Zu Martin Erdmanns neuem Buch „Der Griff zur Macht: Dominionismus – der evangelikale Weg zu globalem Einfluss“
Die Gesellschaft christlich prägen zu wollen, ist der Fehler schlechthin
Im ersten Satz des Vorworts kommt der Vorwurf von Martin Erdmann gegenüber der Mehrheit der evangelikalen Bewegung, dem Thema seines Buches „Der Griff zur Macht“, weltweit kurz und klassisch zum Ausdruck. Der Fehler schlechthin ist es, „die Gesellschaft mit christlichen Werten prägen“ zu wollen (S. 9). Weil die Evangelikalen das wollen, sind „die evangelikalen Gemeinden so kraftlos“ (S. 9). Den wenigsten Evangelikalen ist bewusst – so Erdmann –, dass der Erfolg bei der UN und internationalen Entwicklungen einen hohen Preis hat: Die Menschen folgen „in Scharen … einem neuen Evangelium“ und die „Verkündigung von Gottes Wort hat in der Zusammenarbeit mit diesen Institutionen keinen Platz mehr“ (S. 9).
Die Wirklichkeit, die sich selbst in der weltweiten Religionsstatistik niederschlägt, ist eine andere. Die Evangelikalen verkünden das Wort Gottes heute intensiver, globaler und erfolgreicher denn je zuvor und die vielen Tausende, die täglich zum Glauben kommen, tun dies nicht, weil die Weltweite Evangelische Allianz mit dem UN-Generalsekretär spricht, sondern aufgrund der Evangeliumsverkündigung. Für die Weltweite Evangelische Allianz kann ich das sehr deutlich sagen: Der Einsatz gegen Armut, für Religionsfreiheit und Menschenrechte oder gegen Menschenhandel tritt zu unserem missionarischen Eifer hinzu, er löst ihn nicht ab.
Alles für ihn Falsche fasst Erdmann in seiner Wortschöpfung „Dominionismus“ zusammen. (Zwar gibt es das englische Wort „dominionism“, aber es bezeichnet dort lediglich eine kleine charismatische Variante der praktisch erloschenen Bewegung „Christian Reconstruction“ – siehe dazu mein Buch „Christian Reconstruction (1959 – 1995): Anfang und Ende einer reformierten Bewegung“, Bonn 2001.)
Der Dominionismus besteht nach Erdmann aus vier „Bewegungen“ und „Sonderlehren“, die tatsächlich aber alle nur verschiedene Schattierungen der einen großen „Sonderlehre“ sind, die den „weltweiten Evangelikalismus“ bestimmen (alles S. 43). Was aber versteht Erdmann unter Dominionismus?
Grundlage 1: Das traditionelle Christentum
Wer sich mit Erdmann auseinandersetzen will, muss vor allem die S. 28–31 lesen, in denen Erdmann das traditionelle Christentum und den Dominionismus definiert und einander gegenüberstellt. Wer diese vier Seiten nachvollziehen kann, findet dann im Buch eine Menge Einzelbeispiele. Wer diese Seiten für eine falsche Darstellung von Geschichte und Gegenwart hält, wird aus dem Rest des Buches keinen Gewinn mehr ziehen können.
„Das traditionelle Christentum lehrt: Das Evangelium des ewigen Heils bezieht sich auf den Glauben an Jesus Christus und dessen vergossenes Blut am Kreuz. Die Betonung liegt einerseits auf der Buße, also der Sinnesänderung und Abwendung vom Bösen, und andererseits auf der Bekehrung, also der Hinwendung des Menschen zu Gott. Das Königreich Gottes ist in dieser Zeit der Gnade ein geistlicher Bereich, der durch die evangelistische Verkündigung des Wortes Gottes vergrößert wird. Christus machte zweifellos deutlich, dass sein Reich ‚nicht von dieser Welt‘ (Joh. 18,36) ist, sondern eine geistliche Herrschaft über die Herzen der Gläubigen (Luk. 17,20-21).“ (S. 28)
Unter „Das traditionelle Christentum lehrt“ führt Erdmann also zunächst das „Evangelium“ in den beiden Sätzen so an, wie es jeder Evangelikale teilen würde. Erst dann folgt als zweiter Bestandteil das, was eigentliche Grundlage seiner Kritik ist: „Das Königreich Gottes ist in dieser Zeit der Gnade ein geistlicher Bereich, der durch die evangelistische Verkündigung des Wortes Gottes vergrößert wird“. Christi Reich ist „nicht von dieser Welt“, „sondern eine geistliche Herrschaft über die Herzen der Gläubigen“ (S. 28-29). Das Entscheidende dabei ist, dass seine Definition von „Reich Gottes“ alles andere, das heißt vor allem auch alles Sichtbare ausschließt. Wer über die bei allen Evangelikalen selbstverständlich immer an erster Stelle stehende Verkündigung hinaus etwas Weiteres tut, ist für Erdmann vom traditionellen Christentum abgewichen. (Wenn man das zu Ende denkt, dürfte sich ein Christ auch nicht für seine Familie engagieren, da die eine soziale, sichtbare Größe und kein unsichtbares Reich Gottes darstellt.)
Traditionelles und allein gutes Christentum ist für ihn also die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufgekommene Sicht, dass die Gemeinde Jesu nur mit einer unsichtbaren Herrschaft Jesu verbunden sei, wie sie klassisch John Nelson Darby, der Vater des Dispensationalismus, herausgearbeitet hat. Kein Wunder, dass Erdmann beklagt, dass der „Dispensationalismus“ zunehmend ausgehöhlt wird und an Einfluss verliert (S. 136–137). Denn tatsächlich hat sich der Dispensationalismus längst weiterentwickelt und hat gerade auch von dem völlig vergeistigten Reich-Gottes-Verständnis Abschied genommen.
Übrigens gilt auch: Selbst wenn man Erdmanns Reich-Gottes-Definition teilt, heißt das ja nicht, dass alles, was nicht Reich Gottes ist, deswegen verboten sei. Viele biblische Gebote beziehen sich auf irdische Dinge. So essen und trinken wir, obwohl wir wissen, dass „das Reich Gottes nicht Essen und Trinken“ ist (Röm 14,17).
Zunächst einmal ist zu sagen, dass das, was Erdmann vertritt, nicht das „traditionelle Christentum“ ist. Die katholische oder orthodoxe Sicht ist das sicher nicht, aber Erdmann meint mit „Christentum“ offensichtlich nur die Nachfahren der Reformation. Aber auch bei Luther, Bucer, Calvin oder bei Wesley, Spurgeon oder Oncken (und vielen mehr) ist ein solches Reich-Gottes-Verständnis nicht zu finden.
