PDF-Download der 12 Thesen zu ‚Pacem in Terris‘

Internationales Expertengespräch „Maßstab Menschenrechte. Anspruch und Umsetzung in der katholischen Kirche 50 Jahre nach Enzyklika ‚Pacem in terris‘“, 23.–24.10.2013, an der Westfälische Wilhelms-Universität Münster im Rahmen des Exzellenzclusters „Religion und Politik“, Leitung: Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins, Institut für christliche Sozialwissenschaften, Münster, und Prof. Dr. Daniel Bogner, Institut de Pédagogie Religieuse, Universität Luxemburg

A. Zur externen Bedeutung

Schirrmacher im Gespräch mit Kardinal Turkson, Präsident des Päpstlichen Rates Iustitia et Pax, im Deutschen Bundestag

Schirrmacher im Gespräch mit Kardinal Turkson, Präsident des Päpstlichen Rates Iustitia et Pax, im Deutschen Bundestag

1. These: Eine zentrale Bedeutung von PiT liegt in der uneingeschränkten Anerkennung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 (vor allem PiT 143-144). Da diese Erklärung nicht juristisch verbindlich und wirksam ist, sondern durch ihren enormen moralischen Stellenwert wirkt, war es wesentlich, dass die größte Religionsgemeinschaft der Welt ihr zu einer Zeit moralische Rückendeckung gab, als sie noch nicht so unumstritten als Weltgewissen galt.

2. These: Dabei werden in PiT die Menschenrechte in einen sehr breiten Kontext gestellt und nicht nur individualistisch, sondern auch kooperativ und universal verstanden, etwa wenn die Abrüstung und die Lage der ‚Entwicklungsländer‘ ebenso zur Sprache kommen wie das Schicksal politischer Flüchtlinge. Auch wenn PiT insgesamt in Fragen der Menschenrechte teilweise noch recht zurückhaltend und sich langsam vortastend formuliert, ist sie in diesen Fragen ihrer Zeit teilweise voraus und begründet, was wir heute die Menschenrechte der zweiten und dritten Generation nennen.

3. These: Den Hauptdemokratisierungswellen von Staaten mit einer bestimmten konfessionellen Mehrheit ist in der Regel eine Befürwortung der Demokratie in der religiösen Ethik vorangegangen ist. Ist es wirklich Zufall, dass die Wende der Katholischen Kirche hin zu Religionsfreiheit, Menschenrechten, Demokratie usw. im 2. Vatikanischen Konzil der dritten weltweiten Demokratisierungswelle von 1974-1990 vorausging, die fast alle katholischen Länder in Europa und Lateinamerika erfasste? Ich will hier keine rein monokausale Abhängigkeit begründen, aber doch Diskussion und Forschung anstoßen.

4. These: Ohne PiT hätte dem Umbruch, den das 2. Vatikanische Konzil bedeutete, ein wesentlicher Baustein gefehlt. Der Einsatz für Religionsfreiheit (Dh) wäre ein auf das Religiöse beschränktes Thema geblieben – erst auf dem Hintergrund von PiT und der Anerkennung der Allgemeinen Erklärung für Menschenrechte wird die Religionsfreiheit als eines der zentralen Menschenrechte in den gesamten Menschenrechtsdiskurs eingeordnet. Denn in der Erklärung zur Religionsfreiheit (Dh) ist die Menschenrechtsargumentation nicht das tragende Element und auch sonst spielt der Menschenrechtsgedanke in den Erklärungen des 2. Vatikanischen Konzils eine marginale Rolle.

