Evangelische Allianz bietet Abend „Multikulturelle Gesellschaft“ an

„Wenn man verstehen will, wie religiöse Auffassungen auch die Wirtschaft beeinflussen, muss man zunächst verstehen, wie überhaupt religiöse Positionen die Gesellschaft beeinflussen. Denn sie tun es in der Regel nicht als offizielle Forderungen, sondern sehr unterschwellig, aber umso wirksamer.“

Diese These vertrat der Religionssoziologe Thomas Schirrmacher in einer Gastvorlesung an der Technischen Universität (TU) Chemnitz.

BQ340_1Die Gastvorlesung fand im Rahmen eines Diskussionsforums an der Technischen Universität Chemnitz zum Thema „Der ehrbare Kaufmann: Erfolg mit allen Mitteln? – Wirtschaft zwischen Gewinn und Gewissen“ statt. Das Forum wurde von Studierenden der Wirtschaftswissenschaften und des Studiengangs Europastudien initiiert.

In seiner Vorlesung „Ökonomie und Theologie – Der Einfluss religiöser Gebote auf die Wirtschaft“ führte Schirrmacher aus, dass es weder die religiösen Führer noch die Gruppe der besonders aktiven Angehörigen einer Religion seien, die die stärkste Wirkung auf eine Gesellschaft erzielen. Vielmehr seien die Auswirkungen religiöser Gebote dort am stärksten, wo man sie als gegeben hinnimmt, ohne sich bewusst zu sein, dass es sich um ursprünglich religiöse Ordnungen handelt. Als Beispiel verwies Schirrmacher unter anderem auf den Schutz des Sonntags in Deutschland. Dieser sei im Kern ausschließlich religiöser Natur. Trotzdem seien seine positiven ökonomischen Auswirkungen so stark, dass sich heutzutage die Gewerkschaften mindestens so stark für den Sonntagsschutz einsetzten wie die Kirchen.

Als weiteres Beispiel führte Schirrmacher das Verhältnis von Demokratie und christlichem Menschenbild an. Laut dem Philosophen Habermas rechnet Demokratie immer damit, dass Politiker ihre Macht auch missbrauchen. Demokratie bedeute deswegen nicht, dass demokratische Regierungen automatisch moralisch besser seien als andere. Vielmehr bestünde in Demokratien die einmalige Chance, die Regierung ohne blutige Revolution abzusetzen. Auch hier läge eine religiöse Annahme zu Grunde, so Schirrmacher:

„Der Aussage der christlichen Dogmatik ,Alle Menschen sind Sünder‘ widersprechen heute die meisten Menschen erst einmal. Dabei bildet diese Aussage einen Kern der modernen Demokratie, die wiederum die allermeisten Menschen für gut und erstrebenswert halten.“

Schirrmacher unterstrich außerdem die Bedeutung der Religionsfreiheit für die Ökonomie: „Religionsfreiheit hat immer positive ökonomische Auswirkungen.“ Dies läge unter anderem daran, dass religiöse Minderheiten oft gute Verbindungen zum Ausland unterhielten, was sich wiederum auf die Exportwirtschaft eines Landes positiv auswirke. Seine Thesen untermauerte Schirrmacher mit Beispielen aus Ägypten, Indonesien, Ungarn und der Türkei.

Schirrmacher hatte am Abend vorher in Chemnitz einen Vortrag zum Thema „Multikulturelle Gesellschaft“ gehalten, den die Evangelische Allianz Chemnitz und das Martin Bucer Seminar Chemnitz im Evangelischen Schulzentrum veranstaltete. Darin betonte er besonders, dass es für die neuen Bundesländer wichtig sei, zu verstehen, dass die Präsenz der Muslime in Deutschland vor allem auf große Anwerbeabkommen aus der Zeit des Wirtschaftswunders und der Zeit vor der Wiedervereinigung zurückginge, sodass wir es oft schon mit der 3. und 4. Generation der damaligen Zuwanderer zu tun hätten, die man schon gar nicht einfach wieder „nach Hause“ (wo wäre das?) schicken könne. Auch die hohe Arbeitslosigkeit und die oft zu geringe Bildung und Ausbildung seien ein Erbe dieser Zeit, da man jahrzehntelang gehofft hatte, dass die „Gastarbeiter“ einfach wieder gehen würden, und Deutschland erst in jüngster Zeit freiwillig als „Einwanderungsland“ bezeichne. Erst in diesem Jahrhundert habe man mit einer systematischen und aufs Ganze gesehen erfolgreichen Integrationspolitik begonnen, zum Beispiel durch kostenlose Sprachkurse für alle Altersgruppen.

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