Zudem gilt: Ein allen gemeinsamen Reich-Gottes-Verständnis hat es in der Kirchengeschichte zu keinem Zeitpunkt gegeben. Die Zahl der Definitionen sind Legion. Die Diskussionen darüber füllten in jedem Jahrhundert Bibliotheken. Zu behaupten, die eigene Sicht sei die traditionelle, von der jetzt alle anderen abwichen, ist für mich ebenso falsch, wie so zu tun, als sei irgendeine traditionelle Sicht – gleich welche – der absolute Maßstab. Eine solche Funktion steht nur dem Heiligen Geist und der Heiligen Schrift in ihrer Gesamtheit zu und letztere übermittelt uns die Offenbarung in einer enormen Breite und Vielfalt, die bei Erdmann völlig fehlt. Es ist überhaupt so, dass Erdmann keine biblisch-exegetische Untermauerung seiner Aussagen und eine Auseinandersetzung mit anderen Bibelauslegungen vorlegt.
Ein Problem der Argumentation Erdmanns ist dabei durchgängig, dass er häufig von der guten Theologie früherer Zeiten spricht und sicher ist, dass früher alles ganz anders war. Doch schon Luther, Calvin, Bucer, Wesley, Spurgeon und viele andere mehr haben sich auch für gesellschaftliche Belange eingesetzt, waren also gemäß Erdmanns Verständnis Dominionisten. Die Bezeichnung „evangelicals“ stammt aus dem britischen Kampf gegen den Sklavenhandel, den William Wilberforce angeregt von den Lehren John Wesleys anführte. Es ist derselbe Kampf, aus dem das Lied „Amazing Grace“ stammt, die „Nationalhymne“ der Evangelikalen, geschrieben von einem bekehrten Sklavenhändler, der Vergebung als Gnade pur erlebte, sowohl persönlich, als auch in der gesellschaftsverändernden Kraft, dass er nun statt dem Bösen das Gute wirken durfte.
Erdmann nennt keine Personen aus der Geschichte, die die früher angeblich klare und wahre Theologie vertreten haben. Gleichzeitig schreibt er: „Auffallend ist, dass die Führungspersonen des Christentums seit der Konstantinischen Wende bisweilen einen Hang zum Dominionismus aufweisen.“
Erdmann zitiert nur einen Autor als Vertreter der traditionellen Sicht, der aber in dem Zitat gerade das nicht sagt, was Erdmann sagt: „Matthew Henry, der bekannte englische Bibelausleger, schrieb 1706 über die auferlegte Pflicht der Evangelisation: ‚Christus beabsichtigte, dass sein Evangelium weder durch Feuer und Schwert propagiert werden sollte noch durch den Zorn der Menschen als Exekutoren der richtenden Gerechtigkeit Gottes. Wenn wir Gott in den höchsten Tönen loben, sollten wir einen Olivenzweig des Friedens in Händen halten. Die Siege Christi werden dank der Kraft des Evangeliums und der Gnade über die geistlichen Feinde errungen. Darin zeichnen sich die Gläubigen mehr als Überwinder aus. Das Wort Gottes ist das zweischneidige Schwert (Hebr. 4,12), das Schwert des Geistes (Eph. 6,11)‘.“ (S. 28) Welcher Evangelikale würde das denn in Frage stellen?
Matthew Henry hatte als puritanischer Ausleger aber ein ganz anderes Reich-Gottes-Verständnis als Erdmann. Und seine stark in Richtung Postmillennialismus gehende Eschatologie müsste Henry für Erdmann gerade zu einem Musterbeispiel für den Dominionismus machen.
Grundlage 2: Dominionismus
Das Gegenstück zum traditionellen Christentum ist für Erdmann der „Dominionismus“. Neben dem traditionellen Christentum und dem Dominionismus, der sich mit der Welt eins macht, scheint es, wenn ich das Buch richtig verstehe, eigentlich keine dritte Größe unter Christen weltweit zu geben – das vermittelt das Buch auf fast jeder Seite.
„Der Dominionismus lehrt: Das Evangelium des Heils bewirkt die Einführung des ‚Königreichs Gottes‘ als ein irdisches Reich der Herrschaft Christi, das in der jetzigen Zeit aufgerichtet werden soll. Einige Dominionisten vergleichen das Königreich des Neuen Testaments mit dem Israel des Alten Testaments. Sie fühlen sich demnach berechtigt, das Schwert zu ergreifen oder andere Methoden der Strafjustiz zu wählen, um Krieg gegen die Feinde des ‚christlichen‘ Königreiches zu führen. Menschen, die sich der Herrschaft Gottes nicht unterordnen, müssen gezwungen werden, ins Königreich zu kommen. Die Kirche besitzt nun die gleiche juristische Gewalt, wie sie in der Bibel dem triumphalen Jesus Christus bei seiner Wiederkunft zugeschrieben wird. Dies umschließt auch den esoterischen Glauben, dass Christus in seiner Kirche Gestalt annimmt und dass sie seinen Leib auf Erden darstellt. Mit Hilfe der Kirche richtet Christus seine Königsherrschaft auf dieser Erde auf. Die Taten der Menschen erhalten eine nicht angemessene Betonung, die göttliche Souveränität wird gemindert. Die Theologie des Dominionismus setzt sich aus drei Grundannahmen zusammen:
- Satan nahm nach dem Sündenfall widerrechtlich die herrschaftliche Stellung über die Welt ein, die eigentlich dem Menschen vorbehalten war.
- Die Kirche ist Gottes Instrument, um Satan die Herrschaft wieder abzunehmen.
- Die Wiederkunft Jesu wird solange hinausgezögert, bis die Kirche die Herrschaft über alle staatlichen und sozialen Institutionen der Welt errungen hat.“ (S. 28–29)
Mir ist keine einzige evangelikale Führungspersönlichkeit bekannt, die vertritt, wir sollten, dürften oder müssten „das Schwert“ gegen Nichtchristen „ergreifen“, die „Strafjustiz“ gegen Feinde des Christentums einsetzen oder dass alle Menschen in die Kirche „gezwungen“ werden müssten.
Dass es evangelikale Christen gibt, die ihre Hoffnung in bestimmten Fragen zu sehr auf den Staat setzen oder Parteipolitik mit christlicher Ethik verwechseln, ist richtig. Vor allem in den USA ist das ein Problem. Aber deren Motivation ist nicht der hier dargestellte Dominionismus, und gerade diese Bewegungen, wie etwa die sog. „amerikanische Rechte“, werden von Erdmann nicht thematisiert. Für die USA kritisiert er fast ausschließlich sogenannte Linksevangelikale, nur gelegentlich und viel verhaltener Rechtsevangelikale, auf die seine Kritik – wenn überhaupt – viel eher zutreffen würde. Zudem repräsentieren die von ihm genannten Beispiel nicht die Evangelikalen, schon gar nicht diejenigen außerhalb der USA.
