Dieses Interview wurde von der Österreichischen Evangelischen Allianz nach der Bischofssynode zu Ehe und Familie im Vatikan 2015 veröffentlicht.

Sie waren als einer der wenigen Protestanten und als einziger Evangelikale, der an der Familiensynode teilgenommen haben. Wie sind Sie dazu gekommen?

Es waren außer mir noch vier andere Protestanten dabei, wenn auch die meisten nur zeitweise, nicht wie ich die gesamten drei Wochen. Der Päpstliche Rat für die Einheit der Christen lädt immer einige Vertreter anderer Kirchen zur Synode ein, insbesondere aber den Ökumenischen Rat der Kirchen und die Weltweite Evangelische Allianz als die zwei größten christlichen Dachverbände. Da ich in der WEA das Team moderiere, dass unsere Kontakte zu anderen Konfessionen (und zu anderen Religionen) hält, hat unser Generalsekretär mich gewissermaßen automatisch nominiert. Außerdem bin ich seit 30 Jahren Catholica-Fachmann – man denke etwa an mein Buch „Der Ablass“ – und kenne zudem den Papst persönlich gut, ich habe auch auf der Synode jeden Tag mit ihm kurz unter vier Augen gesprochen, manchmal sogar 2-3 Mal am Tag, mit Ausnahme der Sonntage.

Wie wurden Sie aufgenommen?

Da muss ich mit einem großen Lob beginnen: So unmittelbar hat mich noch keine protestantische Kirche, bei der ich zu Gast war, in die laufenden Diskussionen mit hinein genommen und als gleichwertigen Gesprächspartner behandelt. Denn wir waren keine ‚Beobachter’, wir standen den anderen Delegierten außer beim Stimmrecht in nichts nach. Wir hatten genauso drei Minuten in den Plenarreden, waren bei allen Interna dabei, diskutierten in den Sprachgruppen ohne jede Einschränkung mit, was Textvorschläge für das Abschlussdokument einschloss. Wir hatten ja als deutsche Sprachgruppe Kardinal Schönborn als Moderator gewählt und er hat mit Bravour nicht nur die Breite der Meinungen in ein sehr substantielles Gespräch eingebunden, sondern auch mich und den ebenfalls zur Gruppe gehörenden serbisch-orthodoxen Erzbischof von Wien.

Also Reformation vorbei, wir werden jetzt alle katholisch?

Klar erhalte ich Briefe mit der Sorge, morgen würden wir Evangelikalen in Scharen zur Kirche dieses netten Papstes übertreten. Aber bitte, die Realität ist das Gegenteil: Täglich treten Tausende Katholiken in Lateinamerika und im Globalen Süden zu Pfingstkirchen und evangelikalen Gemeinden über, eine Gegenentwicklung ist nicht zu erkennen. Und wir Theologen, die die Gespräche mit ‚Rom’ führen, sind alles sehr konservativere Vertreter reformatorischer Theologie.

Unser guter Kontakt nach ‚Rom’ geht vielmehr einher mit einer viel offeneren, ehrlicheren und respektvolleren Auseinandersetzung über die Unterschiede und die Gemeinsamkeiten. Wir führen fortlaufend ernsthafte Lehrgespräche und es wird ausdrücklich von katholischer Seite gewünscht, dass wir unsere Sicht deutlich formulieren und einbringen.

Der Unterschied zu früher ist aber deutlich: Der Papst sieht evangelische Christen als vollwertige Gläubige an und spricht offen an, dass das aktive Christsein der Evangelikalen und Pfingstler in Gebet, Heiligung und Zeugnis Geben für Katholiken vorbildlich sein kann. Bei der Pfingstbewegung hat er sich sogar offiziell entschuldigt, weil die katholische Kirche sie früher verfolgt hat.

Also viel Reden, aber keine Zusammenarbeit?

Man muss bei allen dogmatischen Lehrunterschieden sehen: Wir haben in praktischen Kampf gegen das Unrecht in dieser Welt viele Themen, wo Evangelikale und Katholiken mit allen Menschen guten Willens am Ball sein müssen (z. B. Menschenhandel, Korruption) oder wo wir uns sogar über weite Strecken nur noch gegenseitig haben – zusammen immerhin fast 2 Milliarde Menschen (z. B. Abtreibung, lebenslängliche Ehe). Zudem spürt man, dass der Papst mit uns viel größere Gemeinsamkeiten sieht, als etwa mit den ehemaligen evangelischen Staatskirchen. Zudem spielen diese natürlich nur im Westen eine große Rolle, außerhalb des Westens sind die Mehrzahl der Protestanten oft evangelikal, in einem Land wie Korea z. B. 90%.

Welche Anliegen haben Sie dem Papst selbst vorgetragen?

Zum einen haben wir über eine engere Zusammenarbeit in familienpolitischen Fragen gesprochen, zum anderen habe ich ihm in sehr eindringlichen Worten öffentlich ein entschlosseneres Vorgehen gegen Christenverfolgung nahegelegt. Denn es muss ein Ruck durch die Weltchristenheit gehen angesichts dieser Tragödie. Wichtig war mir aber auch die Einstufung des IS-Kampfes gegen Christen und Jesiden als Völkermord. Laut Definition der Vereinten Nationen liegt ein Völkermord vor, wenn eine ethnische oder religiöse Gruppe systematisch verfolgt, vergewaltigt, vertrieben oder versklavt wird. Diese Kriterien sind in Syrien und Irak leider erfüllt.

