Von Michaela Koller, 11. März 2021, Die Tagesport

Thomas Schirrmacher im Gespräch mit Papst Franziskus bei der Familiensynode 2015 © Thomas Schirrmacher

Der neue Generalsekretär der Weltweiten Evangelischen Allianz, Bischof Thomas Schirrmacher, spricht im Interview mit der „Tagespost“ über seine ökumenische Beziehung zu Papst Franziskus, über christliche Mission und wie er schon als Kind verfolgten Christen begegnete.

Sie haben im Jahr 2017 das Buch „Kaffeepausen mit dem Papst“ veröffentlicht. Wie bevorzugt Papst Franziskus denn seinen Kaffee?

Im Frühstücksraum und auch in den Pausen habe ich beobachtet, dass er Kaffee, ein wenig verlängert, schwarz trinkt.

Und Sie selbst?

Ich trinke ihn mit Milch und Süßstoff.

Jenseits der Kaffeegewohnheiten und der Konfession gibt es dennoch Verbindendes. Sie freuten sich 2013 über die Wahl Kardinal Jorge Mario Bergoglios zum Oberhaupt der katholischen Kirche. Was war damals über seine Ökumene-Fähigkeit bekannt?

Im Gegensatz zu Brasilien, wo man nicht gerade von einem guten Verhältnis der Konfessionen untereinander sprechen kann, war über Argentinien bekannt, dass dort die gesamte Atmosphäre zwischen unseren Freunden und der katholischen Kirche, die er wesentlich mitgeprägt hat, positiv ist. Das fing damit an, dass man sich das Gegenüber im Original anhörte und prinzipiell schätzte. Es gab die Geschichte von seiner Mutter, die ihm Anstand gegenüber einer Offizierin der Heilsarmee beibrachte und ihm erklärte, was sie dort alles Gutes tun. Wenn große Evangelisationsveranstaltungen stattfanden, ist er auch ohne Einladung dort aufgetaucht, um zur Eröffnung zu beten. Von Anfang an war klar, dass er ein Beziehungsmensch ist. Die Erfahrung zeigt: Wenn auf der obersten Ebene persönliche Beziehungen vorhanden sind, kann man auch über theologisch strittige Fragen sprechen. Papst Franziskus hat früh gesagt, dass das Wort  Sekte  für Mitchristen gestrichen wird. So konnten wir aussortieren, was wirklich strittige Themen und was einfach nur dumme Gerüchte übereinander sind.

Wie lebendig ist die Ökumene nun auf dieser obersten Ebene? Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit?

Es ist eigentlich wie erwartet positiv weitergegangen. Den Unterschied stellen wir am meisten in der Gruppe „Secretaries for Christian World Communions“ fest. Dort gab es lange schon ein vertrauliches Miteinander, weil die Gespräche unter Ausschluss der Öffentlichkeit verlaufen. In Anwesenheit hochrangiger katholischer Vertreter wurde es dort sehr förmlich. Seit Franziskus Papst ist, ist es nicht mehr entscheidend, mit welcher Hierarchie-Ebene man spricht. Ich halte zwar große Stücke auch auf Papst Benedikt XVI., aber es war damals noch eine förmlichere Vorgehensweise. Das bedeutete, dass man im Vatikan nur mit jemandem sprechen konnte, dessen Rang auf derselben Höhe war. Das hat Franziskus ja auch im Vatikan geändert. Wenn er eine Expertise von uns benötigt, dann können wir den betreffenden Experten selbst entsenden. Aber es gibt auch Themen, bei denen wir uns gewünscht hätten, dass sie intensiver bearbeitet werden. Das ist bei dem Thema Christenverfolgung der Fall.

Bereits als Stellvertreter des Generalsekretärs, als Mitglied der Kommission Religionsfreiheit sowie als Leiter der Theologischen Kommission haben Sie Spuren hinterlassen. So stützt sich die fruchtbare Zusammenarbeit auch auf das Dokument „Das christliche Zeugnis in einer multireligiösen Welt“, das die großen christlichen Kirchen im Sommer 2011 verabschiedeten. Wie ist das zustande gekommen?

Der Prozess begann im Jahr 2006, als der Vatikan, zusammen mit dem Ökumenischen Rat der Kirchen, ein Statement mit Vertretern anderer Religionen über friedliche Mission verfassen wollte. Die Zunahme an Anti-Bekehrungsgesetzen in vielen Ländern gab dazu einen Anlass. Ich bin vom Weltkirchenrat als Experte hinzugezogen worden, sah aber sehr schnell, dass dabei diejenigen, die nicht missionieren, eine Stellungnahme darüber abgeben, was diejenigen, die Mission betreiben, tun sollten, und diese das als Angriff sehen würden. Ich habe damals vorgeschlagen, dass wir diejenigen, die tatsächlich für Mission verantwortlich sind, mit ins Boot holen, auch von der Weltweiten Evangelischen Allianz, und diese erklären sollten, was sie unter Dialog und friedlicher Zusammenarbeit verstehen. Ich vertrat die Meinung, dass wir Christen das erst einmal untereinander ausmachen sollten. So konnten wir beweisen, dass wir zu einer Erklärung dazu mit Substanz in der Lage sind. Zu Beginn dachten wir, dass es nie umgesetzt wird. Mit der Zeit wurde mir aber klar, dass Papst Benedikt auch auf der Seite der WEA ist. Der Weltkirchenrat in Genf hat erst ganz kurz vor der Veröffentlichung zugestimmt. Die Grundlagen, auf die wir uns geeinigt haben, waren immer biblisch. Die Grundargumentation am Anfang ist: Mission gehört zum Wesen der Kirche. Das hat Jesus uns mitgegeben. Aber Mission muss im Geist und nach dem Gebot Jesu geschehen, wie dem der Nächstenliebe. Papst Benedikt hat dann am Ende in unserem Entwurf nur ein Wort abzuändern gewünscht und drei Druckfehler mit seiner kleinen Handschrift angestrichen. Das war alles. (Er lacht).

