Ein Kommentar von Thomas Schirrmacher
Einer der beiden christlichen Gouverneure Indonesiens, der Gouverneur von Jakarta, und damit der bedeutendste christliche Politiker des Landes, Tjahaja Purnamas, kurz ‚Ahok‘ genannt, durfte beinahe nicht zur als sicher geltenden Wiederwahl antreten, da ein Blasphemiefall gegen ihn anhängig war. Denn der ganze Grund für das Spektakel war – da sind sich Freund und Feind einig – die Verhinderung der Wiederwahl, nicht die Sorge um Gott oder ein heiliges Buch. Trotzdem waren alle erschrocken, dass die Richter nicht eine Bewährungsstrafe verhängten, wie vom Staatsanwalt gefordert, sondern eine zweijährige Haft ohne Bewährung.
Die Beschäftigung mit absurdesten Verletzungen der Religionsfreiheit sind für mich beruflicher Alltag. Wenn es aber einen Freund wie ‚Ahok‘ trifft und wenn es ein Land trifft, dass ich so liebe und so oft gegen übertriebene Vorwürfe in Schutz genommen habe wie Indonesien, trifft es mich mit voller Wucht, und ich könnte heulen oder schreien oder sonst wie sehr emotional reagieren. Zwar hatte er die letzten Jahre immer wieder erzählt, welche Anschläge es auf sein Leben gab, sogar an Polizei und Leibwächtern vorbei vor seinem Amtszimmer, aber nie war dabei der Staat selbst die Gefahr. Und er war sich im Klaren, dass viele Nutznießer der früheren Korruption eine Rechnung mit ihm offen hatten, aber dass der Staat ihnen diese Rache ermöglicht, ja ausführt, obwohl seine Feinde so offensichtlich die religiöse Karte für böse Ziele gezückt haben, damit hat er nie gerechnet.
Nur um zu verhindern, dass ein überaus beliebter christlicher Gouverneur wiedergewählt wird, öffneten nicht nur 200.000 demonstrierende fanatische Muslime die Büchse der Pandora, sondern auch die säkulare Gerichtsbarkeit, hier das Bezirksgericht von Nord-Jakarta. Was aus dieser Blasphemie-Büchse entweicht, das zeigt etwa ein anderes Land der Region, nämlich Pakistan, ist nicht wieder einzufangen und kann am Ende große Länder unter sich begraben. Bisher lagen Welten zwischen Pakistan und Indonesien, aber das könnte schneller vorbei sein, als man denkt. Vor allem, wenn das irrsinnige indonesische Blasphemiegesetz (genauer § 156a des Strafgesetzbuches) nicht ersatzlos gestrichen wird.
Noch vor kurzem wurde der derzeitige Präsident Indonesiens gewählt, obwohl oder weil er jahrelang zusammen mit dem Christen Ahok Jakarta gut regiert und die Korruption erfolgreich bekämpft hatte, wobei Ahok ihn automatisch 2014 als Gouverneur von Jakarta beerbte. Heute sitzt derselbe Christ für nichts im Gefängnis, und der Präsident wirkt wie gelähmt, seine Stimme dagegen zu erheben. Auch der Rat („Ulema“) der muslimischen Geistlichen des Landes, der schon oft deutliche Worte für die Religionsfreiheit gefunden hatte, schweigt plötzlich. Begreifen diese muslimischen Gelehrten nicht, dass sie selbst schnell die Nächsten sind, wenn es so weitergeht?
Das Land weiß gar nicht, welchen Schaden sein Ruf nimmt, wenn einer der wichtigsten Politiker nur deswegen zwei Jahre ins Gefängnis muss, weil er den Koran zitiert hat (genauer die 5. Sure), um zu begründen, dass Muslime mit Christen zusammenarbeiten dürfen. Er hat niemanden beleidigt, den Islam nicht schlecht gemacht (was an sich natürlich auch keine kriminelle Handlung wäre), und jeder weiß, dass man ihm nur deswegen die Blasphemie angehängt hat, weil er dann nicht als Kandidat für seine als sicher geltende Wiederwahl antreten durfte oder aber seine Chancen stark sinken würden, wie es denn bei der Wahl selbst auch geschah.
Noch schlimmer ist: Die säkulare Gerichtsbarkeit hat ihn nicht beschützt, sondern aus einer harmlosen Verurteilung eine schlimme gemacht, und das ohne jede Not. Die FAZ nennt das zu Recht einen „Sieg des politischen Islam“, das Letzte, was Indonesien (und die Welt) gebrauchen kann.
Indonesien hat auf oberster Ebene plötzlich einen Blasphemiefall wie sie etwa in Pakistan an der Tagesordnung sind. Er beweist auch, dass wie in Pakistan im Kampf gegen religiöse Minderheiten die völlige Beugung des Rechts zulässig ist. Eine Katastrophe pur für ein Land, dessen Regierung vehement betont, dass Indonesien kein islamischer Staat sei, sondern ein säkularer Staat mit einer muslimischen Bevölkerungsmehrheit. Die Richter sahen das aber wohl anders, und man kann jetzt nur noch hoffen, dass die nächst höheren Richter noch versuchen, diesen Zug anzuhalten, sonst sind die Tore endgültig geöffnet, jeden missliebigen christlichen oder schiitischen Nachbarn mit einer wahllosen Behauptung aus dem Verkehr ziehen zu können, wie es etwa die Ahmadiyya-Muslime in Pakistan und Indonesien längst erleben.
Noch etwas: Chinesen, die Christen sind, wie Ahok, gehören in Indonesien einer doppelt diskriminierten Minderheit an. Dennoch gehören zahlreiche von ihnen zu den reichsten Indonesiern und ihre Bereitschaft, in Großprojekte zu investieren, ist legendär. Sie haben Millionen von Arbeitsplätzen geschaffen und sind äußerst freigiebig für soziale Projekte aller Art, aber auch in Sachen Finanzierung von Bildung und Hochschulforschung. Sollte diese Minderheit in die Enge getrieben werden, findet sie in der Nähe Indonesiens genug Länder, die investitionsfreudige Chinesen gerne aufnehmen. Das ist aber wieder einmal radikalen Muslimen egal, ihnen geht es nicht um das Wohl des Landes. Schon jetzt macht sich bemerkbar, dass die Lust, in Indonesien zu investieren, angesichts der Unduldsamkeit und fehlenden Rechtsstaatlichkeit schwer leidet.
Siehe auch „Ein Sieg des politischen Islam“ von Till Fähnders und Blasphemie-Gesetz in Indonesien – Staatlich verordneter Glaube.
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