5. These: Wie im Falle der Religionsfreiheit (Dh) ist auch im Falle der Menschenrechte (PiT), der entscheidende Punkt, dass die Kirche die Menschenrechte nicht nur einfach notgedrungen anerkennt, eben als rein positives Recht, sondern sie die Menschenrechte aus dem christlichen Glauben und Menschenbild selbst heraus als unabdingbar gelehrt hat.
Auch wenn die Menschenrechte „alle Menschen guten Willens“ (PiT) – so bekanntlich erstmals in einer Anrede einer Enzyklika – verbinden und damit über die Kirche und die Christenheit hinaus weisen und auch von Nichtchristen erkannt und befolgt werden können, so sind doch zugleich die Menschenrechte auch etwas, was sich integral aus dem christlichen Glauben ergibt. Die Menschenrechte machen überhaupt nur Sinn, wenn sie sich auch aus der jeweiligen Weltanschauung der Menschen begründen lassen. Die Menschenrechte werden in PiT mit allen klassischen ethischen Begründungen der katholischen Theologie verbunden, dem Naturrecht, dem Sittengesetz, dem ewigen Gesetz, dem Gewissen, der Schrift, dem kirchlichen Lehramt.

6. These: Man darf zwischen den beiden Zugängen – weltanschaungs- und religionsübergreifend und spezifisch christlich – keinen Widerspruch sehen. Gemeinsam ergeben sie Sinn, gegeneinander gestellt gefährden sie je für sich die Anerkennung der Menschenrechte.

Exkurs: Einerseits müssen die Menschenrechte natürlich nicht nur allen Staaten, sondern auch allen Religionen und Weltanschauungen vorgeordnet sein, sonst funktionieren sie nicht. Auch die christlichen Kirchen dürfen sie nicht für sich vereinnahmen.
So sehr ich als christlicher Theologe und Religionssoziologe wiederholt eine christliche Begründung der Menschenrechte vorgelegt habe und so sehr ich davon überzeugt bin, dass geschichtlich gesehen zentrale Elemente der Menschenrechtsidee aus der jüdisch-christlichen Tradition stammen, wenn auch oft säkularisiert, ja so sehr ich das Begründungsdefizit der Menschenrechtsidee immer wieder anmahne, so sehr gilt doch auch: 1. Niemand kann daran interessiert sein, dass der andere die Menschenrechtsidee ablehnt, weil er die eigene Religion oder Weltanschauung ablehnt. 2. Pragmatismus im Sinne der Berufung auf die Menschenrechte aus einem allgemein menschlichen Gefühl und der immer stärker werdenden positiven Erfahrung mit der Menschenrechtspraxis ist nicht das Schlechteste, wenn es ein menschenwürdiges Leben ermöglicht. 3. Und schließlich: Es ist sicher besser, dass jemand die Menschenrechte begrüßt, ja einhält, und nicht genau weiß, wieso, als dass ihn seine Ablehnung einer bestimmten Begründung dazu bringt, dass er sich zu Menschenrechtsverletzungen berechtigt glaubt.
Bedeutende Menschenrechtsphilosophen halten – wie schon die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 – die Menschenrechte für „self-evident“, also offensichtlich, selbstverständlich, sich selbst erklärend. Ihre Durchsetzung verdankten sie nicht philosophischer oder religiöser Überlegungen, sondern Mitleid und Schrecken angesichts fürchterlicher Unrechtserfahrungen und dazu seien alle Menschen in der Lage. Der rationale Diskurs helfe bei der Ausgestaltung, doch die Motivation sei emotional. Angesichts von Konzentrationslagern oder Hungerepidemien reagiere fast jeder Mensch eben gleich. Die Antisklavereibewegung sei zwar von sehr religiösen Menschen ausgegangen, habe es aber geschafft, das emotionale Entsetzen vieler ohne Rücksicht auf deren Weltanschauung zu wecken – der kleine Mann empfindet mit und setzt dies gegen Staat und Wirtschaft durch. Der Philosoph Charles Taylor meint, dass sich die Idee der Menschenrechte gerade so global verbreiten konnte, weil man auf eine allen gemeinsame Begründung verzichtet habe.

