Auch wenn im Folgenden viel Negatives zu berichten ist, ist festzustellen, dass in Indien über eine Milliarde Menschen friedlich zusammenleben und Indien angesichts der aufs Ganze gesehen noch sehr kleinen Zahlen gewalttätiger Übergriffe noch alle Hoffnungen hat, der Lage Herr zu werden, wenn die Regierung nur bereit ist, entschlossen durchzugreifen und die Religionsfreiheit zu einem hohen Gut und unverzichtbaren Kennzeichen der Demokratie macht.
Das Verhältnis der Religionen untereinander ist ein seit der Geburt Indiens 1947 ungelöstes Problem. Das kann man nur mit großem Bedauern feststellen, hat doch dies wunderschöne und vielfältige Riesenland viele andere Hausaufgaben gemacht und in vielen Punkten gegenüber anderen ehemaligen Kolonien große Erfolge aufzuweisen. Es fällt mir schwer, so negativ über ein Land zu schreiben, dass mir solch große Gastfreundschaft gewährt hat.
Doch Mahatma Gandhis unrealistischer Traum der Hindu-Muslim-Einheit ging bereits vor und während der Unabhängigkeit Indiens nicht nur in seiner Ermordung durch einen Hinduextremisten, sondern vor allem in der Spaltung in das vorwiegend hinduistische Indien und das fast rein muslimische Pakistan unter. Die ethnische Säuberung Pakistans und die Vertreibung von Muslimen aus Restindien führten zu einem riesigen Blutbad flüchtender Muslime und Hindus mit 750.000 bis 1.000.000 Toten. 1947–1954, 1965, 1971 und 1999 kam es zu direkten Kriegen zwischen Indien und Pakistan bzw. muslimischen Terrorbewegungen in Kaschmir, der an Pakistan angrenzenden nördlichsten indischen Provinz mit einem hohen Prozentsatz an Muslimen. Seit 1986 kämpfen Muslime in Indien gewaltsam für ein unabhängiges Kaschmir, der Konflikt kostete seit 1989 21.000 Zivilisten das Leben. Die größten Anschläge fanden 1993 in Mumbai (257 Tote), 2001 in Srinagar 2003 und 2006 in Mumbai (57 + 200 Tote), 2005 in Neu-Delhi (62 Tote), 2007 in Hyderabad (42 Tote), 2007 in einem Zug nach Pakistan (65 Tote) und 2008 in verschiedenen Städten (130 Tote) und in Mumbai (174 Tote) statt.
Doch so sehr der islamistische Terror zu verurteilen ist, so ungern wird darüber gesprochen, dass der politische Hinduismus und seine offizielle Duldung mit Schuld an der Situation sind. Er wird offiziell in der Partei Bharatiya Janata Party (BJP) verkörpert, die zeitweise die Bundesregierung stellte und in einigen Bundesstaaten die Parlamentsmehrheit innehat – mit verheerenden Folgen für die Anhänger anderer Religionen.
Diese fundamentalistische Strömung des Hinduismus will zwangsweise den Hinduismus erhalten – etwa indem man die Hunderte Millionen Dalits zwingt, ihre Rolle als Unberührbare weiter zu akzeptieren. Nach ihrer Meinung gehört das Land der Inder nur den Hindus – in den meisten indischen Sprachen sowieso dasselbe Wort. Vielerorts gelten Muslime als Bürger zweiter Klasse und es gab und gibt eine nennenswerte Gewalt seitens indischer Nationalisten gegen Muslime und Moscheen.
Deswegen gibt es in Indien nicht nur gewaltsame Spannungen zwischen Hindus und Muslimen, sondern auch mit anderen Religionen. Im Punjab versuchten die Sikhs gewaltsam einen eigenen Staat zu errichten, was 1980 und 1984 von der indischen Armee brutal beendet wurde, worauf ein Sikh-Leibwächter Indira Gandhi ermordete. Das Problem schwelt bis heute weiter. Das Verhältnis zum Buddhismus ist nur friedlicher, weil viele Hindus den Buddhismus zum Hinduismus zählen. Kommt es aber zu Massenübertritten von Dalits (Unberührbaren) zum Buddhismus, bekommen auch Buddhisten den Hass zu spüren.
Erst wenn man dies sieht, versteht man auch den Zusammenhang mit der erschreckend zunehmenden Gewalt gegen Christen aller Art, gegen die seit 1800 Jahren alteingesessenen Thomaschristen ebenso wie gegen die seit 450 Jahren im Land bestehenden Katholiken und die seit 250 Jahren im Land lebenden Protestanten.
Solange die Zentralregierung gegen religiöse Gewalt von fundamentalistischen Hindus gegen Dalits, Muslime, Sikhs, Stammesreligionen, Juden, Christen und andere nicht konsequent vorgeht, sondern Bundesstaaten gewähren lässt, parteiliche Gerichtsurteile unterstützt und im Wahlkampf mit religionsnationalistischen Äußerungen auf Stimmenfang geht, schürt sie nur die Gegengewalt der Religionsanhänger, die prinzipiell gewaltbereit sind. Glücklicherweise zählen die Christen zu den friedlichen Bürgern des Landes und verhalten sich pazifistisch gegenüber Angriffen, auch wenn sie zwischen die Fronten gewalttätiger Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und Hindus geraten.
Religionsfreiheit ist nie nur eine Frage schöner Worte in Verfassungen, sondern auch eine Frage der Bereitschaft der Träger des Gewaltmonopols, gegen die vorzugehen, die die Religionsfreiheit gewaltsam verhindern wollen. Dazu benötigt man 1. gute Gesetze, 2. den Einsatz von Polizei und Bundesheer zum Schutz der Opfer und 3. durch gerechte Aufarbeitung vor Gericht und gerechte Ahndung. An allen drei Punkten mangelt es in Indien.
Schreiben Sie einen Kommentar