Blick in den Saal während der Eröffnung © IIRF/Martin Warnecke

Im Beisein von über 160 geladenen Gästen, darunter Bischof Thomas Paul Schirrmacher, haben Anne Henk-Hollstein, Vorsitzende der Land­schaftsversammlung Rheinland (LVR), und LVR-Direktorin Ulrike Lubek die neu ge­staltete Gedenkstätte auf dem Ge­lände des LVR-Kulturzentrums Brau­weiler in Pul­heim bei Köln eröffnet. Brauweiler ge­hört zu den sogenannten „frühen Kon­zentrationslagern“ seit 1933. Später war es vor allem Gestapo-Gefängnis. Die Eröffnung zum dunklen Kapitel der Abtei Brauweiler ist Teil der Feier­lichkeiten zum 1000-jährigen Jubi­läum der Abtei Brauweiler, die 1806 säku­larisiert wurde. Die Gedenkstätte wurde 2008 erstmals eröffnet, 2022–2024 aber umgebaut, auf die doppelte Fläche erweitert und ganz neu konzi­piert. Die Stätte ist dem Gedenken an die vielen Opfer des Regimes während der Zeit des Nationalsozialismus in Brauweiler gewidmet. (Mehr dazu hier.)

Schirrmacher überreicht der Ausstellungskuratorin Dr. Corinna Franz sein Werk über Hitlers Kriegsreligion © IIRF/Martin Warnecke

Die Eröffnungsrede hielt die Direktorin des Landschaftsverbandes Rheinland, Ulrike Lubek. Sie sagte:

„Der 1953 gegründete LVR übernahm in vielen Bereichen die Nachfolge der Rhei­nischen Provinzialverwaltung des 19. Jahrhunderts. Es ist unsere historische Verantwortung, gleichsam unsere be­sondere Verpflichtung, die LVR-Ge­schichte und die der Rheinprovinz vor­behaltlos aufzuarbeiten, auch um diese zu verarbeiten.“ „Verarbeiten heißt dabei nicht nur, Geschehenes zu dokumentieren“, so Lubek weiter, „sondern vielmehr das Unfassbare sowie menschenunwürdige Zustände sichtbar zu machen und in unserem kollektiven Gedächtnis zu verankern, damit stets Menschlichkeit als kategorischer Imperativ, Aufklärung und kritische Selbstreflexion unser Handeln bestimmen. Erinnerung in diesem Sinne ist somit auch ein Beitrag zur Sensibilisierung und Prävention gegen die vielerorts aufkeimenden rechtsextremen und nicht selten menschenverachtenden Positionen“. Persönliche Worte richtete Ulrike Lubek an die Angehörigen von ehemals in Brauweiler inhaftierten Menschen: „An jenen Ort zu reisen, an dem Ihre Familienmitglieder mit den Schrecken und der Brutalität des NS-Staates konfrontiert waren, muss Ihnen schwergefallen sein. Angesichts dessen berührt es uns umso mehr, dass Sie den Weg zum Teil von weither auf sich genommen haben. Dafür bedanke mich bei Ihnen voller Respekt.“

Anne Henk-Hollstein, Vorsitzendes LVR, hob hervor:

„Über 150 Jahre lang war das Abteigelände ein Ort der Ausgrenzung und Diskriminierung, des Wegsperrens und der Ausbeutung. Mit ihrer Arbeit verantwortet die Gedenkstätte Brauweiler – übrigens auch als Mitglied im Arbeitskreis der NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorte NRW sowie in der Arbeitsge­meinschaft frühe Konzen­trationslager – ein Stück Erinnerungs­kultur. Sie leis­tet damit einen Beitrag zur Demo­kratiebildung und zur Stär­kung unserer freiheit­lichen, pluralistisch­en und demokratischen Grundord­nung. Innehalten und Be­wusstmachen sind neben der historischen Dokumen­tation und der Bildungs­arbeit zentrale Anliegen der Gedenkstätte. Die Hoffnung auf ein ‚Nie wieder‘ ist es, die die Gedenkstätten-Arbeit in Brauweiler mit der Forschung zur Geschichte und Kultur des Rheinlandes verbindet. Wo, wenn nicht hier, können wir ansetzen, um ein friedliches Miteinander zu beför­dern?“

Die Bedeutung des Themas Erinnerungskultur im Kontext der gegenwärtigen politi­schen Situation unterstrich Ina Brandes, Ministerin für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen.

„Die aktuellen antisemitischen und fremdenfeindlichen Vorfälle machen auf bedrückende Weise deutlich, wie wichtig die Arbeit der NS-Gedenkstätten und Erinnerungsorte in Nordrhein-Westfalen ist. Das Land unterstützt diese wichtige Arbeit seit vielen Jahren. Und ich freue mich, dass wir mit der finanziellen Förderung durch die Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen nun einen Beitrag zur Neugestaltung der Gedenkstätte Brauweiler leisten können.“