Oftmals schon in der Vergangenheit wurden Teile des Netzwerks der Weltweiten Evangelischen Allianz als ein Störfaktor im interreligiösen Dialog dargestellt. Woher kommt dieses Vorurteil wohl?

Bis zu dem Dokument über „Das christliche Zeugnis in einer multireligiösen Welt“ hat es zwischen dem Weltkirchenrat und der Weltweiten Evangelischen Allianz schwere Auseinandersetzungen über das Verhältnis von Dialog und Mission gegeben. Die WEA hat nie unter Dialog verstanden, dass man die Mission zurückfährt. Daher haben sie manche Dialogappelle so aufgefasst, als wenn sie auf Mission verzichten. Die Haltung, jede Art von Dialog suspekt zu finden, dominierte.

Ich kenne Sie als Präsident des Internationalen Rates der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM). Wie kommt ein reformierter Theologe und Religionswissenschaftler auf die Themen Religionsfreiheit, Menschenhandel und Sklaverei, für die Sie international als Experte gefragt sind?

Meine Eltern sind ihr Leben lang im Vorstand eines internationalen Missionswerks gewesen. Wenn neue Missionare kamen, gehörte ein Anstandsbesuch bei uns immer dazu. Jüngere Ehepaare waren das meistens, aber auch Ältere, Erfahrene wie der Prediger Billy Graham. Als Kind bin ich auch erstmals bewusst mit dem Thema Christenverfolgung in Berührung gekommen, als wir Festo Kivengere, den anglikanischen Erzbischof aus Uganda, zu Gast hatten. Er wurde von Idi Amin verfolgt, verfasste dann das Buch „Ich liebe Idi Amin“. Das hat mich zudem früh gegen Rassismus geimpft, denn solche Gäste haben meine Eltern in hohen Ehren gehalten. Den Respekt vor anderen Kulturen habe ich wirklich mit der Muttermilch aufgesogen. Ich habe später lange in zwei Welten gelebt: Eine Karriere als Theologieprofessor und gleichzeitig eine säkulare Laufbahn in der Soziologie und vergleichenden Religionswissenschaft, über die ich durch das Fachgebiet ethnische Minderheiten auf den Bereich Menschenrechte gekommen bin. Zusammengeführt wurde das, seit ich begann, mich während des Studiums mit verfolgten Christen zu beschäftigen. Das hat eigentlich all mein ökumenisches Wirken hervorgebracht.

Sie haben Christenverfolgung im Jahr 2017 unbeirrt beim Großimam der Badshahi Moschee in der pakistanischen Stadt Lahore, Maulana Abdul Khabir Azad, angesprochen. Sie waren mit der Menschenrechtsanwältin Aneeqa Anthony bei ihm. Fühlten Sie sich verstanden?

Ich glaube, dass der Dank dafür, dass er Christen in Lahore beschützt hat, voll und ganz angekommen ist. Ich bekam später mit, dass diese Geschichte unter Muslimen weitererzählt wurde und dass er dazu stand, wenn das Thema nur unter Muslimen aufkam. Schließlich galt er dadurch unter ihnen als mutiger Mann. Ich glaube, dass sich das Verhältnis verändert, wenn wir uns bei Muslimen für Hilfe bedanken. Allerdings betrifft dies nur die Großwetterlage, nicht das Schicksal einzelner von Verletzungen der Religionsfreiheit Betroffener.

Wir haben gerade an diesem Wochenende eine besondere islamisch-christliche Begegnung im Irak verfolgen können. Premierminister Al-Kasimi erklärte in Bagdad, künftig sei der 6. März als Nationaler Tag der Toleranz und Koexistenz ein Feiertag. Welche Hoffnungen weckt dies auf christlicher Seite?

Das betrifft auch wieder nur die Großwetterlage. Er erinnert die Mehrheit daran, dass Christen auch Menschen sind. Man kann sie nun nicht mehr ganz so leicht verurteilen, weil man nett miteinander redet. Wenn man die Christen dort fragen würde, hätten sie sich sicher etwas gewünscht, das unmittelbar in ihre Lage eingreift. Sie können sich dadurch wohl kaum auf etwas berufen.

Werden Sie als Generalsekretär etwas anders machen als in der Position zuvor?

Ich bin jetzt für das Budget und die Einsetzung von Personal in mehreren hundert Ämtern zuständig. Dank der Unterstützung durch Stellvertreter habe ich die Möglichkeit, mich auf Außenbeziehungen und besondere Probleme zu konzentrieren. Das sind Aufgaben, die nicht viel anders sind als zuvor.

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