Warum nur der für Menschenrechte ist, der sie auch für seinen politischen Gegner verteidigt

Im ökumenischen Pfarrbrief zweier Kirchengemeinden des kleinen Ortes Gilching in Bayern fand sich auf der Rückseite eine Grafik mit dem Text „Menschenrechte statt rechte Menschen“.

Dass im Hintergrund die Fenster einer ‚Kirche‘ in Denver (USA) gezeigt wurde, die den Cannabisgebrauch als Sakrament zum Zentrum einer nichtchristlichen Religion macht („Internationale Kirche von Cannabis“), machte die Sache noch verwirrender, auch wenn sie nur den zweiten Teil des Slogans, „Kirche ist bunt! Gott sei Dank!“ illustrieren soll. Dasselbe gilt für die auffällige, braune Umrandung des Wortes „rechte Menschen“, als wären alle Rechten ‚braun‘. Und dann muss dafür auch noch Gott herhalten! So ganz klar ist die Aussage dabei nicht. Weil Kirche bunt ist, sind Rechte/Braune ausgeschlossen? Rechte Menschen, was auch immer man darunter versteht, sind schlimmer als Cannabisverehrer?

Sicher, die Pfarrer haben sich entschuldigt, sicher, das Heft erschien in einem kleinen Ort und wurde kaum verbreitet, wobei die Grafik es aber ins soziale Netz schaffte. Also könnte man alles auf sich beruhen lassen.

Aber ich will den Anlass trotzdem aufgreifen, weil die Aussage symptomatisch ist und in seltener Plumpheit formuliert, was oft unausgesprochen oder versteckter formuliert im Hintergrund steht.

Zudem: Wenn man bei Google den Slogan „Menschenrechte statt rechte Menschen“ (mit Anführungsstrichen) eingibt und dann auf ‚Bilder‘ klickt, erscheinen mehr als Hundert verschiedene grafische Darstellungen des Satzes. Man kann ihn auf T-Shirts und Pullovern kaufen, er wird als Plakat und Banner bei Demos verwendet, ist Thema von Protestveranstaltungen aller Art, findet sich auf Webseiten von SPD-Ortsverbänden, wurde auch schon mal vom schleswig-holsteinischen SPD-Landesvorsitzenden Ralf Stegner als „Spruch des Tages“ getwittert und wird als Sticker von den Jusos produziert.

Vorweg sei gesagt, dass die historische Einteilung in ‚rechts‘ und ‚links‘ gemäß der Sitzverteilung früherer Parlamente sowieso für eine ernsthafte, differenzierte Diskussion nicht (mehr) taugt. Ich kenne viele Menschen, die in bestimmten Fragen ‚links‘ und gleichzeitig in anderen ‚rechts‘ denken. Das gilt auch für Parteien, denn es gibt weltweit viele, die je nach Thema auf beiden Seiten einzuordnen sind. Was hilft das rechts/links-Schema etwa, um die gegenwärtige FDP zu beschreiben? Zudem stellt inzwischen – zum Teil Dank einer zweihundertjährigen gegenseitigen Verunglimpfung des jeweils anderen Lagers – die ‚Mitte‘ einen starken Anziehungs- und Identifikationspunkt für viele Bürger dar, die rechts und links in unterschiedlichen Mischungen enthält.

Aber ich will im Folgenden einmal so tun, als wenn das rechts/links-Schema wirklich noch Sinn macht.

Und noch eines vorneweg: Man kann ‚links‘ sein und trotzdem meinen, dass dieser Slogan zu weit geht.

„Menschenrechte statt rechte Menschen“

Zum ersten stellt sich die Frage, ob sich Kirchengemeinden so eindeutig als links positionieren sollten, wie es dieser Slogan – wenn auch indirekt – tut, und das unabhängig davon, wie er „rechts“ versteht. Haben nicht neben „Rechten“ wie Hitler auch „Linke“ wie Mao oder Stalin die Kirche bekämpft? Und ist es nicht überhaupt gefährlich, wenn Kirchengemeinden das für alle Zeiten, Kulturen und Menschen gültige Evangelium und die sich daraus ergebenden Werte mit politischen Positionen nationaler Politik einer bestimmten Zeit verknüpfen?