Diesen Dominionismus gibt es nicht
Mir ist keine Person und keine Veröffentlichung der evangelikalen Bewegung der Gegenwart bekannt, die das vertritt. Keine der im Buch diskutierten Personen oder Werke würde das teilen.
Erdmann nennt kein einziges Beispiel dafür, wer denn diese Position vertritt, wohl, weil er es gar nicht könnte. Er zitiert keine Veröffentlichung, in der das in etwa so vertreten wird. Es mag sein, dass man für einzelne Aussagen Beispiele findet, aber Erdmann sieht ja gerade die Zusammenschau als den Dominionismus an. Im Gegenteil: Evangelikale und vor allem die Weltweite Evangelische Allianz sind seit dem 19. Jahrhundert Vorreiter der Religionsfreiheit und der Trennung von Kirche und Staat, wie gerade Georg Lindemann ausführlich in seiner Habilitationsschrift nachgewiesen hat.
Die evangelikale Bewegung ist unter anderem aus dem Kampf für die Religionsfreiheit heraus entstanden und bei aller Breite ist die Religionsfreiheit eine ihrer tragenden Selbstverständlichkeiten geblieben. Gerade ist sie führend an einem weltweiten Ethikkodex beteiligt gewesen, der jeden Zwang in der Mission als unchristlich verurteilt. Dass sie jetzt dafür sei, mit dem Schwert zu missionieren und Menschen in die Kirche zu zwingen, müsste angesichts der erdrückenden Belege für das Gegenteil gründlich belegt werden. Genau das tut Erdmann aber nicht.
Damit soll nicht gesagt werden, dass es bei der einen oder anderen von Erdmann angesprochenen evangelikalen Richtung oder Persönlichkeit nicht Grund zur Sorge oder Diskussion gäbe. Aber es sind in der Regel andere Bereiche, als die von Erdmann angesprochenen und sie wurzeln nicht im „Dominionismus“.
Kurzum könnte man sagen: Der Dominionismus – im Sinne von Erdmann – ist grundfalsch und unchristlich – aber es gibt ihn – so jedenfalls – nicht auf dem evangelischen Markt.
Erdmann schreibt: „Das offensichtlich Falsche an dieser Lehre wird so geschickt verschleiert, dass es schon einer Portion an geistlichem Scharfsinn bedarf, um das Unbiblische im Kern dieser Lehre erkennen zu können.“ (S. 30). Um das als falsch zu erkennen, braucht man aber keinen Scharfsinn und auch keinen Kern herauszuschälen. Das Evangelium mit Schwert und Strafrecht zu verbreiten, ist schlicht und einfach und offensichtlich falsch.
Alle in einen Topf?
Aufs Ganze gesehen wirft Erdmann ungezählte Personen, Werke und Bewegungen in einen Topf. Darunter sind ausgezeichnete und problematische, theologisch konservative und progressive, rechte wie linke, kleine wie große. Er setzt sie alle gleich und verdammt sie, die Lausanner Bewegung und die Weltweite Evangelische Allianz, Reformierte wie Baptisten, John Stott als reformierter Vordenker wie Brian McLaren als Vorreiter der Emerging Church-Bewegung, missionarisch tätige Organisationen wie auf andere Ziele ausgerichtete Werke, wie das Micha-Netzwerk. Sie alle verfolgen nach Erdmann eigentlich dasselbe Ziel, die Gemeinde Jesu weg vom Evangelium hin zur Beeinflussung durch die Welt zu locken.
„Indem sich viele Christen auf neue, weit gefächerte Allianzen mit Dominionisten einlassen, geben sie ihre Aufgabe als Zeugen des Evangeliums preis. Das Vermögen, als unabhängige Menschen zu leben, die sich in direkter Verantwortung gegenüber Gott einzig an der Bibel orientieren, wird deutlich eingeschränkt.“ (S. 29).
Wählen wir eine Person und eine Arbeitsgemeinschaft von Missionsgesellschaften als Beispiele.
Da ist etwa der jüngst verstorbene Theologe John Stott (S. 74–75). Ihm vorzuwerfen, er habe die Evangelisation verraten, ist falsch. Mit der Lausanner Erklärung von 1974 stellte er die Botschaft vom Kreuz und die Weltmission unmissverständlich in den Mittelpunkt der evangelikalen Bewegung. Das vorherrschende Thema beim internationalen Dankgottesdienst für Stott in der St. Paul’s-Kathedrale war, dass Stott Jesus und die Erlösung am Kreuz immer und überall in den Mittelpunkt gestellt habe. Sein wichtigstes Buch „The Cross“, das gerade erst nach 30 Jahren auf Deutsch erschienen ist, ist eine der bedeutendsten Verteidigungen der Lehre von Sühne und Erlösung.
Die Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Missionen steht bei Erdmann ebenso im Verdacht, die Weltmission verraten zu haben (S. 184). Auf S. 183 listet Erdmann namhafte Missionsgesellschaften wie die Wycliffe-Bibelübersetzer oder die Schweizer Allianzmission auf, in einer Fußnote über 50 Werke, die die Micha-Initiative bzw. „StopArmut 2015“ unterstützen und damit den Verrat am Evangelium belegen. Ein genauerer Blick auf das, was diese Missionswerke weltweit tun, zeigt, dass sie zu Unrecht verdächtigt werden. Nichts weist darauf hin, dass Erdmann sich die Arbeit einer der genannten Organisationen genauer angeschaut hätte.
Evangelikalismus eine Spielart der Esoterik?
Die evangelikale Bewegung ist für Erdmann rechts und links mit esoterischen Bewegungen aller Art verknüpft. Möglich wird das über Wortassoziationen. Weil etwa die Rosenkreuzer ebenso wie einige Evangelikale von einer „Zweiten Reformation“ sprechen, könne dahinter eigentlich nur das gleiche Anliegen stehen (S. 87).
Wie kann man aber die Wycliffe-Bibelübersetzer einem New-Age-Umfeld zuordnen und unterstellen, sie wollten jetzt „Dominionismus“ umsetzen, statt „das Wort“ zu verkündigen? Wem es nicht oberstes Ziel ist, dass Menschen die Bibel (und damit das Evangelium) lesen können und darüber Jesus kennen und lieben lernen, der übersetzt nicht mit solch gewaltigem Aufwand Bibeln! In Wirklichkeit haben die Bibelübersetzer nicht ihren Schwung verloren, sondern sind aktiver und agiler denn je zuvor! Übrigens gilt auch hier: Wirklich verurteilt werden hier vor allem Christen des globalen Südens, denn die Wycliffe-Bibelübersetzer sind ja international „nur‘ noch ein Dachverband von nationalen Zweigen und ungezählten lokalen Partnern, die die Bibeln in die Sprache ihrer Region übersetzen. Wie überall geht der Anteil der westlichen Missionare und Linguisten dabei zurück, der Anteil derer aus dem globalen Süden steigt.
Als „Grundlage“ der Programme „Kirche mit Vision“ und „Zweite Reformation“, aber auch allerlei anderer evangelikaler Bewegungen wie Zellgruppengemeinden kann für Erdmann „eindeutig die ‚Allgemeine Systemtheorie‘ identifiziert werden, eine Synthese aus Evolutionswissenschaft und New Age“ (S. 150). Ist das wirklich „eindeutig“, wo doch die Parallelen weit hergeholt sind und auf sehr vieles in dieser Welt zutreffen? Den Beweis, dass die evangelikale Bewegung längst die Ziele der New-Age-Bewegung teilt, bleibt Erdmann meines Erachtens schuldig.
Der Einsatz für die Armen
Erst auf S. 181 heißt es erstaunlicherweise, da Erdmann bis dahin kein gutes Wort über gute Werke im sozialen Bereich gesagt hat: „Evangelikale haben traditionell das Gebot der Schrift ernstgenommen, als ‚Salz‘ und ‚Licht‘ (Matth. 5,12–13) in der Welt zu wirken. Diese Worte besaßen, so Erdmann, ursprünglich keine dominionistische Färbung. Sie bedeuteten einfach, dass Christen durch individuelle oder gemeinschaftliche Wohltaten das Leben von Menschen positiv beeinflussen können. Dank eines heiligen und gerechten Lebensstils, der übereinstimmt mit einem biblischen Glaubensbekenntnis, können Christen auch in ihrer kulturellen Umgebung Gutes leisten.“ (S. 181).
Das ist wirklich erstaunlich, denn bis S. 181 klang es so, als wäre dem genau nicht so und als fiele schon das alles unter „Dominionismus“. Diese Worte könnten doch von der Micha-Initiative und praktisch allen von Erdmann angegriffenen Personen und Organisationen stammen.
Jetzt ist man gespannt, wie denn Erdmann begründet, dass die Evangelikalen heute von dieser Einsicht abgewichen sind. Seine Antwort und Begründung: Sie setzen sich neuerdings weltweit gegen Armut ein (S. 181–186). Also: wer sich gegen weltweite Armut einsetzt, verrät das Gebot Jesu in Matthäus 5,12–13, ja überhaupt das Evangelium und Jesus Christus?
Jetzt müsste also eine Antwort auf die Frage kommen, wie denn dann die vielen biblischen Aufforderungen und Gebote, Armen und Schwachen zu helfen, zu verstehen sind. Darauf geht Erdmann aber nicht ein. Gilt für uns Menschen im Westen, die „die Güter dieser Welt“ haben nicht jenseits aller theologischer Diskussionen ganz einfach, was Johannes schreibt: „Wenn aber jemand dieser Welt Güter hat und sieht seinen Bruder darben und schließt sein Herz vor ihm zu, wie bleibt dann die Liebe Gottes in ihm?“ (1. Johannes 3,17)?
Nun schreibt Erdmann dazu: „Die Initiative zur Bekämpfung der Armut mag oberflächlich gesehen löblich erscheinen.“ (S. 185). Immerhin! Doch sofort behauptet er, dass die „Gemeinnützigkeit“ nur vorgeschoben ist: „Blickt man allerdings unter die Oberfläche, erkennt man den Dominionismus.“ Alles ist „werbeträchtig“ darauf ausgerichtet, „die öffentlichen Meinungsmacher in der Welt positiv“ zu beeindrucken, und „neue ‚Rekruten‘ für die Armee der ‚Milliarde von freiwilligen Fußsoldaten‘ anzuheuern“ (S. 185). Und was ist sein Beweis für seine ungeheuerliche Aussage? Der lapidare Satz danach, nämlich dass Rick Warren die Micha-Iniative unterstützt. Also, wenn Rick Warren die Armutsbekämpfung unterstützt, kann sie ja nur falsch und seiner Gier nach Anerkennung geschuldet sein? Diese Logik überzeugt nicht.
Das Ganze ist schon ein arger Affront gegenüber den Millionen in der Basis-Arbeit der Micha-Initiative und des Micha-Netzwerkes engagierten Christen im globalen Süden! Hat Erdmann sich je bemüht, deren Anliegen und Opferbereitschaft zu verstehen? Kennt er die Verantwortlichen der Micha-Initiative im Westen? Die Initiative hat ein kleines Budget und praktisch kaum vollzeitliche Mitarbeiter und diese leben vorbildlich in gewählter Selbstbeschränkung. Reich wird dort niemand. Und alles nur um Werbung zu machen? Alles nur, um wichtige Leute zu beeindrucken? Nein, im Gegenteil ist das Ziel, öffentlichen Meinungsmachern mit einem Thema zu konfrontieren, dass sie selten zu Freunden macht, dass nämlich nicht ihre schönen Worte und Versprechen zählen, die sie zum Thema Armut machen, sondern ob sie diese Versprechen halten und was sie konkret tun.
Weder liefert Erdmann eine biblisch-theologische Begründung dafür, warum es falsch ist, sich für die Armen einzusetzen, noch liefert er irgendeinen Beweis für die „wahren Motive“ von Millionen Mitchristen. Es ist ja schlimm genug, wenn Christen im Wohlstand die Armut weltweit übergehen, aber warum muss man noch denen das Leben schwer machen, die sich im Namen Jesu gegen Armut einsetzen, ja warum muss man den wirklich armen Christen verbieten, im Rahmen der Micha-Initiative oder auch sonst Selbsthilfe zu organisieren?
Fehlerhaft
Das Buch enthält viele Aussagen, für die ein Beleg fehlt oder die einfach falsch sind. So heißt es: „Im frühen 21. Jahrhundert treten in evangelikalen Denominationen und parakirchlichen Institutionen unzählige Befürworter eines Staatskirchensystems auf und legen einen erstaunlichen Eifer an den Tag.“ (S. 27). Wer das denn so vertreten hat, wird nicht gesagt, und konkrete Belege dürfte man wohl vergeblich suchen. (Ich will einmal ganz außer Betracht lassen, dass die Trennung von Kirche und Staat eine komplizierte, sich in jedem Land neu und anders darstellende Thematik ist, die man nicht wie Erdmann auf drei absolute Sätze reduzieren kann.)
Viele Aussagen wirken zudem merkwürdig „plump“ (mir fällt kein besseres Wort ein). Zum Dominionismus gehört angeblich die „Futurologie“ (S. 89). Die ist im Buch nicht gemäß Duden eine „Wissenschaft, die sich mit den zu erwartenden Entwicklungen auf technischem, wirtschaftlichem und sozialem Gebiet beschäftigt; Zukunftsforschung“, sondern Futurologen, so Erdmann, definierten sich darüber, dass sie „glauben, dass der Mensch seine eigene Zukunft gestalten kann“ (S. 89). Ein Beleg dafür fehlt.
Was soll man dazu sagen? Ist es gut oder schlecht, die Zukunft gestalten zu wollen? Einerseits geht die Bibel ja davon aus, dass der Mensch die Aufgabe und Verantwortung vor Gott hat, die Zukunft zu gestalten, und auch für die weiteste Zukunft, die ewige Gemeinschaft mit Gott, ist der Mensch mit verantwortlich. Andererseits kann natürlich niemand die Zukunft im absoluten Sinne gestalten, er weiß weder, was in der nächsten Sekunde geschieht („so der Herr will und wir leben“), noch ist er in der Lage, die hochkomplexe Welt insgesamt zu beeinflussen. Nur: Welche evangelikalen Leiter vertreten denn, dass die Zukunft vom Menschen vollständig machbar sei? Aber zu lehren, dass dem Mensch die Zukunft egal sein soll, wäre auch nicht biblisch.
Die wirklichen Probleme der evangelikalen Bewegung kennt und erwähnt Erdmann nicht
Selbstverständlich hat die weltweite evangelikale Bewegung mit ernst zu nehmende Probleme in ihren Reihen zu kämpfen. Wie sollte das bei mehr als einer halben Milliarden Menschen auch ander sein? Nur kann ich nicht ersehen, dass Erdmann irgendeines von ihnen wirklich kennt und seriös darstellt. Man denke an die kürzliche gemeinsame Stellungnahme der Lausanner Bewegung International und der Weltweiten Evangelischen Allianz gegen das „Health-and-Wealth-Gospel“. Dass Geld eine Wurzel allen Übels ist, auch in der Gemeinde, steht schon im Neuen Testament und die evangelikale Welt ist wie alle Christen natürlich nicht immun dagegen. Doch Erdmann behandelt das Wohlstandsevangelium nicht, sondern nur diejenigen, die Armut bekämpfen wollen.
Das enorm schnelle Wachstum der Christenheit in China hat zur Folge, dass es viele Christen gibt, die nicht genügend „Nacharbeit“ erlebt haben und für allerlei abstruse Lehren oder Lehrer offen sind. Bei den Massenübertritten aus der katholischen Kirche in Brasilien und Lateinamerika hinüber in Pfingstkirchen fehlt es oft an persönlicher Betreuung und Einführung in den Glauben, eine unbiblische Orientierung an einzelnen Führern ist die Folge. Über all das kann und muss man diskutieren, auch wenn es nicht pauschal die evangelikale Bewegung beschreibt, sondern eben Probleme bestimmter Flügel oder regionaler Situationen. Und wer immer einen Verantwortlichen der Weltweiten Evangelischen Allianz fragt, wird als Problem Nummer 1 zu hören bekommen, dass die durchschnittliche Bibelkenntnis unter Evangelikalen bedrohlich abnimmt. Doch zu all dem sagt Erdmann nichts, schon gar nicht, wie man diese Probleme überwinden kann.
Machtmenschen gibt es überall und sie bedrohen auch gerade evangelikale Gemeinden, wie etwa Martina und Volker Kessler als Insider in ihrem Buch „Die Machtfalle‘ darstellen. Doch so etwas Konkretes samt Lösungsvorschlägen findet sich in Erdmanns Buch über „Macht“ nicht.
Statt also solche Fragen anzusprechen, behauptet Erdmann, Kernproblem sei, dass die evangelikale Bewegung ihren evangelistischen Schwung verloren hätte. Genau das stellt aus meiner Sicht die Sache auf den Kopf. Die meisten Probleme, die wir heute haben, sind eine Folge einer organisierten, unorganisierten und persönlichen Verkündigung des Evangeliums wie nie zuvor, gerade in Ländern ohne Religionsfreiheit und Menschenrechtsschutz. Dass ein Weltweiter Gebetstag für verfolgte Christen organisiert wird und sich die Weltweite Evangelische Allianz bei der UN und bei Regierungen für Religionsfreiheit einsetzt, ist eine Folge der globalen Missionsarbeit und der Ausbreitung der Gemeinde Jesu wie nie zuvor. Dass die Anfälligkeit für falsche Lehren steigt, ist eine Folge des enorm schnellen Wachstums unserer Gemeinden im globalen Süden. Das die Wycliffe-Bibelübersetzer auch in der säkularen Welt einen hervorragenden wissenschaftlichen Ruf haben, ist nicht ihr Anliegen, sondern eine Folge des Umstandes, dass von ihnen (und etwa den Mitgliedsorganisationen der Weltbibelgesellschaft) so viele Bibeln wie noch nie übersetzt werden und die Bibelübersetzer dazu mehr Sprachen erstmals erforscht haben, als irgendeine andere Gruppe, aber auch in der Sprach- und Übersetzungssoftware weltweit führend sind.
Dass der UN-Generalsekretär der Weltweiten Evangelischen Allianz für den Einsatz der Micha-Iniative dankt, ist doch nicht das Ziel dieser Initiative gewesen. Vielmehr ist ihr Ausgangspunkt die stark wachsende Zahl von Christen in Armutsregionen gewesen und die Einsicht, dass sie am besten wissen, wie man mit Unterstützung reicherer Kirchen und Länder Armut vor Ort konkret bekämpfen kann. Denn der „Erfolg“ der Micha-Initiative (und des Micha-Netzwerkes) ist gerade dem Umstand geschuldet, dass dort nicht „die Welt“ kopiert wird (wie Erdmann behauptet), sondern Christen ihren eigenen Weg zur Armutsbekämpfung einschlagen, der die Basisarbeit ungezählter Kirchengemeinden einschließt. Dass das „funktioniert“ und dann anerkannt wird, ist Folge, nicht Ziel.
Wenn man sich die vier Hauptzweige des „Dominionismus“ anschaut und die Personen, die Erdmann als ihre Hauptvertreter anführt (C. P. Wagner, Billy Graham, Bill Bright, Rick Warren, Bill Hybels, Brian McLaren, Erwin McManus), muss man zu dem Schluss kommen, dass Erdmann 1. den amerikanischen Evangelikalismus mit dem internationalen verwechselt und international den Einfluss großer Namen und ihrer jeweiligen „Ministries“ stark überschätzt. In den USA stehen solche Namen neben einer Vielzahl anderer „big guys“, er nennt ja vor allem diejenigen, die sehr stark auch in Deutschland engagiert und bekannt sind. Die Problemlage in Ländern mit einer großen Zahl Evangelikaler wie etwa Indien, Nigeria, Brasilien oder China hat mit den genannten Namen kaum etwas zu tun.
Insgesamt muss man sagen: Erdmann hat keinen Überblick über die evangelikale Bewegung weltweit, wie sie wirklich ist und was sie wirklich tut. Er setzt sich 1. nur mit amerikanischen und europäischen Autoren auseinander und unterschlägt die vitalen Kirchen des globalen Südens, und er setzt sich 2. nur mit veröffentlichten Texten und Nachrichten bekannter evangelikaler Pastoren auseinander, kaum mit vielen lehrenden und schreibenden Hochschultheologen weltweit, sicher aber nicht mit realen Situationen, mit realen Gemeinden und den vielen Millionen gläubigen Menschen.
Ad personam: Wasser predigen und Wein trinken
Normalerweise ist mir eine Argumentation ad personam zuwider. Ob ein Autor Recht hat, hängt nur bedingt mit der Frage zusammen, ob er selbst entsprechend lebt. Wer ad personam Erdmann nichts hören möchte, kann diesen kleingedruckten Teil ohne Verlust überspringen. Aber da Martin Erdmann seine These über weite Strecken darauf aufbaut, welche Personen mit wem zusammenarbeiten, wo sie gesprochen haben, und viel aus dem Leben evangelikaler Leiter erzählt, interessiert der Glaubwürdigkeit halber, inwieweit er sich selbst von den kritisierten Personen unterscheidet. Erstaunlicherweise eigentlich nicht. Oder anders gesagt: Wäre Erdmann nicht gerade Autor des Buches, wäre es leicht, ihm im Duktus seines Buches des „Dominionismus“ zu überführen, den er bei so vielen anderen findet.
So wirft er anderen vor, um der Akzeptanz in einer säkularen Umwelt willen keine klare biblische Sprache mehr zu sprechen. Man müsse immer und überall biblisch verkündigen und dürfe sich weder um einer größeren Akzeptanz willen anpassen, noch gesellschaftspolitisch aktiv sein. Martin Erdmann arbeitete selbst bis vor kurzem als „Senior Scientist“ am Universitätsspital Basel im Bereich der Ethik der klinischen Nanomedizin (S. 7). Liest man seine Texte und Veröffentlichungen dazu, erfüllen sie genau den Tatbestand dessen, was er kritisiert. Nur verhalten im Hintergrund ist zu erkennen, dass hier ein Christ schreibt; denn er schreibt so, dass seine Arbeitgeber es akzeptieren können und er eine breite säkulare Leserschaft für seine ethischen Ansichten gewinnen kann – für mich sehr löblich, wenn er nicht genau das anderen vorwerfen würde. Und was ist ein Theologe, der zur Ethik der Nanomedizin forscht, anderes als ein Theologe, der versucht, die Gesellschaft zu beeinflussen?
Auf S. 54 führt Erdmann das Patrick Henry College in der Nähe von Washington als Beispiel für den Dominionismus an. Beleg dafür ist, dass Absolventen beim CIA arbeiten („werden … zu Geheimagenten des CIA ausgebildet“, schreibt Erdmann, tatsächlich erwerben sie einen Abschluss in Jura oder Politikwissenschaften und einige bewerben sich damit dann unter anderem bei der CIA, die sie bei Annahme weiter ausbildet). Eine christliche Hochschule bei Washington wie das Patrick Henry College, die in den USA sehr angesehene Abschlüsse unter anderem in Jura und Politologie anbietet, ist natürlich per se auf politische Fragen ausgerichtet und ja, Absolventen werden unter anderem auch Richter, Polizeioffiziere oder CIA-Mitarbeiter. Man mag darüber streiten, ob Christen solche Berufe erlernen und ausüben sollten und ob man Richterämter und Sicherheitsbehörden lieber komplett anderen überlässt – Johannes der Täufer hat von römischen Offizieren ja nicht verlangt, ihren Beruf aufzugeben, sondern vielmehr gerecht und ehrlich in dessen Ausübung zu sein (Lk 3,14) – das Erstaunliche ist, dass Martin Erdmann 2003 bis 2010 dort selbst Professor für Apologetik war (S. 6+12), während er bereits Vorträge mit dem Inhalt dieses Buches hielt.
Das heißt, die im Buch von ihm selbst genannten beruflichen Tätigkeiten Erdmanns erfüllen alle den Tatbestand des „Dominionismus“ gemäß seiner eigenen Definition. Irgendeine berufliche oder wenigstens umfangreiche nebenberufliche Tätigkeit im Bereich der Evangelisation oder Weltmission, wie sie Erdmann von allen Evangelikalen ausschließlich fordert, oder im Bereich gemeindlicher Strukturen ist dagegen nirgends zu ersehen.
15 Kommentare
Mir ist keine einzige evangelikale Führungspersönlichkeit bekannt, die vertritt, wir sollten, dürften oder müssten „das Schwert“ gegen Nichtchristen „ergreifen“, die „Strafjustiz“ gegen Feinde des Christentums einsetzen oder dass alle Menschen in die Kirche „gezwungen“ werden müssten.
Das sicher nicht – jedoch wer sich nicht mit ihrem Verständnis von „Evangelium Jesu“ anfreunden kann, besonders im Blick auf den „Interreligiösen Dialog“ und dem Wunsch bei der Erreichung der Millenniums Ziele behilflich zu sein und andere Haarsträubenden Aktionen – der wird zunehmend unter druck gesetzt, ausgegrenzt – alles weitere ist aus meiner Sicht absehbar. Sie gehen in manchen Dingen eben sehr Subtil vor und das hat Herr Erdmann doch sehr gut herausgestellt. Übrigens hat doch niemand etwas dagegen gutes zu tun und dort zu helfen wo Hilfe nötig ist – das jedoch hat bei ihnen eher politische Dimensionen, und ist nicht zu verwechseln mit einer von Gott gegebener Barmherzigkeit. Wer ist so dumm und hilft der UNO bei um ihre Millennium zu erreichen?
Kennen sie die Herr Schirrmacher ?