B. Die interne Vollendung

7. These: Die Frage nach dem Verhältnis staatlicher Strukturen zum Verhältnis großer religiöser Organisationsstrukturen bleibt auf der Tagesordnung, auch für die Kirchen. Der französische Staatstheoretiker Montesquieu (1689-1755) vertrat 1748 in seinem Hauptwerk, dass die Monarchie eher zur katholischen Religion passe, die Republik eher zur protestantischen. Für lange Zeit schien er recht zu behalten, die zunehmende Demokratisierung katholischer Länder machte nach und nach eine Differenzierung notwendig. Heute sind bis auf Kuba alle Länder mit einer katholischen Bevölkerungsmehrheit Demokratien. Dies darf und wird nicht dauerhaft ohne Konsequenzen auch für den Vatikan und seine staatliche, aber auch seine kirchliche Struktur bleiben.

8. These: Wenn man bestimmte Menschenrechte, einschließlich der Religionsfreiheit, innerhalb einer christlichen Glaubensgemeinschaft und kirchenrechtlichen Struktur bestimmten Enschränkungen unterwerfen will, wäre zumindest eine ausführliche theologische Begründung zu erwarten. Diese fehlt in der Katholischen Kirche weitgehend.
Gerade die Katholische Kirche, die stärker als jede andere Religionsgemeinschaft umfangreiche kirchenrechtliche Bestimmungen formuliert hat und in ihrem internen Rechtssystem einem staatlichen Rechtssystem am nächsten kommt, müßte in der Lage sein, hier genaue Grenzziehungen samt Begründung vorzunehmen. Dann wüßte man auch, dass die große Masse der Menschenrechte davon nicht betroffen wären und könnte in eine Diskussion über den verbleibenden Rest eintreten. Ohne eine solche Begründung bleibt es dagegen eher Machtstrukturen überlassen, wann man sich auf die Menschenrechte beruft und wann darauf, dass das Lehramt und die Glaubenslehren Vorrang haben.

9. These: In PiT (und ebenso etwa in Dh) fehlt noch der Gedanke, dass die Kirche selbst die Menschenrechte verletzen kann, ein Gedanke, der durch die offiziellen Entschuldigungen von Papst Johannes Paul II. und Papst Benedikt XVI., etwa für den Umgang mit Indianern in Südamerika, die Kreuzzüge oder den sexuellen Mißbrauch von Kindern, längst selbstverständlich geworden ist.
Im letzteren Fall handelt es sich ja schon nicht mehr um außerkirchliche Opfer, sondern um Opfer innerhalb der Katholischen Kirche. Dieser Gedanke müßte konsequent im Umgang mit allen Mitgliedern der Kirche ausgebaut werden. Noch aber fehlt eine stringente Begründung wie die Kirche auch die Einhaltung der Menschenrechte in ihrer Mitte fördern, schützen und die Übertretung ahnden kann.

10. These: Es wäre wünschenswert, wenn der Vatikan die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und grundlegende Menschenrechtsdokumente der UN nicht nur moralisch stützen und innerhalb der UN als ‚Permanenter Beobachter‘ hochhalten würde, sondern auch im Vatikan anerkennen würde – vielleicht mit gewissen, schriftlich festgehaltenen Vorbehalten in Detailfragen, wie dies ja auch andere Staaten bei der Ratifizierung getan haben. Nach meinem Gespräch mit Papst Franziskus hege ich gewisse Hoffnungen, dass sich das bald ändern könnte.
Es war mir unangenehm, in meinem Buch „Menschenrechte“ schreiben zu müssen: „Außer Saudi-Arabien, Myanmar, Fidschi, Tonga, Brunei und dem Vatikanstaat bezeichnen sich alle anderen Länder der Erde als Demokratien mit Menschenrechtsstandards“, warum ich gleich hinzufügte: „der Vatikan ist zudem einer der Vorkämpfer der Menschenrechte.“