Zum zweiten soll damit wohl gesagt werden, dass alle ‚rechten‘ Menschen irgendwie anrüchig sind und in der bunten Kirche nichts zu suchen haben und man sie lieber nicht in der Gesellschaft sehen möchte. Bei dieser pauschalen Verurteilung ist es dann umso misslicher, dass vage bleibt, wer denn eigentlich ‚rechts‘ ist und wieviele Menschen damit gemeint sind.

Meint man damit Rechtsextremisten – und warum sagt man es dann nicht?

Meint man damit Rechtsextreme und Rechtspopulisten – und warum sagt man das nicht, unterscheidet aber beide auch deutlich? Denn per Definition sind Rechtsextremisten solche, die die Demokratie abschaffen wollen, Rechtspopulisten die, die sie nutzen wollen.

Oder meint man damit alle, die nicht links sind? Das wären bei der letzten Bundestagswahl wohl mehr als die Hälfte der Wähler gewesen, vermutlich auch der Nichtwähler.

Zum dritten wird damit unterstellt, dass man entweder für Menschenrechte ist oder ‚rechts‘ ist. Das soll wohl andeuten, dass Nicht-Rechte immer für den Schutz der Menschenrechte sind. Das ist natürlich Unsinn. Es gibt rechts wie links Extremisten und Populisten, die einige oder alle Menschenrechte einschränken wollen oder gar ablehnen. Und zumindest für den Bereich rechtspopulistischer Parteien ist es zu einfach zu sagen, sie lehnten die Menschenrechte ab.

Zum vierten ist der Slogan nicht gegen eine für falsch gehaltene politische Sicht gerichtet, sondern ‚ad personam‘ gegen Menschen. Man verurteilt die Anderen, und will sie irgendwie nicht mehr in der Kirche haben. Kirchen unterscheiden sonst immer zwischen Sündern und Sünde, warum diesmal nicht? Und Kirche bietet zumindest jedem Seelsorge und Gottes Vergebung an, warum den ‚Rechten‘ nicht? Denn der Slogan heißt ja nicht „Rechte, kehrt um!“, „Rechte, tut Buße“.

Das ist um so ungewöhnlicher, als das Positive keine Personen sind, sondern die Menschenrechte. Sicher ist das auch dem Wortspiel geschuldet, aber trotzdem hätte das Gegenstück dann etwas Entsprechendes sein sollen, zum Beispiel „die Ablehnung der Menschenrechte durch Rechte“.

Zum fünften setzt man – nur dann wäre der Slogan halbwegs verständlich – ‚rechts‘ und ‚rechtsextrem‘ und/oder ‚rechtspopulistisch‘ gleich. Dafür liefern die großen Medien täglich ebenso viele Beispiele wie viele Politiker linker (und linksextremer) deutscher Parteien oder Künstler (‚Rock gegen Rechts‘, korrekt müsste es heißen ‚Rock gegen Rechtsextrem‘). Man unterscheidet aber in der Regel weiterhin deutlich zwischen ‚links‘ und ‚linksextrem‘ und ‚linkspopulistisch’.

Selbst wenn man sagt, dass das längst verbreiteter Sprachgebrauch sei: Sollten Kirchen nicht etwas differenzierter reden, vor allem wenn sie in einem Slogan viele andere Menschen verurteilen?

Mathias Brodkorb ist heute Finanzminister in Mecklenburg-Vorpommern, zudem ausgewiesener Experte zum Rechtsextremismus (z. B. Metamorphosen von rechts. Eine Einführung in Strategie und Ideologie des modernen Rechtsextremismus. Westfälisches Dampfboot, Münster 2003; Extremistenjäger!? Der Extremismus-Begriff und der demokratische Verfassungsstaat. Adebor, Banzkow 2011). Er hat bereits 2008 als Fraktionsvorsitzender der SPD im Landtag in der Süddeutschen Zeitung kritisiert, dass die SPD zu oft die Praxis teile, statt von „rechtsextrem“ einfach von „rechts“ zu sprechen, in der Hoffnung, dass damit die CDU in Misskredit gerate. Auf Dauer werde sich das rächen. Mathias Brotkorb (SPD) reagierte darauf, dass ausgerechnet der CDU-Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Lorenz Caffier, und der ihm unterstellte Verfassungsschutz ein „Comic gegen Rechts“ veröffentlichten. [Mathias Brotkorb. „Der metaphysische Nazi – die SPD als nützlicher Idiot des bürgerlichen Lagers“. 30.11.2008. Nachdruck aus der Süddeutschen Zeitung.]