Sehr geehrter Herr Beccard,
1. Erdmanns zentrale These ist doch aber, dass die Evangelikalen weltweit diese Sicht teilen und sie haken das so nebenbei ab („Das sicher nicht“), dass sie das eben nicht tun? Damit ist doch das ganze Buch falsch gewickelt. Oder finden sie Falschdarstellung im Dienste einer guten Sache in Ordnung?
2. Dann sprechen sie von „ihrem Verständnis von ‚Evangelium Jesu'“. Meinen sie meins? Gibt es denn meins? Ich dachte immer, es gibt nur das eine Evangelium und selbst Paulus verfluche sich für den Fall, das er ein anderes brächte? Und wo lehre ich das Evagelium falsch, etwa in meiner Auslegung des Evangeliums „Der Römerbrief“ oder in meinem Buch „Der Ablass: Eine evangelische Kritik“? Haben Sie jemals etwas von dem gelesen, was ich über das Evangelium schreibe?
3. „Interreligiöser Dialog“? Meinen Sie mich? Dann sind sie wohl an der falschen Adresse. Lesen sie mal beispielsweise mein Buch „Koran und Bibel“. Dass ich sehr „subtil“ vorgehe, hat Herr Erdmann nicht „sehr gut herausgestellt“, da er mein Vorgehen in seinem Buch gar nicht behandelt.
4. „Übrigens hat doch niemand etwas dagegen gutes zu tun …“. Na, dann müssen sie das Buch erst noch lesen.
5. „Wer ist so dumm und hilft der UNO bei um ihre Millennium zu erreichen?“ Wer hilft denn der UN? Die Micha-Initiative? Die hat der UN noch nie Geld oder Personal gegeben und arbeitet nach vllig eigenen geistlichen Prinzipien. Lediglich das Ziel „Halbierung der Armut“ wird geteilt – sind sie etwa dagegen?
Ihr Thomas Schirrmacher
Ich hatte gehofft und auch erwartet, dass Sie Herr Schirrmacher, Erdmanns Buch kritisch rezensieren. Ich habe das Buch teilweise überflogen und fand auch, dass es nicht gerade sehr sachlich war und viele Pauschalaussagen enthielt. Leider schließen sich für Erdmann politisches bzw. gesellschaftliches Egagement und Evangeliumsverkündigung offenbar aus. Ich verstehe Erdmanns Befürchtungen, jedoch trifft er nicht den Kern des Problems. Das Problem liegt nicht daran, dass Christen politisch bzw. gesellschaftlich tätig werden. Das Problem besteht darin, dass das Evangelium entweder nicht richtig verstanden wird oder keine angemessene Bedeutung zugemessen wird. Und leider gibt es im Evangelikalismus den Trend hin zum „social gospel“, der eine Folge davon ist.
Herr Schirrmacher,
ich habe das Buch von Martin Erdmann gelesen und bin sehr dankbar dafür das es geschrieben worden ist. Außerdem empfehle ich dieses Buch auch gern weiter. Das „sie“ übrigens bezieht sich generell auf alle Befürworter des „Interreligiösen Dialogs“ oder Vertreter eines Humanistischen Evangeliums.
Lieber Thomas
Vielen Dank für deine Rezension von Erdmann. Ich habe das Buch auf Empfehlung gelesen, ständig begleitet vom Eindruck, dass hier nicht sauber agrumentiert, pauschalverdächtigt und selten bis nie darauf hingewiesen wird, wie es denn biblisch gesehen richtig sein müsste. Alles in allem ein wenig hilfreiches Buch.
Was mir bei deinen Ausführungen fehlt, ist eine Stellungnahme zum Mystizimus in der Emergent Church. Wie ist dieser Abschnitt einzuordnen? Hier wäre ich dir noch dankbar für eine kurze Stellungnahme.
Liebe Grüsse
Hans-Jörg Denzler
Lieber Herr Schirrmacher,
ich bin ihnen sehr dankbar für diese ausführliche Rezension. Als ich in das Buch hineingelesen habe, fiel mir kein besserer Rezensent für dieses Buch in Deutschland ein als sie. Deswegen bin ich sehr froh, dass sie sich die Mühe gemacht haben, dieses Buch zu rezensieren und auf seine falschen Behauptungen aufmerksam zu machen!
Haben sie vielen Dank,
Marcus Hübner
Sehr geehrter Prof. Schirrmacher,
kam zu Ihrer ausführlichen und differenzierten Rezension (über das Erdmann-Buch, dass ich nicht gelesen habe) letztlich, weil die Zeugen Jehovas im Wachtturm 1. Sept. 2011/ S.8und9 (ausgehändigt bei klassischem Haustürbesuch) behaupten, dass Jesus gemäß Offb.12 „als Erzengel Michael“ den Teufel besiegt habe. Es ergab sich hier ein Briefwechsel, zu dem ich neben verschiedenen Bibelstellen auch Vorträge zum Thema hörte und im Internet auch auf diesen Begriff „Dominionismus“ stieß, was wiederum auf einem ganz anderen Gebiet Anlaß zu Nachforschungen gibt. Bis Jesus wiederkommt sind alle Christen natürlich aufgefordert an allen Ecken und Enden Gutes zu tun und die kostbare Zeit auszukaufen, Irrtümer und Umwege nicht ausgeschlossen. Das Gute ist zu behalten, auf der Gottheit Jesu Christi ist zu beharren. Viele Grüße, T.H.
Lieber Bruder Schirrmacher,
vielen Dank für die klare Darstellung und hilreiche Analyse des Buches. Vor drei Jahren durfte ich mir bei einem Vortrag von Erdmann die Grundzüge seines jetzigen Buches anhören und war sehr traurig über seine (auch namentliche) Kritik an bibeltreuen Geschwistern, die ja durch ihre Bemühungen – nämlich im gemeinschaftlichen Dienst am Reich Gottes das Evangelium und das Gebot Jesu den Augen dieser Welt präsentieren; und zwar einer Welt, in der die Liebe und das Miteinander immer mehr erkalten.
Sicherlich darf eine christliche Gemeinschaft und auch der soziale Aspekt nicht auf Kosten des Evangeliums gefördert werden aber es MUSS zugunsten des Evangeliums geschehen.
In der Vergangenheit existierte ein gesunder und tatkräftiger Geist der Gemeinschaft unter Evangelikalen der verschiedensten Denominationen. Lutheraner und Baptisten, Calvinisten und Arminianer, Gläubige aller Lager haben gemeinsam für das Evangelium gekämpft. Doch woher kam dieser starke Zusammenhalt? In erster Linie war es die Grundlage gemeinsamer Glaubensbekenntnisse, wie die Gottheit Jesu. In zweiter Linie waren es gemeinsame Bekenntnisse der Protestantischen Reformation, wie „Rechtfertigung durch Glauben allein“. Und zuletzt war es das Bekenntnis „Allein die Schrift“ – im Sinne der biblischen Unfehlbarkeit –, die diese unterschiedlichen Lager vereinte.