11. These: Es wäre erfreulich, wie die Katholische Kirche die Spaltung in Menschenrechte und Religionsfreiheit außerhalb und innerhalb der Kirche überwinden könnte, ebenso wie sie die einstige Spaltung, dass sie sich dort für Menchenrechte und Religionsfreiheit eingesetzt hat, wo sie Minderheit war, das gleiche aber nicht für andere Minderheiten gelten ließ, wo sie die Mehrheit war, lehrmäßig und weitgehend auch in der Realität überwunden hat.
In meinem Buch ‚Fundamentalismus‘ stelle ich die These auf, dass die Anerkennung von Menschenrechten und Religionsfreiheit jedweder Art von Fundamentalismus ausschließt, da ich Fundamentalismus nicht einfach als Wahrheitsanspruch definiere, sondern als einen aus einem Wahrheitsanspruch abgeleitete Berechtigung, andere Menschen zu zwingen, genauso zu denken und zu leben, durch Gewalt, durch Mißbrauch des Staates usw. Deswegen ist der konsequente Verzicht auf Zwang auch innerhalb einer Religionsgemeinschaft unabdingbar, um Fundamentalismus zu vermeiden.

C. Ökumenische Chancen

12. These: Das von der organisierten Weltchristenheit 2011 gemeinsam unterzeichnete Dokument „Christliches Zeugnis in einer multireligiösen Welt“ („Christian Witness in a Multireligious World“) ist ein Meilenstein ökumenischen Menschenrechtsverständnisses.
2011 hat der Vatikan, vertreten durch den Pontificial Council for Interreligious Dialogue, zusammen mit dem Weltkirchenrat und der Weltweiten Evangelischen Allianz, die ich vertreten durfte (also mit den zwei anderen globalen christlichen Körperschaften, deren Kirchen mit je etwas über 600 Mio. Mitgliedern zusammen soviele Mitglieder haben, wie die katholische Kirche für sich) Mission – und damit eine wirklich ureigenste christliche Tätigkeit – vollumfänglich in den Kontext des Menschenrechtsgedanken gestellt, der einerseits das Recht auf Religionsfreiheit und damit auch auf Mission stützt, andererseits aber auch die Methoden der Mission beschränkt. Mission darf nie die Menschwürde anderer beeinträchtigen!
Aufbauend auf der Erfahrung dieses Dokumentes wäre eine verstärkte ökumenische Gemeinsamkeit auf Grundlage der Menschenrechte wünschenswert, beweist das Dokument doch, dass auf der Grundlage der Menschenrechte Gemeinsames auch dort formuliert werden kann, wo dies theologisch zunächst unmöglich erscheint!

Abkürzungs- und Literaturverzeichnis:

PiT = ‚Pacem in Terris‘   /   Dh = ‚Dignitatis humanae‘

  • Francis Dubois, Josef Klee (Hg.). Pacem in Terris: Its Continuing Relevance for the Twenty-First Century. Washington: Pacem in Terris Press, 2013
  • Edwin Cook. Roman Catholic Hegemony and Religious Freedom. Leipzig: Amazon, 2012 (Dissertation)
    Christian Troll, Thomas Schirrmacher. “Der innerchristliche Ethikkodex für Mission”. Materialdienst der EZW 74 (2011) 8: 293-295 (Text S. 295-299)
  • Nelu Burcea, Thomas Schirrmacher (Hg.). Journalul Libertatii de Constiinta. Editura Universitara: Bukarest, 2013. ISBN 978-606-591-728-6
  • Thomas Schirrmacher. „Demokratie und christliche Ethik”. Aus Politik und Zeitgeschichte (Beilage zu Das Parlament) 14/2009 (30.3.2009): 21-26, http://www1.bpb.de/publikationen/N6VK9L,0,Demokratie_und_christliche_Ethik.html
  • Ders. „Mission und Religionsfreiheit – eine evangelikale Perspektive“. S. 113-133 in: Marianne Heimbach-Steins, Heiner Bielefeldt (Hg.). Religionen und Religionsfreiheit. Würzburg: Ergon Verlag, 2010
  • Ders. Buchreihe kurz+bündig: ‚Menschenrechte‘ (2012), ‚Menschenhandel‘ (20134); Fundamentalismus (2010); ‚Rassismus‘ (2011); ‚Unterdrückte Frauen‘ (2013)
 

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