Original Zelle A © IIRF/Martin Warnecke

„Doch vergangen ist es erst, wenn man es vergisst“: Mit Poetry Slam über den Ort der Gedenkstätte Brauweiler und die Erinnerungskultur unterstrich „Poesiematrosin“ Veronica Scholz die Eröffnung. Die anschließende Gesprächsrunde moderierte Dr. Mark Steinert, Leiter des LVR-Archivberatungs- und Fortbildungszentrums, zu dem auch die Gedenkstätte Brauweiler gehört. Darin ging Prof. Dr. Alfons Kenkmann, langjähriger Vorsitzender des Arbeitskreises der NS-Gedenkstätten und -Erin­nerungsorte in NRW, auf die Zwangseinweisung und gewalthafte Unterbringung junger Edelweißpiratinnen und -piraten in der Arbeitsanstalt ein. Der Eigensinn und die Solidarität unter den Jugendlichen tra­fen hier auf die rigiden Maßnahmen zur Disziplinierung durch Akteure der Für­sorgeerziehung und der Gestapo. „Die Beschäftigung mit den Lebensge­schichten Jugendlicher in den 1940er Jahren gibt“, so Kenkmann, „den Ju­gendlichen heute Orientierung bei ihrem Lauf in die Welt“.

An die bekanntesten Gefangenen in Brauweiler erinnerte Dr. Corinna Franz, LVR-Dezernentin für Kultur und Land­schaftliche Kulturpflege:

„Konrad und Gussie Adenauer waren 1944 hier inhaftiert. Gussie erholte sich nie von den Folgen ihres Selbstmordversuchs während der Haft und verstarb 1948 im Alter von nur 52 Jahren. Ihr Schicksal steht stellvertretend. Auch wenn in Brauweiler nur wenige Menschen er­mordet wurden, starben dennoch viele an den Folgen ihrer Gefangen­schaft oder zerbrachen an den Miss­hand­lungen. Konrad Adenauer entging der Folter, doch das Miterleben prägte den späteren Bundeskanzler tief.“

Nach dem Krieg stiftet Adenauer für die Abteikirche ein Fenster. Es zeigt den deutschen Bundeskanzler als Daniel in der Löwengrube, umgeben von Raubtieren und beobachtet von einer Person, die die Gesichtszüge Adolf Hitlers trägt.

Dr. Christine Hartmann, seit 2008 für die Gedenkstätte zuständig und Projektleiterin und Kuratorin der neuen Dauerausstellung, erläuterte die wesentlichen Aspekte der Neu­konzeption, Neugestaltung und räumlichen Erweiterung. Weiterhin stehen die authen­tischen historischen Räume als „Exponat“ im Mittelpunkt. Die Gedenkstätte Brauweiler des LVR befindet sich auf dem Gelände des LVR-Kulturzentrums Abtei Brauweiler im ehemaligen Frauenhaus der Arbeitsanstalt, dem heutigen Bürohaus des LVR in einem rotem Backsteingebäude, das am Parkplatz des LVR neben der Abtei liegt. Begleitet wird die durchgängig zweisprachige Ausstellung (Deutsch/Englisch) durch verschiedene inklusive Angebote: Über das eigene Smartphone lassen sich vor Ort Passagen aus Interviews mit Zeit- und Zweitzeugen abrufen. Eine möglichst barrierefreie Vermittlung wird mit der Übersetzung in Deutsche Gebärdensprache auf dem Smartphone sichergestellt. Menschen mit Sehschwäche können sich die Ausstellungstexte vorlesen lassen. Der Mediaguide bietet darüber hinaus die Texte in Polnisch und Französisch an. Neben der inhaltlichen und gestalterischen Neuaus­richtung wurde in den vergangenen zwei Jahren seitens des LVR-Gebäude- und Liegenschaftsmanagements die bauliche Sanierung und barrierefreie Erschließung der Gedenkstätte realisiert. In der Vergangenheit war die Gedenkstätte lediglich über eine Treppe erreichbar. Nun wurde der Aufzug, der bisher nur die oberen Stockwerke erschloss, ins Kellergeschoss verlängert. Erstmals haben nun Besucher im Rollstuhl die Möglichkeit, die Gedenkstätte zu besuchen. Hierfür wurden Türen verbreitert und Fluchtwege barrierefrei an­gelegt, soweit es die denk­malgeschützte historische Bausubstanz des Gebäu­des zuließ.

Beispiel der Ausstellung © IIRF/Martin Warnecke

Schirrmacher war vom ehemaligen Ministerpräsi­denten der Landes Nord­rhein-Westfalen, Jürgen Rüttgers, und von der Di­rektorin des Land­schafts­verbandes Rhein­land, Ulri­ke Lubek, einge­laden wer­den. Er hat in zwei Disser­tationen zur Zeit des Natio­nal­sozialis­mus geforscht, zum einen über Hans Nau­mann, den Rektor der Universität Bonn, der von den Nationalsozialisten abgesetzt wurde, zum anderen über ‚Hitlers Kriegsreligion‘ (1995), für die er alle be­kannten Äußerungen Hitlers in Schrift und Aufnahmen verwertete, vor allem solche, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in Archiven des Ostblockstaaten erstmals zugänglich wurden. Schirrmacher überreichte Exemplare des zweibändigen Werkes für das Archiv der Gedenkstätte sowie an mehrere Mitwirkende und Jürgen Rüttgers. Letzterer ist Vorsitzender des Vereins der Freunde der Abtei Brauweiler und setzt sich seit langem intensiv für den Erhalt der Abtei und ihrer Gebäude, für das dortige Museum und für die Gedenkstätte ein.

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