Warum dämpfen wir heute diesen Geist, indem wir Streitigkeiten durch Weltbilder provozieren, die auf menschlicher Interpretation beruhen anstatt dass wir uns auf die Verkündigung des Evangeliums unseres souveränen Gottes besinnen?
Vielen Dank Bruder Schirrmacher und weiterhin viel Weisheit, Geduld und Liebe.
Soli Deo Gloria.
Sehr geehrter Herr Dr. Schirrmacher,
ich habe das Buch von Dr. Erdmann gelesen und war wie Sie der Meinung, dass er nicht ausgewogen und sachlich argumentiert. Die Belege für seine Behauptungen sind fadenscheinig und ungenügend. Jedoch fand ich manche Beobachtung meinerseits in der Evangelikalen Szene in diesem Buch wieder und ich kann mir nicht helfen, manches stimmt einfach. Es ist meines Erachtens so, das sich aus dem vermehrten sozialen Engagement der Gemeinden, dem ich nichts in den Weg legen möchte, falsche Hoffnungen entwickeln. Während die ersten Christen in der Naherwartung Jesu ausschließlich aus Liebe handelten, denn von der Welt erhofften sie nichts, so wird heute manches immer mehr aus Berechnung getan. Wir wissen aber: wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe, und hätte der Liebe nicht, so ist es nichts wert. Die falschen Hoffnungen sind es, die Probleme bereiten, ob wir nun auf Geistesgaben vertrauen, dieser Hype ja scheint abzuflauen, oder auf soziales Engagement, wenn wir das aus Berechnung tun und nicht aus einem Liebesdienst heraus, dann werden wir scheitern. Worin aber läge die Bewahrung? In einer neuen Naherwartung des Herrn. Aber nach dem Missbrauch der Eschatologie in den 70er und 80er Jahren, liegt gerade diese im Argen. Die typische Reaktion: nach dem Missbrauch kommt der Nichtgebrauch und damit fehlt uns eine wichtige Komponente in unserer Theologie. Naherwartung Christi war aber in der ersten Gemeinde kein Irrtum, sondern eine apostolische Strategie, die immer wieder aufs neue eingeleitet werden muss.
Den von Dr. Erdmann aufgezeigten Gefahren des Dominianismus, der ja in der Kirchengeschichte leicht nachweisbar ist, wie sie sicher zugeben, möchte ich im Gegensatz zu ihm durch eine saubere Eschatologie begegnen, das halte ich für wirksamer. Ich bin aber frustriert, weil kaum noch jemand sich für dieses Thema interessiert. Wenn ich auch sonst nichts von dem was Dr. Erdmann sagt stehen lassen sollte, so doch dies, dass die Evangelikalen grundsätzlich nicht davor gefeit sind, in diese Falle zu tappen, wie einst Augustinus, die Mittelalterliche Kirche, oder der münsterische Chiliasmus. In diesem Sinne darf ich Ihnen mein Buch auf meiner Website empfehlen: Die Dämonen der Moderne, die apokalyptischen Reiter der Johannesoffenbarung.
Sehr geehrter Herr Dr. Schirrmacher,
dass man unisono auf Ihrer Internetpräsenz einer Meinung ist, das hatte ich schon erwartet – ich möchte mich nicht den Claqueuren anschliessen und verweise auf Gottfried Meskemper´s Kritik zu Ihrer Kritik – um einer gewissen Ausgewogenheit Willen und der Überprüfung Ihrer Fähigkeit auch Kritik anzunehmen verweise ich auf folgenden Text: http://www.dominionismus.info/der-angedichtete-griff-zur-macht-zum-kommentar-von-thomas-schirrmacher-von-gottfried-meskemper/
Geehrter Herr Schirrmacher, angesichts den jahrelangen Beobachtungen der Discernment Research Group, namentlich sei auch hier Sarah Leslie erwähnt, komme ich zu der Auffassung, dass Sie ein relevantes Thema wegdiskutieren möchten.
Mit freundlichen Grüssen
S.Schad
P.S.: Ich sehe mit Spannung einer Veröffentlichung dieses Kommentars entgegen!
[…] einiger Zeit habe ich eine Stellungnahme zu Martin Erdmanns Buch „Der Griff zur Macht“ veröffentlicht, die auch verschiedentlich abgedruckt wurde (z. B. in Bibel und Gemeinde 112 Jg. 2012, Heft 3: S. […]
[…] und seiner Kritik “Der angedichtete Griff” zur Macht zu diesem Buch begann (siehe hier). Gottfried Meskemper veröffentlichte hierauf die überaus lesenswerte Kritik an der Kritik Dr. […]
[…] Leider verwerfen Dominionismus-Gegner wie Martin Erdmann die allgemeine Gnade in Bausch und Bogen. Sie sei „Antriebsfeder“ für das Machtstreben der Neoevangelikalen, und Hauptübeltäter ist, glaubt man ihnen, tatsächlich Abraham Kuyper als böser Ideenstifter. In „Die Neo-Kuyperianischen Sphären“ (Gemeindegründung Nr. 98, 2/09) setzt sich Erdmann interessanterweise nirgends mit Kuyper selbst auseinander, zitiert ihn nirgendwo. Am Ende heißt es, die Anwendung seiner Lehren würde zu einem „umfassenden Despotismus im Namen Christi“ führen. Offensichtlich hat der Autor keine Ahnung von der tatsächlichen Theologie des großen Niederländers. (Zu Erdmanns Buch Der Griff zur Macht s. auch Thomas Schirrmachers Kritik „Der angedichtete Griff zur Macht“.) […]
Man besuche doch einfach mal verschiedene Glaubensgemeinschaften und beobachte die Trends,
dann wird ein jeder merken , dass in vielen Fällen eine endzeitliche Abkehr vom biblischen Glauben und Evangelium stattfindet / stattgefunden hat! das in ganz verschiedenen Facetten…….Traurig. Nun GOTT hat zu allen Zeiten immer wieder neue IHM im vollen Umfang dienende Gemeinde entstehen lassen und wird das auch in unserer Zeit tun bis er wiederkommt. Andere die nicht zur Umkehr bereit sind lässt er ins Verderben oder in die Unbedeutsamkeit fahren. Die Kirchengeschichte beweist das! „Wachet und Betet“
Und was soll das zu meiner Kritik des Buches von Erdmann aussagen? Muss man nicht so oder so bei der W Wahrheit bleiben und für andere belegbar machen, was man kritisiert?