Mein Lehrer Heinrich Leonard Cox (1935–2016) verstarb am 6. September 2016 wenige Wochen nach seinem 81. Geburtstag. Da viel zu wenige Nachrufe erschienen sind, möchte ich noch einmal an ihn erinnern.
Heinrich Leonard Cox wurde 1935 in Geleen (Niederlande) im deutsch-niederländischen Grenzgebiet geboren, studierte 1957–1961 an der Universität Nimwegen Deutsche Philologie, Volkskunde und Entwicklungspsychologie und 1961–1963 an der Universität Bonn, 1963–1967 wieder in Nimwegen, wo er mit der Promotion abschloss. Im gleichen Jahr wurde er ebenda Professor für Volkskunde, um kurz darauf Professor für Deutsche Sprache und Literatur des Mittelalters an der Universität Utrecht zu werden. 1975 wurde er als Nachfolger seines Mentors Matthias Zender für über 25 Jahre Professor für Volkskunde an der Universität Bonn, Direktor des Volkskundlichen Seminars und gleichzeitig Leiter der Abteilung für rheinische Volkskunde am damaligen Institut für Geschichtliche Landeskunde der Rheinlande.
„H.L. Cox entfaltete nicht nur als Wissenschaftler große Strahlkraft. Vielmehr drückte er einer ganzen Generation von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, aber auch der Kulturlandschaft des Rheinlandes und der angrenzenden Regionen seinen unverwechselbaren Stempel auf.“ (Gunther Hirschfelder, Josef Mangold, Dela-M. Haverkamp. „Heinrich L. Cox (1935–2016)“ Virtuelle Fachbibliothek Ethnologie.)
Er lehrte alle Spielarten der Volkskunde und der Europäischen Ethnologie bis weit hinein in Sprachwissenschaft und Linguistik, wie sein erfolgreiches Große Wörterbuch Deutsch-Niederländisch und Niederländisch Deutsch (Van Dale groot woordenboek Duits-Nederlands und Van Dale groot woordenboek Duits-Nederlands-Duits) ab 1983 beweist.
„Sein wissenschaftliches Schaffen war von der traditionellen Volkskunde ebenso geprägt wie von der modernen dezidiert europäischen Ethnologie. Der Germanist und Volkskundler Cox verfolgte den grenz-, nationen- und fächerübergreifenden Ansatz konsequent, ohne seine Schwerpunkte der Erzähl- und der Sprachforschung aus dem Blick zu verlieren.“ (Ebd.)
Er war einer der wenigen, der es damals gut fand, dass ich auch Ethnologie und in den USA Kulturanthropologie studierte [siehe meinen Artikel „Getrennte Schwestern: Volkskunde und Völkerkunde“. Querschnitte 2 (1989) 2 (Apr–Jun): 27–28] – heute ist diese Debatte Geschichte und die neu aufgestellte Bonner Volkskunde bietet ihren Master zusammen mit der Bonner Ethnologie an [siehe hier und hier]. Ich habe es auch Cox zu verdanken, dass ich in Los Angeles in Kulturanthropologie über den Bonner Rektor, Germanisten und Volkskundler Hans Naumann promovierte und die Grenzen der Kultur- und Sprachenfächer überschritt. Immerhin war es Cox gewesen, der mir in der ersten volkskundlichen Veranstaltung, die ich besuchte, Naumanns Theorie vom gesunkenen Kulturgut eindrücklich und unvergesslich vor Augen führte.
Cox war ein genialer Organisator und Wissenschaftsmanager, der eine enorme Zahl an Fachzeitschriften edierte und am Laufen hielt und ungezählte kleine und große Symposien usw. organisierte.
Nur wenige erlebten wie ich auch den humorvollen Cox, wenn er in privater, gelöster Athmosphäre war. Manchmal zeigte sich das auch in den Lehrveranstaltungen. Großen Spaß machte Cox, dass meine Frau und ich als Ehepaar in seinen Seminaren saßen. Er sprach uns grundsätzlich schelmisch nur als „Geschwister Schirrmacher“ an.
