‚Harvard International Law Journal‘, diskutieren die beiden australischen Juristinnen Carolyn Evans und Betha Gaze im Rahmen eines vom australischen Steuerzahler finanzierten Forschungsprojektes zur Religionsfreiheit, ob es nicht an der Zeit wäre, die katholische Kirche im Namen der Menschenrechte zu zwingen, die Frauenordination einzuführen. Zumindest sollten „patriarchalische Religionen“ ihren Gemeinnützigkeitsstatus im Steuerrecht verlieren (S. 43) und vor allem keinerlei staatliche Unterstützung mehr in irgendeiner Form erhalten (S. 46), wenn sie sich nicht dem Stand der Gesetzgebung anpassen. Ihre grundsätzliche Forderung ist, dass sich Religionsgemeinschaften wie jede Firma allen jeweils gültigen Antidiskriminierungsrichtlinien zu unterwerfen haben. Dabei plädieren sie allerdings nicht für eine plumpe Vorordnung der Antidiskriminierung vor die Religionsfreiheit oder umgekehrt der Religionsfreiheit vor die Antidiskriminierung, sondern für einen informierten Ausgleich, bei dem differenziert unterschieden wird, in welchen Kernbereichen Religionsfreiheit wirklich zentral ist und Vorrang haben sollte und in welchen nicht.

Nun bin ich nicht katholisch, sondern evangelisch und teile deswegen weder die katholische Sicht des heilsvermittelnden Priesteramtes, noch, dass Pfarrer unverheiratet sein und ein Gelübde ablegen müssen. Auch gibt es aus evangelischer Sicht die Frauenordination de facto schon zu Teilen in der katholischen Kirche, da immer häufiger angestellte Diplom-Theologinnen predigen – nur die Sakramente sind den Priestern vorbehalten.

Dennoch möchte ich nicht, dass solche Änderungen bei der katholischen Kirche vom Staat erzwungen werden, auch dann nicht, wenn mir die jeweiligen Änderungen persönlich sympathisch wären. Denn solche Änderungen sollen aus Überzeugung und theologisch begründet geschehen, nicht aus Zwang, und der Staat soll gefälligst, wie es etwa das deutsche Grundgesetz festgelegt, die Kirche ihre inneren Angelegenheiten selbst regeln lassen. Denn wer weiß, was der Staat dann morgen bei mir, bei uns, bei allen zwangsweise ändert? Und da die gegenwärtigen Staaten ihre Einmischung in immer neue Lebensbereiche und Alltagsfragen noch ständig ausdehnen (man vergleiche etwa den berühmten und symptomatischen Satz des seinerzeitigen SPD-Generalsekretärs Olaf Scholz: „Wir wollen die Lufthoheit über unseren Kinderbetten erobern!“) und von Lobbygruppen immer wieder einmal neue vermeintliche Menschenrechte zu den alten klassischen hinzugefügt werden und die Antidiskriminierungsgesetze immer weitere Bereiche verrechtlichen, verpolitisieren und kriminalisieren, kann niemand wissen, was denn dann bald eine Religionsgemeinschaft überhaupt noch selbst entscheiden kann.

In Berlin wird ja im Ethikunterricht die Bewertung der Religionen oder was an ihnen – vor allem im Bereich der Ethik – empfehlenswert ist und was zu verwerfen, bereits vom Staat und der von ihm propagierten Weltanschauung des atheistischen Humanismus (etwa der Humanistischen Union) vorgenommen. Häufig begründet man das damit, dass somit auch Muslime im Ethikunterricht eine nichtfundamentalistische Sicht zu hören bekommen und leicht integriert werden könnten. Verpflichtend ist der Besuch dieser staatlichen Sicht der Religionen, nicht aber der Besuch des Unterrichts der Religionsgemeinschaft, der man angehört. Die Muslime werden dabei nicht an einen Dialog mit Anhängern anderer Religionen herangeführt, sondern in die zulässige ‚Querbeetreligion‘ von Staates Gnaden integriert.

Denken wir einmal die von den beiden Autoren diskutierte Idee zu Ende: Das bedeutet im Klartext in der Konsequenz, dass Religionsgemeinschaften auch nicht mehr – im Einklang mit dem Verbot von Diskriminierung aufgrund von religiöser Zugehörigkeit – aufgrund der religiösen Zugehörigkeit ‚diskriminieren‘ dürften, wenn sie Mitarbeiter auswählen – womit sie selbst wiederum diskriminiert werden und die ganze Sache Kopf steht. Ein buddhistisches Kloster müsste also prinzipiell die Bewerbung eines Muslim als Abt zulassen und eine Moschee ein Bewerbungsgespräch mit einem Spiritisten als Gebetsrufer führen.

Was würde das etwa auf die politischen Parteien übertragen bedeuten? Muss die CDU künftig auf Wunsch SPD-Wahlkämpfer aufnehmen, weil sie diese sonst diskriminiert? Muss ein Autohaus künftig grüne Fahrradfans anstellen, die alle Kunden vergraulen, da sich sonst diese Verkäufer wegen ihrer Weltanschauung diskriminiert fühlen?

Die Antidiskriminierungsdiskussion treibt immer tollere Blüten. Die Zeiten, wo Antidiskriminierungsgesetze und ihre Umsetzung in den demokratischen Ländern wirklich größere Freiheit und Gerechtigkeit brachten, sind vorbei – Ausnahme sind einige jüngere Demokratien mit Nachholbedarf. Stattdessen wird die Diskussion zur Spielwiese immer neuer Vorschläge, die zwar die Spannungen und das Misstrauen in der Gesellschaft laufend erhöhen, aber nicht dazu führen, dass Menschen sich wirklich respektvoller begegnen.

Carolyn Evans, Beth Gaze. “Between Religious Freedom and Equality: Complexity and Context”. Harvard International Law Journal 29 (2008): 40-41, www.harvardilj.org

 

3 Kommentare

  1. Marco S. sagt:

    Sehr geehter Herr Prof. Dr. Schirrmacher,

    Sie haben Recht, daß es in der katholischen Kirche in Einzelfällen zu Predigten von Diplom-Theologinnen, d.h. Laien, kommt. Diese Laienpredigt ist jedoch grundsätzlich verboten (Instruktion „Redemptionis sacramentum“, Nr. 161). Ihr Schluß von in Einzelfällen widerrechtlich vorkommender Laienpredigt auf eine de facto in der katholischen Kirche vorkommende Frauenordination erscheint mir vor diesem Hintergrund sehr verwegen. Hinzu kommt, daß man angesichts der Amts- bzw. Weihetheologie der katholischen Kirche wohl kaum davon sprechen kann, daß einzelne Pregigten einen Laien schon zum Priester machen.

    Mit freundlichen Grüßen

    Marco S.

  2. admin sagt:

    Danke für die Korrektur. Natürlich macht eine Predigt noch niemanden zum katholischen Priester oder evangelischen Pastor. Allerdings dürfte die regelmäßige Wortverkündigung im evangelischen Bereich doch wesentlich zentraler für das Amtsverständnis sein. Wo ich sicher falsch schließe, ist von meiner Erfahrung in der Bonner Gegend auf den Rest der katholischen Welt. Ich werde mich mal aktiv umhören, wie das so im weiteren Umfeld ist.

    Thomas Sch.

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