Zur Kritik der These von Milton Diamond
Der emeritierte Medizinprofessor von der Universität Hawaii und Leiter des ‚Pacific Center for Sex and Society‘, Milton Diamond, hat zusammen mit den beiden tschechischen Forschern Eva Jozifkova und Petr Weiss in einem Artikel „Pornography and Sex Crime in the Czech Republic“ der Onlineausgabe der angesehenen Fachzeitschrift des Springer Verlages ‚Archives of Sexual Behavior‘ vom 30.11.2010 (hier und hier; Kurzfassung hier: Springer. „Legalizing pornography: Lower sex crime rates? Study carried out in Czech Republic shows results similar to those in Japan and Denmark.“ ScienceDaily 30 November 2010. 10 February 2011 www.sciencedaily.com) behauptet, in der Tschechischen Republik sei mit der Freigabe der Kinderpornografie die Zahl der Fälle von Kindesmissbrauch gesunken, weswegen man Kinderpornografie legalisieren sollte. Angesichts der steilen und umstrittenen Forderung ist der Artikel erstaunlich oberflächlich und lässt eine breite internationale Diskussion einfach links liegen. Vier Dinge habe ich zu kritisieren:
1. Die Datengrundlage ist sehr unzuverlässig. Wenn man bedenkt, dass Diamond die gesetzliche Freigabe der Kinderpornografie darauf aufbaut, ist es erstaunlich, dass er die Unzuverlässigkeit, ja Unvergleichbarkeit seiner Datengrundlage praktisch nicht diskutiert. Kann man davon ausgehen, dass das Erfassen von Fällen von Kindesmissbrauch in den Jahrzehnten des Kommunismus, in der Zeit nach der Wende und heute wirklich so gleichermaßen und zuverlässig erfolgte, gerade bei einem Vergehen, bei dem die Dunkelziffer immer sehr hoch ist und stark schwankt? Doch wenn man wissen will, wie die Daten erfasst wurden, wie kontrolliert wurde, ob sie vergleichbar sind, erfährt man nur „Data on the number of crimes reported were obtained from the Ministry of Interior.“ Das schließt jede Möglichkeit der wissenschaftlichen Überprüfung aus.
2. Kann man tatsächlich eine so einlinige Verbindung herstellen, dass die Freigabe von Kinderpornografie und das Sinken der Zahl der registrierten Fälle von Kindesmissbrauch zusammenhängen, insbesondere wenn innerhalb des Sinkens über einen langen Zeitraum Schwankungen liegen, ja eine Spitze 1995 ff., die über den Zahlen für die Zeit vor 1989 liegt? Das ist wirklich zu simpel, wenn man anschaut, welchen grundlegenden politischen Wandel die Tschechische Republik durchgemacht hat, wie kompliziert moderne Gesellschaften sind und wie schwer es ist, in Bereichen mit großen Dunkelziffern wie dem Kindesmissbrauch verlässliche Zahlen zu bekommen. Diamond diskutiert jedoch noch nicht einmal andere Erklärungsansätze oder versucht, andere Faktoren abzugleichen oder herauszurechnen, ein für soziologische Forschung inakzeptables Verfahren. Auch gibt Diamond an, das die Zahl der Fälle von Kindesmissbrauch von 1989 bis 1995 erst anstieg, dann ab 1998 aber wieder fiel. Eine Erklärung dafür, warum die Freigabe der Kinderpornografie erst ein Jahrzehnt zu einem Anstieg des Kindesmissbrauches führte und erst dann zu einem Rückgang, gibt er nicht.
3. Selbst wenn sich dieser Zusammenhang zwischen Freigabe der Kinderpornografie und der Häufigkeit von Kindesmissbrauch herstellen ließe: Die Logik, dass man ein Übel freigibt, weil es hilft ein anderes Übel zu reduzieren, ist sehr gefährlich. Sollen wir das Schlagen von Frauen zulassen, wenn es nachweislich die Zahl ermordeter Frauen reduzieren würde?
4. Die Sichtweise, dass Kinderpornografie harmlos ist und wenn ihre Freigabe die Häufigkeit des Kindesmissbrauchs senkt, erlaubt, ja gefördert werden sollte, scheitert daran, dass die Herstellung von Kinderpornografie selbst fast immer mit dem Missbrauch von Kindern und allzuoft mit Kinderhandel (und Frauenhandel) verbunden ist, angefangen von Eltern, die ihre Kinder zur vorübergehenden Nutzung verkaufen bis hin zu organisierten Verbrechernetzwerken über alle Kontinente hinweg. Das scheint der Autor nicht zu wissen oder bewusst auszulassen, obwohl es dazu eine breite internationale Diskussion gibt.
Wie naiv Diamond hier argumentiert, zeigt sein Schluss: „We do not approve of the use of real children in the production of child pornography but artificially produced materials might serve.“ („Wir sind nicht dafür, das echte Kinder in der Herstellung von Kinderpornografie benutzt werden, aber künstlich hergestelltes Material könnte eine Hilfe sein.“)
Wie kann man so verharmlosend reden? Und was hat ein solcher Unsinn mit Wissenschaft zu tun? Und was heißt „künstlich hergestelltes Material“? Auch in der Erwachsenenpornografie wird zwar eine Menge retuschiert, aber Echtaufnahmen als Ausgangspunkt sind viel billiger als rein virtuelle Produktionen. Wer sich mit Kinderhandel und Sextourismus beschäftigt, weiß, dass versklavte Kinder für Aufnahmen so billig zur Verfügung stehen, dass dafür niemals ein Hightechgrafiker für virtuelle Filme zu bezahlen wäre.
5. Diamond ist sehr voreingenommen gegenüber andersdenkenden Kollegen. Gleich zu Beginn seines Beitrages findet er zwar Platz, um andere Wissenschaftler, die kritische Artikel zum Verhältnis von Pornografienutzung und Sexualdelikten veröffentlichen, verächtlich zu machen („Extremists“) und Leute negativ zu benennen, die den Playboy für Pornografie halten (was mit seinem Thema nichts zu tun hat), aber keinen Platz für ein Wort gegen Kindesmissbrauch an sich, gegen Kinderhandel, Kinderprostitution, Kindersextourismus oder andere Verbrechen. Das alleine zeigt meines Erachtens, wie voreingenommen Diamond ist – wissenschaftlich wie ethisch – und dass er am Ende nur findet, was er immer schon für richtig hielt.
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