Eckhard Jesse. „Warum wir linke Gewalt milder bewerten als rechte Gewalt“. Der Tagesspiegel vom 20.09.2018, siehe auch hier und hier.

Der Deutschlandfunk befragte dazu den Politikwissenschaftler, Professor an der TU Dresden, Werner J. Patzelt („Werner Patzelt im Gespräch mit Susanne Führer“. „Patzelt: Rechts ist nicht gleich rechtsextrem: Politikprofessor nennt ‚Kampf gegen Rechts‘ undifferenziert“, 2.12.2008).

„Es sei in Deutschland üblich geworden unter dem Etikett ‚rechts‘ alles von nicht links bis rechtsextremistisch zusammenzufassen.“

„Kampf gegen rechts. Das klingt irgendwie immer gut, denn gegen Rechts ist ja bekanntlich jeder anständige Mensch hierzulande. Ob nun engagierte Bürger, ob Journalisten, Politologen oder Politiker, gegen Rechts zu sein, ist nicht nur Ehrensache, das ist eine Selbstverständlichkeit. Aber was oder wer ist denn eigentlich rechts? Ist ein Rechter automatisch ein Nazi? Ist er automatisch rechtsextrem? Nein, meint Mathias Brodkorb, das ist ein SPD-Abgeordneter aus Mecklenburg-Vorpommern. Er findet, dass die Begriffsverwirrung von rechts und rechtsextrem, die auch von seiner eigenen Partei betrieben werde, der politischen Kultur schadet und auch der SPD. Das alles war am … in der ‚Süddeutschen Zeitung‘ zu lesen … “

„Ja, da hat er vollständig recht. Es ist in Deutschland üblich geworden unter dem Etikett ‚rechts‘ alles von nicht links bis rechtsextremistisch zusammenzufassen. Und das Ganze hat im Grunde die Funktion, die CDU mit wirklichen Rechtsradikalen und Rechtsextremisten in einen Topf zu werfen und vom hohen Turm des wahrhaft politisch Korrekten aus den bösen Gegner zu bekämpfen. Und dass das hier nun differenzierter gesehen werden soll und dass Sozialdemokraten selbst zu dieser Einsicht gelangen, das ist äußerst lobenswert.“

Aber einmal angenommen, dass man die Auffassung vertritt, dass sich nun mal in den Medien der Sprachgebrauch ‚rechts‘ für ‚rechtsextrem‘ durchgesetzt habe und der Satz „Menschenrechte statt rechte Menschen“ eigentlich nur heißen soll „Menschenrechte statt rechtsextreme (und/oder rechtspopulistische) Menschen“. Und einmal angenommen, es spiele auch keine Rolle, wer sich letztlich dann trotzdem zu Unrecht angesprochen und diskriminiert fühle.

Dann gilt immer noch der folgende Punkt:

Zum sechsten aber ist da der irgendwie im Hintergrund stehende Denkfehler, dass überhaupt irgendjemand wegen seiner Ansichten oder Taten weniger Anspruch auf Menschenrechte hätte. Auch Schwerverbrecher verlieren ihre Menschenrechte nicht. Selbst wenn also alle ‚rechten‘ Menschen Verbrecher wären, gälten die Menschenrechte trotzdem für sie. Solange man Mensch ist, ist man auch Träger der Menschenwürde und der sich aus ihnen ergebenden Menschenrechte, auch wenn man ‚rechts‘ ist und wenn man rechtsextrem ist. Ein Mörder hat deswegen das Anrecht auf ein faires Gerichtsverfahren, in dem er nur aufgrund von Gesetzen verurteilt werden darf, die vor der Tat ordnungsgemäß vom Gesetzgeber beschlossen worden sind. Deutschland setzt sich bekanntlich für deutsche Bürger in anderen Ländern ein, wenn sie Verbrechen begangen haben, aber unverhältnismäßig hart bestraft werden sollen, etwa wenn Drogenhändlern die Todesstrafe droht.

Wer für Menschenrechte ist, muss also immer auch dafür sein, dass die Menschenrechte ‚rechter‘ Menschen geschützt werden. Wer ‚rechten‘ Menschen Menschenrechte vorenthalten will, spricht in Wirklichkeit nicht von Menschenrechten, sondern von parteilichen Rechten für seine eigene politische Spezies, die dann wohl eher als ‚links‘ gesehen wird.

