Ein Kommentar von Thomas Schirrmacher

1. Warum werden Muslime ausgerechnet Christen? Ein Wort zu den Taufen von Iranern, Afghanen und anderen

In Deutschland finden derzeit viele Taufen von Muslimen aus Herkunftsländern statt, in denen es ein ungewöhnlich großes Interesse am Christentum gibt, wie in Afghanistan, oder wo es gar bereits viele Übertritte, hier allen voran der Iran, wo es wenigstens 500.000 Übertritte vom Islam zum Christentum in den letzten 10 Jahren gab.

Foto: Thomas Schirrmacher nach seiner Ansprache - auch zum Thema Konversion von Iranern

Thomas Schirrmacher nach seiner Ansprache – auch zum Thema Konversion von Iranern – vor der Württembergischen Landessynode im Gespräch mit Bischof Frank Otfried July

Dass diese Übertritte, die aktuell hier in Deutschland geschehen, überwiegend keine Folge von intensiver Missionierung sind (auch nicht evangelikalerseits), zeigt sich daran, dass sich die meisten Taufwilligen bei den öffentlich sichtbaren katholischen und evangelischen Kirchen melden und das oft mit rudimentären Kenntnissen der christlichen Lehre. Diese Taufen werden von den Kirchen teilweise totgeschwiegen, sei es, weil es offenbar als peinlich erscheint – die Rheinische Kirche veröffentlichte etwa ein Papier gegen Mission unter Muslimen und tauft gleichzeitig flächendeckend –, sei es um die Getauften zu schützen.
Jedenfalls glaube ich, dass die Großkirchen derzeit mehr Ex-Muslime taufen, als alle evangelikalen Gruppen und Freikirchen zusammen. In Österreich ist das noch stärker so.

Wäre diese Taufwelle ein reines Ergebnis von Missionsarbeit in Deutschland, müsste sich der ‚Erfolg‘ auf alle Herkunftsländer erstrecken. So aber konzentriert sich die große Zahl auf den Iran. Daneben spielt noch Afghanistan eine Rolle. Es werden auch Syrer getauft. Doch angesichts der großen Zahl von Flüchtlingen aus Syrien ist das ein sehr kleiner Anteil.

Aber warum verlassen Muslime überhaupt den Islam und wenden sich dann fast immer dem Christentum zu?

Für Muslime, die mit dem Gedanken spielen, den Islam zu verlassen, etwa weil sie der Gewalt im Namen des Islam überdrüssig sind oder einen freiheitlicheren Glauben suchen, ist das Christentum in der Regel die Alternative. Warum?

Das muslimische Denken ist derartig vom Monotheismus bestimmt, dass nur sehr wenige in Erwägung ziehen, sich entweder einer atheistischen Weltanschauung anzuschließen oder aber sich einer nicht-monotheistischen Religion wie dem Hinduismus zuzuwenden. Der Muslim hat dann drei Alternativen, wenn er beim Monotheismus bleiben will:

  1. Islamische Sonderbewegungen mit neuen Propheten nach Muhammad wie die von Pakistan ausgegangenen Ahmaddiyas oder aus dem Islam (mit) hervorgegangene neue Religionen wie die Bahai – sie alle wachsen weltweit, werden aber in islamischen Lander massivst bedrängt und verfolgt.
  2. Das Judentum: Ein Übertritt zum Judentum bleibt die Ausnahme, nicht nur, weil die Juden Gegenstand der Ablehnung und sie bzw. Israel der politische Feind schlechthin sind, sondern auch, weil das Judentum eine sehr kleine Religion ist (siehe dazu im Folgenden).
  3. Das Christentum: Für das Christentum spricht aus muslimischer Sicht zum einen, dass nach dem Koran Christen an denselben Gott glauben, zudem werden die Christen – im Gegensatz zu den Juden – in 80% der Fälle im Koran positiv dargestellt. Zum anderen spricht für das Christentum, dass es mehr Christen als Muslime gibt. Muslime beschäftigt dieser Umstand weltweit, denn die Wahrheit siegt eigentlich immer, und eigentlich müsste der Islam die größte Weltreligion sein. Diese Frage ist seit Beginn der Kolonialzeit und auch heute noch aktuell. Damals ging es vor allem darum, weshalb das Christentum erfolgreicher und zahlenmäßig wesentlich größer als der Islam ist. Während das Christentum immer einen Platz für ein leidendes Christentum als Minderheit hatte, ist im Islam der Prophet immer erfolgreich und die Wahrheit immer auch mit Größe und Erfolg verbunden. Schließlich ist neben Größe und ‚Erfolg‘ des Christentums auch die Botschaft von Liebe, Vergebung und Barmherzigkeit zu nennen, wenn ein Muslim mit dem Gedanken spielt, sich vom Islam abzuwenden.

Denn warum wollen Muslime zumeist den Islam verlassen? Hauptgrund ist, dass weltweit immer mehr Muslime, um es einmal salopp auszudrücken, die Nase von der Gewalt voll haben, die im Namen ihrer Religion begangen wird, sei es durch Terroristen, sei es durch Unterdrückung in Ländern wie Iran und Saudi Arabien. Die weitaus meisten der an einer Konversion Interessierten gehen dabei – zu Recht oder zu Unrecht – davon aus, dass der Hang zur Gewalt auf Geschichte und Lehre des Islam selbst zurückzuführen ist und es im Islam so etwas wie das Vorbild und Gebot Jesu zur Nächstenliebe, ja zur Feindesliebe, nicht gibt.

Die meisten kennen die Diskussion, dass es sich bei dem gewaltbereiten oder gewalttätigen Islamismus nicht um den klassischen Islam handelt. Sie teilen aber entweder nicht die klassische Sicht, dass Islam und Islamismus auseinanderzuhalten sind, oder sehen Iran oder Ägypten und Saudi Arabien als offizielle Sprecher von schiitischem bzw. sunnitischem Islam oder aber sie sehen einfach die Folgen weltweit und wollen nicht mehr – zu Recht oder zu Unrecht – damit in Verbindung gebracht werden.

Anders gesagt, ob man das neutral sieht, bekämpft, kritisiert oder bejubelt: Für Muslime, die mit dem Gedanken spielen, den Islam zu verlassen, ist das Christentum gewissermaßen die natürliche Alternative, auch und gerade dann, wenn sie nicht mit irgendeiner Form von christlicher Mission in Berührung gekommen sind.

Zwischenbemerkung

In diesem Beitrag finden sich vor allem religionssoziologische und psychologische Überlegungen, die eher das behandeln, was der Außenstehende sehen und sagen kann und was sich statistisch aus dem Blick auf die Gesamtheit ergibt. Die Berechtigung einer theologischen Bewertung einer Konversion wird damit ebenso wenig in Frage gestellt wie die persönliche Sicht des Konvertiten. Zudem soll nicht der Eindruck erweckt werden, als könne man alle Entwicklungen im Bereich der Religion erklären. Warum gab und/oder gibt es in bestimmten islamischen Ländern wie Indonesien oder dem Iran Massenübertritte zum Christentum, in anderen, ebenso freien oder unterdrückerischen nicht? Warum wird Tschechien seit 1989 immer noch säkularer, während Ungarn einen enormen religiösen Aufbruch erlebt? Die religiöse Entwicklung des gesamten früheren ‚Ostblocks‘ enthält mehr Überraschungen als Erklärbares.

Die christliche Theologie spricht etwa von Erweckung, wenn eine große Zahl von Menschen gleichzeitig Christen werden oder aber aus dem Namenschristentum heraus plötzlich ihren Glauben im Alltag ernst nehmen und praktizieren. Warum das in einem Land und bei einem Volk plötzlich der Fall ist und in anderen nicht, hat eine intensive kirchengeschichtliche Forschung noch nicht klären können. Zudem vertritt die christliche Theologie, dass eine Bekehrung ein Geschehen zwischen Gott und Mensch ist, in der sogar von Gott die eigentliche Initiative ausgeht.

2. Wider die pauschale Verunglimpfung von Konvertiten

Der dpa-Journalist Daniel Naupold hat alle Muslime, die Christen werden, pauschal unter den Verdacht gestellt, dies überhaupt nur zu tun, oder wenigstens auch deswegen zu tun, weil sie sich größere Chancen für das Asylverfahren versprechen (ich verwende die Version im Focus).

Naupold schreibt:

„Dreimonatige Crash-Kurse sollen Muslimen in (sic!, richtig; aus) Iran und Afghanistan den Einstieg in das Christentum ermöglichen. Hunderte lassen sich anschließend taufen. Weil ihnen als Christ religiöse Verfolgung im Heimatland drohen würde, steigen die Chancen auf Asyl in Deutschland.“ „Viele von ihnen erklären, dass echter Glaube sie zu dieser Entscheidung veranlasst habe. Doch zusätzlich erhöht ein Konfessionswechsel ihre Chancen, in Deutschland bleiben zu dürfen.“

Hier wird zunächst fälschlich so getan, als wenn ein Religionswechsel automatisch im Asylverfahren nützlich ist. Das mag für den Außenstehenden auf den ersten Blick so scheinen. Auf den zweiten Blick und für den Sachkundigen aber sieht die Lage anders aus. Denn es gibt genügend Beispiele, dass das in den Augen von Entscheidern oder Gerichten nicht so ist und man es mit anderen Gefährdungs- und Verfolgungsgründen viel einfacher hat! Immer wird gerade Konversion vom Islam zum Christentum nicht als Asylgrund anerkannt, sei es, weil die Konversion bezweifelt wird, sei es, dass sie zwar nicht bezweifelt wird, aber nicht als im Heimatland lebensgefährdend eingestuft wird.

Weiß denn Napold nichts vom Kirchenasyl, das oft gerade Konvertiten schützen soll, die trotz Konversion abgeschoben werden sollen? Weiß Napold nichts davon, dass häufig die Entscheider und die Gerichte entscheiden, man könne doch im Iran gut als Christ leben und man könne doch sein Christsein für sich behalten? Immerhin führt Naupold als Beispiel nur iranische Konvertiten in Berlin an (vgl. unser Buch Friedemann Burkhardt, Thomas Schirrmacher. Glaube nur im Kämmerlein? Zum Schutz religiöser Freiheitsrechte konvertierter Asylbewerber. VKW: Bonn, 2009).

Weiß er nicht, dass zudem die Gerichte in der Regel sehr hohe Erwartungen an eine Konversion stellen, eine Taufe allein selten genügt, da eine aktive Kirchenzugehörigkeit dazu kommen muss, samt Leumundszeugen, die das bestätigen. Weiß Naupold nicht, dass sowohl die Evangelische Kirche in Deutschland als auch die Deutsche Bischofskonferenz deutliche Eingaben gemacht haben, dass die Gerichte Anforderungen an eine Konversion stellen, die weit über das hinaus gehen, was die Kirchen vom Konvertiten erwarten? Und weiß Naupold nicht, dass es Asylsuchende gibt, die eine Konversion vorgeben, ohne je eine Kirche von innen gesehen haben, dass das aber selten für die gilt, die sich der Mühe etwa der von ihm beschriebenen dreimonatigen Glaubenskurse unterziehen?

Falls Napold von alledem nichts weiß, warum äußert er sich dann überhaupt zum Thema, bevor er nicht Fachleute befragt und zahlreiche Fälle recherchiert hat?

Es ist das Privileg des Journalisten, so etwas einfach einmal schnell schreiben und veröffentlichen zu können. Zudem: Seit wann schafft Differenzieren Auflage? Und dpa-Artikel müssen kurz und knackig sein, nicht differenzierend-lang!

Als Wissenschaftler müsste ich so etwas mit Zahlen und Untersuchungen untermauern, die es derzeit nicht gibt. Was es aber gibt, sind konkrete Erfahrungen im Umgang mit Asylanten und Konvertiten. Naupold scheint aber mit niemand gesprochen zu haben, der die hat.

Schauen wir uns aber einmal die ganze, ausdifferenzierte Palette derer an, die Naupold über einen Kamm schert, wobei ich einfach einmal der praktischen Erfahrung folge, ohne Vollständigkeit garantieren oder Prozentsätze angeben zu können – jedenfalls handelt es sich in keinem Fall um Einzelfälle oder Ausnahmen. Und wir bleiben einmal bei iranischen Muslimen, die in Deutschland Christen werden wollen.

  • Ja, da sind die ‚Betrüger‘. Selten aber haben die ein Interesse, zu viel Zeit und Energie zu investieren. Und da für Muslime die Hürde einer völligen Abwendung vom Islam sehr hoch ist, ja er dann auch schnell von seinen Verwandten diskriminiert wird, ist ihnen der Preis der Taufe meist zu hoch.
  • Da sind diejenigen, die im Iran Christen wurden und getauft wurden und deswegen fliehen mussten, das alles hier aber nicht unbedingt nachweisen können und deswegen hier Glaubenskurse usw. besuchen.
  • Da sind diejenigen, die schon im Iran heimlich Christen geworden sind, es aber aus Angst um ihr Leben im Iran niemandem gesagt haben und deswegen erst im sicheren Deutschland zum Christentum (formal) übertreten.
  • Da sind diejenigen, die schon im Iran neugierig auf das Christentum waren, aber nicht die Freiheit hatten, das Christentum ohne Gefahr kennenzulernen. Denn im Iran kann man nicht ‚mal eben‘ einen kirchlichen Kurs belegen oder christliche Gottesdienste eine Zeitlang aus Neugierde besuchen. Also können sie ihre Neugierde erst in Deutschland stillen, gleich, ob dies am Ende zu einem Übertritt führt oder nicht.
  • Da sind diejenigen, die tatsächlich zum Schein Interesse für das Christentum zeigen, bei der Beschäftigung mit dem Christentum oder beim Kirchenbesuch oder im kirchlichen Kurs dann tatsächlich, aber ungeplant von der christlichen Botschaft „in den Bann“ gezogen werden.
  • Da sind diejenigen, die ihrer Großfamilie zuliebe darauf verzichtet haben, den Gedanken einer Konversion zu verfolgen, von diesem Zwang aber jetzt in Deutschland befreit sind.
  • Da sind diejenigen, die Christen werden, das aber im Asylverfahren nicht zur Sprache bringen, sei es, weil sie das nicht möchten, sei es, weil sie nicht auf die Idee kommen, sei es aber auch, weil ihnen ihr Anwalt davon abrät, denn die Richter mögen nachträglich nachgeschobene Asylgründe überhaupt nicht. Zudem gibt es andere, weniger schwer nachzuweisende Asylgründe als eine Konversion.
  • Da sind diejenigen, die eigentlich denken, dass es in Deutschland nützlich ist, Christ zu sein, da sie denken, Deutschland sei im selben Sinne christlich, wie der Iran islamisch ist, man also nur als Christ wirklich am gesellschaftlichen Leben teilnehmen könne. Stellen sie dann fest, dass dem nicht so ist und Religionsfreiheit hier bedeutet, dass die Religionszugehörigkeit etwa für einen Arbeitsplatz nicht zählt (und etwa auch vom Staat gar nicht erfasst wird!), verlieren sie ihr Interesse am Christentum.

Insgesamt sei hinzugefügt, dass Naupold den falschen Eindruck erweckt, ein Religionswechsel müsse eine eindeutige, saubere Sache sein. In Wirklichkeit leben Konvertiten oft – zumindest eine Zeitlang – in zwei Welten. Die Religionssoziologie hat längst belegt, dass erstens Konversionen nicht der einzige Weg des Religionswechsels sind, sondern es auch einen schleichenden, allmählichen Religionswechsel gibt, und zweitens die meisten Konversionen nicht schwarz/weiß erfolgen, sondern die alte Religion in Teilen noch lange unter der Decke der neuen weiterlebt.

Warum sollte das Iranern verboten sein? Gibt es im Recht auf Religionswechsel einen bisher unbekannten Abschnitt, wie genau der Religionswechsel zu verlaufen hat? Oder gehört nicht zur Religionsfreiheit auch, dass man die Religion eben so wechseln darf, wie man selbst es will und kann? In Deutschland jedenfalls darf man seine Religion laut, schnell und vernehmlich wechseln, aber ebenso auch leise, sehr langsam und kaum für andere wahrzunehmen.

Millionen Deutsche sind Christen, ohne genau zu wissen warum. Warum sollen ausgerechnet Migranten ausschließlich aktive, überzeugte, religiös gebildete Vorzeige-Christen sein? Und würden wir uns als freie Bürger vorschreiben lassen wollen, wie genau wir unsere Religion oder Weltanschauung zu wechseln haben, wenn wir sie wechseln wollen?

3. Zur Ehrenrettung der Konvertiten!

3.1. Emotionaler Fehler Nr. 1: „Wie bei Konvertiten häufig“?

Der ARD-Terrorismusexperte Holger Schmidt hat bei SWRaktuell pauschal nicht nur Konvertiten zum Islam, sondern Konvertiten von einer Religion oder Weltanschauung zu anderen überhaupt als Radikale verunglimpft. „Das sind die 150-Prozentigen“ wird er zitiert, weil sie „häufig“ radikaler würden als die in eine Religion hineingeborenen Anhänger einer Religion. Damit bedient er einen weit verbreiteten Generalverdacht, der aber statistisch nicht zu erhärten ist.

Der SWR berichtet jedenfalls (Biggi Hoffmann. „Das sind die 150-Prozentigen“. SWR-online. 27.05.2015):

„Konvertiten handeln häufig extrem: Sich bewusst für eine Religion zu entscheiden, spiele eine große Rolle, sagt Schmidt. Derjenige setze sich ganz anders damit auseinander, als jemand, der mit einer Religion aufwächst: ‚Man entscheidet sich sehr viel reflektierter und wenn man eine sehr radikale Ausprägung einer Religion kennenlernt, wie es der Islamismus ist, dann besteht die Gefahr, dass man 150-prozentig wird.‘ Viele der ganz entschlossenen islamistischen Kämpfer sind nach Angaben des Experten Konvertiten, ‚die in einer Art Überreaktion extrem, ich möchte fast sagen angefixt von dem sind, was sie da als radikale Religion lernen.‘ Dieser Effekt sei ganz besonders gefährlich. Selbst aus der Szene islamistischer Terroristen gebe es beinahe abfällige oder verwunderte Äußerungen über Konvertiten nach dem Motto ‚das sind die 150-Prozentigen‘.“

Konvertiten sollte man nicht pauschal verurteilen. Ja, Leute die extrem handeln, sind manchmal Konvertiten. Aber der Umkehrschluss wird durch keine Untersuchung bestätigt, nämlich dass erstens konvertierte Extremisten andere Extremisten noch überbieten – dafür gibt es gerade beim IS wirklich zu viele Gegenbeispiele – und zweitens Konvertiten automatisch oder überdurchschnittlich häufig extrem werden. Darf man wirklich Hunderttausende Konvertiten jährlich weltweit verunglimpfen, weil ein paar von ihnen Terroristen werden?

Wir kennen aber in der Regel in der Öffentlichkeit, in den Medien, ja selbst im Alltag nur Extremisten, die konvertiert sind, die friedlichen und ‚normalen‘ Konvertiten dagegen kennen wir in der Regel nicht, denn sie sind nicht Thema der Medien, treten kaum öffentlich in Erscheinung und selbst wenn wir ihnen im Alltag begegnen, fallen sie uns nicht als Konvertiten auf.

Es gab und gibt einige Katholiken, die Protestanten wurden und umgekehrt, die ihre neue Konfession sehr aggressiv vertraten und vertreten. Wir haben aber jährlich über Zehntausend Übertritte zwischen der katholischen und den evangelischen Kirchen hin und her, ohne dass die Beteiligten irgendwie auffallen, auch nicht die unter ihnen, die den Schritt aus tiefer Überzeugung gehen.

Nicht jeder Deutsche, der Muslim wird, wird Islamist! Nicht jeder Atheist der Christ wird, wird Extremist. Nicht jeder, der aus der Kirche austritt und vom christlichen Glauben zu einer nichtreligiösen Weltanschauung wechselt, wird Extremist.

Nicht jeder, der vom Juden zum Atheisten wird, wird ein Marx. Nicht jeder, der sich von seiner Klosterausbildung abwendet, wird ein Stalin.

Es gibt Millionen Konvertiten, die nicht extrem werden, extremistische Konvertiten sind eine kleine Minderheit der Konvertiten aus westlichen Ländern!

Übrigens noch eine Ergänzung: Schmidt meint, andere IS-Terroristen meinen, Konvertiten seien die 150-Prozentigen. Also Mörder können uns erläutern, ob andere noch mördersicher sind? Kann man den Terrorismus des IS denn noch wesentlich überbieten? Und außerdem gibt es öfter auch die umgekehrte Realität. IS-Terroristen gefällt nicht, dass konvertierte westliche Mitkämpfer dann doch plötzlich Skrupel haben, wenn sie unbeteiligte Kinder und Frauen töten sollen! Hier sind die in die Religion hineingeborenen oft hemmungsloser als die Konvertiten.

3.2. Emotionaler Fehler Nr. 2: „Wie bei einer Sekte“?

Der von den Gebühren aller Deutschen bezahlte Terrorismusexperte spielt auch sonst eher mit Emotionen, die seine Zuschauer mögen und teilen, statt differenzierte Zusammenhänge zu erläutern. So sagt Schmidt der Deutschen Welle zufolge, es sei bei diesen Konvertiten „Wie bei einer Sekte“.

„Schmidt berichtet, dass es immer wieder Fälle gebe, in denen junge Leute ausreißen und sich auf den Weg zu den islamistischen Kämpfern machen. … Wenn sich jemand radikal verhalte, stelle sich die Frage, ob man die Person noch zur Umkehr bewegen kann. ‚Im Grunde ist es wie bei einer Sekte‘, meint Schmidt.“

Wie ist es denn so pauschal bei einer „Sekte“? Dass ‚Sekte‘ eigentlich ein soziologischer Begriff für alle kleineren Abspaltungen großer Religionen und Weltanschauungen ist, lassen wir einmal ganz außen vor. Jedenfalls haben wir Hunderttausende „Sekten“-Angehörige, die noch nie dadurch aufgefallen sind, dass sie von zu Hause ausbrechen, um andernorts Krieg zu führen. Man kann etwa den Zeugen Jehovas manches vorwerfen, dass sie Kriegstreiber seien und Soldaten hervorbrächten nicht, vielmehr gehen sie weltweit in vielen Ländern wegen ihrer totalen Wehrdienstverweigerung ins Gefängnis.

Werden hier nicht emotionale Versatzstücke gegen kleine Gruppen an die Stelle ernsthafter und belegbarer Regelmäßigkeiten gestellt?

Dank der Globalisierung wird die Zahl der Religionswechsler weltweit in den nächsten Jahren weiter stark anwachsen. Zum einen, weil die Jugend – längst nicht mehr nur die westliche Jugend – für sich in Anspruch nimmt, sich selbst ihre Religion zu wählen, wie den Musikstil, die Mode oder den Beruf. Zum anderen, weil dank der Reisemöglichkeiten und des Internets Menschen andere Religionen in einem Maße kennenlernen wie nie zuvor. Verhindern kann man das auf Dauer nicht, es sei denn mit Gewalt und enormem sozialen Druck.

Da ist es wichtig, dass dieser Prozess, der auch Teil einer demokratischen, weltoffenen Gesellschaft ist, nicht mit emotionalen Versatzstücken behängt wird, nur weil einige wenige der Konvertiten zu Terroristen werden.

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Ein Kommentar

  1. Mayssam Poorakhoondi sagt:

    Zuerst muss ich Dank sagen für das interessante Thema.
    Als ein konvertierte Iraner, der bei der EKD/ELKB und EKIBA mitgewirkt wurde, vielleicht könnte ich ein paar Kleinigkeiten dazu sagen oder anders Formulieren.
    Gottes Segen wünsche ich Ihnen.
    Mit freundlichen Grüßen
    Mayssam Poorakhoondi

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