Wie hat der Papst reagiert?

Während meiner Rede hat er kräftig genickt, anschließend hat er sich bei mir bedankt und die Rede schriftlich erbeten. Am nächsten Tag nahm er mich nochmals beiseite und versicherte mir, er wolle sich auf jeden Fall darum kümmern. Warten wir’s ab.

Erwarten Sie Rückwirkungen von Beschlüssen dieser katholischen Bischofssynode auch auf die Mitgliedsgemeinschaften der Evangelischen Allianz?

Ja natürlich. Dazu muss ich meine „Kuchenthese“ erläutern! Es gibt weltweit drei große christliche Körperschaften, die sich den christlichen Kuchen teilen. Die Katholische Kirche macht die Hälfte des Kuchens aus. Die Kirchen der zweiten Hälfte, die Nichtkatholiken, sind wieder in zwei Hälften zu teilen, da es zwei globale Dachverbände gibt. Der Ökumenische Rat der Kirchen umfasst die orthodoxen Kirchen und die historischen protestantischen Großkirchen, meist ehemalige Staatskirchen. Die Evangelische Allianz umfasst im Wesentlichen die jüngeren protestantischen Kirchen. Beide Dachverbände sind mit ca. 600 Millionen Anhängern etwa gleich groß, umfassen also je ein Viertel des Kuchens. Diese drei Verbände beeinflussen sich enorm, was die einen tun, beeinflusst die anderen unmittelbar, sei es zum Guten wie zum Schlechten. Wenn der Papst neuerdings Fiat fährt, werden amerikanische Fernsehprediger plötzlich von ihren eigenen Leuten gefragt, warum sie eigentliche eine eigene Gulfstream brauchen.

Wo stehen wir im deutschen Sprachraum grundsätzlich mit dem Kontakt zwischen Evangelischer Allianz und Katholiken?

Im deutschen Sprachraum ist die Situation in Deutschland und Österreich insofern anders als in fast allen anderen Ländern, weil die Evangelischen Allianzen keine Dachverbände von Kirchen sind – wie es etwa schon in der Schweiz der Fall ist. Das liegt daran, dass in beiden Ländern etwa die Hälfte der Evangelikalen in den historischen evangelischen Kirchen sind und man deswegen vor 150 Jahren andere organisatorische Formen der Zusammenarbeit gefunden hat. Das macht die Sache für die katholische Seite recht unübersichtlich, vor allem, weil sie mit den Vertretern der landeskirchlichen Evangelikalen ja nicht als Kirchen spricht. In Kenia oder Korea zum Beispiel stehen der katholischen Kirche einfach die konservativen evangelischen Kirchen als Evangelische Allianz und der (kleinere) Nationale Kirchenrat mit den anderen Kirchen gegenüber, da spricht man mit den Evangelikalen als Kirchen. Trotzdem erleben wir zunehmend, dass die katholische Seite evangelikale Theologen und Führer zunehmend als Vertreter eines Viertels der Weltchristenheit ernst nimmt und lernt, zwischen der Situation in unseren Ländern und der weltweiten Lage zu unterscheiden.

Warum halten Sie es für wichtig, mit der katholischen Kirche im Gespräch zu sein?

Zum einen können wir uns ja gegenseitig angesichts der Weltlage und der Verbreitung der Katholischen Kirche und der Evangelikalen in jedem Land der Erde gar nicht mehr aus dem Weg gehen. Die Menschheit hat kein Verständnis dafür, wenn wir nicht miteinander reden, während die Welt brennt. Und in Sachen Christenverfolgung – meinem Schwerpunkt – halte ich es für verheerend, nicht an einem Strang zu ziehen.

Zum anderen ist mir sehr wichtig, dass jeder hochrangige religiöse Führer dieser Welt nicht aus den Medien oder aus der Gerüchteküche erfährt, wer wir sind und wofür stehen, sondern aus berufenen Munde eines evangelikalen Leiters. Umgekehrt will auch nicht aus den Medien oder der Gerüchteküche über andere Kirchen informiert werden, sondern – neben gründlichem Quellenstudium – aus dem Mund der Verantwortlichen selbst, etwa auch des Papstes oder des Präfekten der Glaubenskongregation in Rom Kardinal Müller. So entsteht Vertrauen, ja Freundschaft und so kann man dann ernsthaft über die wirklichen Unterschiede sprechen und wirkliche Gemeinsamkeiten entdeckten.

Denn man muss ja dazu sagen, dass wir auch zu allen anderen historischen Kirchen engere Beziehungen als früher unterhalten, auch wenn das die Medien natürlich viel weniger interessiert, als die Beziehung zum Papst. So besuche ich einmal im Jahr den Ökumenischen Patriarchen, das Oberhaupt aller orthodoxen Christen, in Istanbul, treffe mich jährlich mit den Patriarchen aller orientalischen Kirchen und das immer mit denjenigen zusammen, die für die WEA den Kontakt zu einer bestimmten Konfession halten.

Das Ganze schwächt übrigens nicht unsere evangelikale Identität, sondern im Gegenteil: es zwingt uns klar herauszuarbeiten, wofür wir stehen und warum wir das tun. Und es macht uns deutlich, dass wir eine große Verantwortung nicht nur für uns, sondern für die Zukunft aller Kirchen mit tragen.

Quelle: Allianzspiegel (Informationsdienst der Österreichischen Evangelischen Allianz) Nr. 112 (Dezember 2015): 27–28.

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