Die Feindbilder rechtsextremer und linksextremer Bewegungen und Parteien sind unterschiedlich. Während tendenziell ‚links‘ eher religiöse Gruppen oder die Religion an sich zum Feindbild werden lässt, verbindet man ‚rechts‘ eher mit einer vermeintlich nationalen Religion und wendet sich gegen ‚Gottlose‘ und gegen ungewünschte Religionen. Während man ‚links‘ eher reiche Menschen zu unerwünschten Mitbürgern erklärt, sind auf der ‚rechten‘ Seite die Feindbilder eher arm (z. B. Asylsuchende, arbeitssuchende EU-Bürger, Hartz-4-Empfänger). Liest man von „Sozialschmarotzern“, meint das tendenziell ‚links‘ eher solche, die zu viel haben, ‚rechts‘ solche, die zu wenig haben. Auch der Antisemitismus hat rechts und links unterschiedliche Ausprägungen und damit Sprachregelungen, die auf den ersten Blick nicht vermuten lassen, dass es sich um dasselbe Phänomen handelt. Ich kann jedenfalls mit Blick auf soziologische Studien nicht erkennen, dass es in Geschichte oder Gegenwart einen ganz grundsätzlichen Unterschied zwischen der Aufgeschlossenheit gegenüber Anderen gibt, je nachdem, ob man eher am linken oder am rechten Rand zu Hause ist. Ich bezweifle, dass man aufgrund seiner politischen oder gesellschaftlichen Zuordnung automatisch häufiger oder seltener diskriminiert oder schlechter oder besser mit allen auskommt. Zudem müsste man hier den Befund mitdiskutieren, dass sowohl Wähler als auch Akteure am rechten und am linken Rand nicht selten die Seiten wechseln.

Es gibt auf Seiten ‚linker‘ Organisationen und ihrer intellektuellen Vordenker solche, die meinen, sie hätten den Menschenrechtsgedanken für sich gepachtet und alle anderen würden die Menschenrechte in Theorie und Praxis mit Füßen treten. Sie machen damit aber gerade den Menschenrechtsgedanken, der über allen Parteien steht und jedem Staat vorausgeht, kaputt und zu seiner parteilichen Angelegenheit.

Das reicht auch in solche Menschenrechtsorganisationen hinein, wo eine politisch ‚linke‘ Ausrichtung Voraussetzung für Leitungsaufgaben zu sein scheint, und gilt auch manchmal in Dachverbänden von Menschenrechtsorganisationen, wo oft eine Mehrheit ‚linker‘ Mitgliedsorganisationen die Aufnahme vermeintlich ‚rechter‘ (und nicht rechtsextremer) Organisationen verhindert.

Schade, denn wenn etwas alle Menschen guten Willens rechts und links einen sollte, wäre es der Einsatz für Menschenrechte!

Ich bin kein Freund von Pegida oder der AfD, wie ich öfter öffentlich gesagt, geschrieben und gezeigt habe. Aber gerade wenn man von den Menschenrechten und der Menschenwürde her gegen sie argumentiert, muss der Umgang mit ihnen auch genau das widerspiegeln! Die Rechte der Demonstranten müssen gewahrt werden, solange sie keine Gesetze brechen. Ihre Forderungen sind Thema politischer Diskussion. Erst da, wo sie die Einschränkung von Menschenrechten fordern, was dann klar belegt werden muss, ist eine rote Linie überschritten – erst recht natürlich, wenn sie Gewalt anwenden.

Und auch die Medien haben so zu berichten, dass die Menschenwürde derer, über die berichtet wird, nicht verletzt wird. Das ist aber etwa automatisch der Fall, wenn man Verbrechen und Untaten pauschal mit DEN „Sachsen“, mit „Chemnitz“, mit DEN „neuen Bundesländern“ in Verbindung bringt, aber auch wenn man die Untaten einzelner Demonstranten allen friedlichen Demonstranten zurechnet, die anwesend sind. All solche Verallgemeinerungen habe ich hundertfach im größten Teil der Berichterstattung über die Ereignisse in Chemnitz gelesen. Selten haben diese Journalisten in großer Breite die Demonstrierenden nach ihrer wirklichen Meinung befragt.

PDF-Download
 

Schreiben Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert