Auf der Webseite der Zeitschrift PRO und in prokompakt 49/2014 erschien ein Kommentar von Thomas Schirrmacher zum Folterbericht des amerikanischen Senats. Wir bieten ihnen hier einen ausführlichen Kommentar an, der auch auf Rückfragen zum kurzen Statement behandelt.
(Bonn, 20.12.2014) Folter ist allgemein das gezielte Zufügen von physischen oder psychischen Schmerzen an Menschen durch Menschen, sei es, um Informationen zu erhalten, ein Geständnis, einen Widerruf, oder um den Willen des Opfers zu brechen, kann aber auch der Strafe, der Rache oder der Befriedigung niederer Instinkte dienen. Im engeren Sinne – etwa der UN-Antifolterkonvention – bezieht es sich auf staatliche Instanzen aller Art als Täter, auch Geheimdienste. Bisher erfasst die Antifolterkonvention leider keine nichtstaatlichen Täter wie Bürgerkriegsparteien oder Terroristen.
Das Verbot der Folter gehört zu den ältesten Forderungen für einen Rechtsstaat und ist eines der früh formulierten „Menschenrechte“ und war deswegen gleichermaßen fester Bestandteil der französischen Menschenrechtserklärung in der Aufklärungszeit wie der fast zeitgleichen amerikanischen Kataloge erst der Bundesstaaten und dann der USA. Die aufgeklärten Fürsten schafften die Folter – zumindest im Gesetz – ab, 1815 auch der Vatikanstaat. Die Gründerväter der USA sahen das Folterverbot als zentrales Element des Wesens der Demokratie an.
Deswegen fand das Folterverbot selbstverständlichen Eingang in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 (Artikel 5), in die Europäische Erklärung der Menschenrechte von 1950 (Artikel 3) und in viele andere Menschenrechtsdokumente. Völkerrechtlich verbindlich ist vor allem das Folterverbot im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966. 1984 verabschiedeten die Vereinten Nationen die UN-Antifolterkonvention („Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe“), die bis dato von 155 Staaten der Erde ratifiziert wurde, darunter auch die USA.
Die Kirchen und Konfessionen der Welt stützen das Folterverbot theologisch. Die menschliche Würde lässt Folter nicht zu. Schon im Alten Testament gelten gerechte Rechtsstandards gerade auch für Verbrecher.
„Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.“ (Artikel 5, AEMR). Niemand? Umstritten ist unter Juristen und bisweilen auch unter Theologen die Frage, ob das Folterverbot in extremen Ausnahmesituationen eingeschränkt werden kann, wenn es mit anderen Menschenrechten in Konflikt gerät und dem Schutz des Lebens dient, also etwa dem Auffinden einer Bombe oder der Rettung eines Kriminalitätsopfers. Man spricht hier von „Rettungsfolter“. Torsten Krauel schrieb gerade über den jüngst verstorbenen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht:
„Das Angstthema trieb Albrecht so sehr um, dass er Anfang 1976 in einer Schrift mit dem für damalige CDU-Verhältnisse so typischen Titel ‚Der Staat – Idee und Wirklichkeit‘ den Einsatz von Folter in Erwägung zog. Für den Fall, dass Terroristen eine Atombombe besäßen und ihr Aufenthaltsort nicht anders ermittelt werden könne, sei Folter womöglich legitim; freilich (und dieser Zusatz wird heute meist weggelassen) müssten die Verantwortlichen dann auch vor Gericht dafür einstehen.“ [hier: Die WELT. 14.12.2014]
Im berühmtesten Fall von „Rettungsfolter“ der deutschen Gegenwart ging es 2002 etwa um die reine Androhung von Folter unter der Verantwortung des Frankfurter Polizeivizepräsidenten Wolfgang Daschner gegenüber dem Entführer des Bankiersohns Jakob von Metzler, um den Aufenthalt des entführten Jungen zu erfahren. Daschner wurde 2004 zu 10.800 € Strafe verurteilt, mit ihm einer seiner Mitarbeiter. Die Rechtslage in Deutschland ist das absolute Folterverbot, die also selbst die reine Androhung von Folter ohne Absicht, sie auch tatsächlich auszuführen, in jedem einzelnen Fall verwirft. Gewichtige juristische Stimmen sprechen sich in Deutschland aber immer wieder für die „Rettungsfolter“ aus oder berufen sich zumindest wie Daschner auf einen übergesetzlichen Notstand. Wir kommen gleich darauf zurück.
Der amerikanische Geschichtsprofessor und CIA-Spezialist Alfred W. McCoy hat in seinem Buch „Foltern und Foltern lassen“ (2005) nachgewiesen, dass CIA und US-Militär seit dem Zweiten Weltkrieg systematisch gefoltert haben. All das wurde im „Krieg gegen den Terror“ seit 2001 noch überboten. McCoy berichtet von nachweisbar 14.000 irakischen Häftlingen, die gefoltert wurden, von durchgängig gefolterten 1.100 Gefangenen in Guantánamo und Bagram. Er belegt 150 Fälle, wo Gefangene an folternde Diktaturen überstellt wurden und 68 Todesfälle im Zusammenhang mit den Folterpraktiken.
Die CIA erklärte McCoy zum Staatsfeind. Was aber die 480 Seiten Zusammenfassung der 6.300 Seiten des Senatsberichts zur Folter seit 2001 offenbart, zeigt, dass alles noch viel schlimmer war und ist. Denn die Senatskommission, die 119 Fälle detailliert darstellt, hatte Zugang zu wesentlich mehr Akten und Zeugen als McCoy und kommt zu dem Schluss, dass die CIA weit über den Freibrief hinaus, den sie sowieso seitens des Präsidenten der USA schon hatte, gefoltert hat, häufiger, heftiger und sinnloser, das heißt auch an Menschen, die über keine lebensrettenden Informationen verfügen konnten. Selbst die Berichte an Präsident George W. Bush umfassten nur einen Bruchteil der tatsächlichen Folterpraxis.