Viele meiner späteren Studien sind von Cox angeregt worden.
[Siehe mein Buch Zur Kritik der marxistischen Sagen- und Märchenforschung und andere volkskundliche Beiträge. Verlag für Kultur und Wissenschaft: Bonn, 19921; 20022. 227 S. und darin vor allem: I. „Sozialhistorische Aspekte der Märchen- und Sagenforschung“. S. 7–46; II. „Ländliche Nahrung in der Westeifel“. S. 47–62; III. „Heimat und Fremde am Beispiel der Sauerländer Wanderhändler“. S. 63-73; IV. „Bonner Fastnacht im Spiegel des Bonner Wochenblatts 1808–1843“. S. 74–108; V. „Zur neuesten volkskundlichen Riehl-Diskussion 1977–1985“. S. 109–136; VIII. „Familie in Deutschland in Geschichte und Gegenwart“. S. 186–212; IX. „Miszellen zur deutsche Sprache: Das Wort ‚Geschichte‘“. S. 213–217 „Neues zur Sprache der DDR“. S. 218–221; X. „Kurzrezensionen volkskundlicher Werke“. S. 222–227]
Es war kein Zufall, dass mir Cox als Niederländer erlaubte, die Akten der Bonner Volkskunde und des Instituts für geschichtliche Landeskunde aus der NS-Zeit uneingeschränkt untersuchen zu dürfen, sein Vorgänger hatte das noch nicht zugelassen, geschweige denn angestoßen. Dies geschah zunächst im Rahmen eines Praktikums während des Studiums, dann auch im Rahmen meiner kulturanthropologischen Dissertation in Los Angeles über Hans Naumann. Viele der Daten zur Bonner Volkskunde habe ich im Anhang der Dissertation veröffentlicht.
[Siehe mein Buch „Der göttliche Volkstumsbegriff“ und der „Glaube an Deutschlands Größe und heilige Sendung“: Hans Naumann als Volkskundler und Germanist im Nationalsozialismus. einbändige Ausgabe. Verlag für Kultur und Wissenschaft: Bonn, 20002 (19951). 606 S.; zur Geschichte der Bonner Volkskunde S. 462–494, 554–556. Wichtige Rezensionen in: Mitteilungen des Marbacher Arbeitskreises für Geschichte und Germanistik (Deutsches Literaturarchiv) 7+8/1994 (15.11.): 29 und von Esther Gajek in: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 1996: 213–214]
Die damals erschreckendste und bis dahin völlig unbekannte Information bezog sich darauf, dass Prof. Joseph Plassmann, Obersturmbannführer der SS und Abteilungsleiter im SS-Ahnenerbe, noch 1944 zum Direktor ernannt wurde (ebd. S. 492). Sicher trat er sein Amt nie an, aber das erklärt nicht, warum sein Name nach 1946 nie genannt wurde und auch nicht im Jahresbericht und Vorlesungsverzeichnis der Universität erscheint, wo ja auch andere Personen genannt werden, wenn sie offiziell berufen wurden, dann aber aus Kriegsgründen ihr Amt nicht antraten. Plassmann hat vergeblich auf seine Wiedereinsetzung geklagt, aber angesichts seiner Vergangenheit erstaunlicherweise eine Pension erhalten, was ja auch bedeutete, dass die Universität ihn als ehemaligen Mitarbeiter führte.
Links:
- Nachruf der Kollegen
- Viel zu kurzer Wikipedia-Eintrag
- Biografie in der Traueranzeige
Literatur:
- Biografie und Bibliografie bis 2000: Gunther Hirschfelder, Dorothea Schell, Adelheid Schrutka-Rechtenstamm (Hrsg.): Kulturen – Sprachen – Übergänge. Festschrift für Heinrich Leonhard Cox zum 65. Geburtstag. Böhlau, Köln/Weimar/Wien 2000. S. XI – XXVI’.
- Katrin Bauer, Lina Franken (Hg.). Räume, Dinge, Menschen: Eine Bonner Kulturwissenschaft im Spiegel der Narrative. Waxmann: Münster, 2015. S. 31-35, 114-115.
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