Leicht bearbeiteter Auszug aus: Bibeltreue in der Offensive: Die drei Chicagoerklärungen zur biblischen Irrtumslosigkeit, Hermeneutik und Anwendung. Herausgegeben und übersetzt von Thomas Schirrmacher, 3. überarb. Aufl. 2009, VKW: Bonn, 2009.
Wenn historisch-kritisch heißt, dass man historisch arbeiten will und dabei die Prinzipien der wissenschaftliche Kritik einsetzt (z. B. Forschung, historische Methode, Rekonstruktion des Originals, Diskussion mit anderen Forschern, Offenheit für Korrektur der eigenen Sicht, ständig erneute Überprüfung), dann arbeiten Vertreter eines bibeltreues Schriftverständnisses gerne ‚historisch-kritisch‘.
Da aber ‚historisch-kritisch‘ in der Theologie längst nicht mehr einfach als Synonym für ‚Wissenschaftlichkeit‘ steht, sondern eine bestimmte sachkritische Grundsatzeinstellung der Bibel gegenüber bezeichnet, ist das, was damit bezeichnet wird, zu hinterfragen.
Wenn historisch-kritisch aber so verstanden wird, dass zu einem richtigen Verständnis des Textes gehöre, ihn nicht zugleich als Wort in menschlicher Sprache und als göttliche Offenbarung verstehen zu dürfen, wenn also mit historisch-kritisch ein „methodischer Atheismus“ verlangt wird, und dieser daran festgemacht wird, ob man möglichst häufig historische Aussagen der Bibel anzweifelt, auch wenn gar keine anderen historischen Quellen einen dazu zwingen, so lehnt ein bibeltreues Schriftverständnis dies ab. Auch wehren sich dessen Vertreter dagegen, man arbeite nur dann historisch-kritisch, wenn man bestimmte Mehrheitsmeinungen (wie die Quellenscheidung im Pentateuch oder die Zweiquellenhypothese für die Evangelien) teile. Dabei sind ja viele Forscher auch aus historischen bzw. wissenschaftlichen Gründen davon überzeugt, dass die traditionellen Autorenzuschreibungen der neutestamentlichen Bücher korrekt sind.
Immerhin gibt es ja viele Historiker, Altorientalisten und andere Wissenschaftler, die ganz selbstverständlich im Rahmen ihrer historischen Wissenschaften ‚historisch-kritisch‘ arbeiten, die die historische Glaubwürdigkeit der Bibel aber wesentlich höher einschätzen, als viele Theologen. Deswegen ist es wichtig, nicht die Definition von ‚historisch-kritisch‘ seitens der Theologie zur Norm zu erheben, sondern seitens anderer historisch arbeitender Wissenschaften.
Kurz gesagt, wenn ‚historisch-kritisch’ literaturwissenschaftlich verstanden wird, ist es ein auch auf die Bibel gut anzuwendender Begriff, und wenn ihn Theologen so verwenden, kann man das nachvollziehen. Tatsächlich hat der Begriff aber in der Theologie oft eine veraltete, tendenziöse und die Ergebnisse bereits vorgebende Bedeutung – ein solches Verständnis lehne ich ab.
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