Nun wird die Diskussion um die „Rettungsfolter“ zur Rechtfertigung des Vorgehens der CIA angeführt. Lassen wir uns einmal kurz darauf ein, „Rettungsfolter“ könnte im Ausnahmefall zulässig sein. Selbst dann rechtfertigt sie nichts von dem, was im Bericht beschrieben wird.
Der Untersuchungsbericht belegt nämlich eindrücklich, dass das Foltern nur in den allerseltensten Fällen erfolgte, weil man wusste, dass der Gefolterte über Informationen verfügte, die mit Sicherheit Menschenleben retten würden. Das wird sehr deutlich daran, dass es sehr selten darum ging, dass man wusste, welche Information das Opfer haben muss (z. B. wo er die Bombe platziert hat). Vielmehr hat man einfach systematisch gefoltert, in der Hoffnung, dass der eine oder andere Informationen haben könnte. Oft sollte durch Folter sogar erst einmal herausgefunden werden, ob das Opfer unschuldig, unbeteiligt, unbedeutend oder eben doch Informationsträger und einflussreich sei. 26 der 119 Opfer galten selbst der CIA im Nachhinein sogar als völlig unschuldig – selbst nach ihren eigenen willkürlichen Maßstäben.
So folterte man eben auch Gefangene, die entweder als Unschuldige gar nichts wissen konnten oder in der Hierarchie viel zu weit unten standen, um Gewichtiges zu wissen, oder schon viel zu lange gefangen waren, als dass sie noch über relevante, aktuelle Informationen hätten verfügen können.
Dass das viele Foltern eigentlich nichts gebracht hat, dass also auch die vielen angeblichen Informationen, die man dem Präsidenten übermittelte, nicht unter Folter gewonnen worden waren, kann nur den verwundern, der sich noch nicht mit dem Thema Foltern beschäftigt hat. Das Problem von unter Folter gewonnenen Informationen ist, dass man nicht weiß, ob das Opfer nicht einfach irgendetwas zugibt, damit das Foltern aufhört. Denn durch Foltern kann man nicht in Erfahrung bringen, ob jemand überhaupt Informationen hat oder nicht! Darüberhinaus bieten Opfer, die über längere Zeit der Folter widerstanden haben, am Ende oft bewusst falsche Informationen an. Wer etwa 180 Stunden ohne Schlaf war – eine beliebte CIA-Methode –, wird am Ende sowieso keine brauchbaren Informationen liefern, sondern dem Wahnsinn nahe sein. Kurzum: Der Untersuchungsbericht belegt, dass die CIA trotz ihrer routinemäßigen Folterungen am Ende nicht wirklich mehr Informationen besaß als rechtsstaatlich agierende Institutionen.
Ich bitte, mich nicht misszuverstehen. Ich spreche mich hier nicht für die Rettungsfolter aus, wenn ich so argumentiere. Ich will aber auch denen, die Rettungsfolter in engen Grenzen für zulässig halten, verdeutlichen, dass es bei dem, was der Senatsbericht darlegt, nicht um Rettungsfolter geht, sondern um das vermeintliche Recht des Siegers, die Verlierer wie Unmenschen zu behandeln, weil der eine oder andere ja etwas wissen könnte.
Dass man wusste, dass das Argument der „Rettungsfolter“ nur vorgeschoben wurde, zeigt sich daran, dass die Folter in der Regel nicht von Polizei, Militär oder Justizbehörden durchgeführt wurde, sondern von Geheimdiensten, die ihre Genehmigungen „geheim“ erhielten, dann aber selbst ihrem Boss und Stichwortgeber, dem Präsidenten der USA, gegenüber das meiste lieber „geheim“ sein ließen.
Dazu belegt der Bericht eines deutlich: Erlaubnis zur Folter führt zur Eskalation. Der Freibrief zur Rettungsfolter endete allzuoft in der Routinefolter und schließlich in der Freude am Bestrafen, wie die hässlichen Fotos beweisen, die Täter oder Mitläufer mit Folteropfern schossen. Was als absolute Ausnahme und ultima ratio gedacht war, wurde zur Regel und Routine.
Das hat auch mit den Folterern zu tun. Der Bericht belegt, wieviele Folterer aussteigen wollten, wieviele nach oben gemeldet haben, das müsse aufhören, wieviele sich selbst beim Foltern übergeben mussten. Am Ende hielten nur die Sadisten durch. Und denen waren natürlich künstlich gezogene Grenzen und Spielregeln egal. Dass dem so ist und man das bewusst so laufen ließ, zeigt der Umstand, dass selbst bei schlimmsten Exzessen niemand bestraft oder angeklagt wurde.
Ähnliche Entwicklungen zeigen sich weltweit überall, wo man das Folterverbot nur ein bisschen lockert. Deswegen gilt: Wehret den Anfängen. Doch hört man Präsident Obamas lahme Erklärungen, so etwas dürfe nicht wieder vorkommen, obwohl doch das Versprechen, derartige Folter zu beenden mit zu seiner Wahl beigetragen hat, ist man nicht sehr großer Hoffnung, dass aus dem Bericht über kurzfristige Empörung hinaus wirkliche Veränderungen vorgenommen werden.
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