Ein Interview mit Thomas Schirrmacher von Sergej Pauli
Wir sind Prof. Dr. Schirrmacher für die Beantwortung unserer Fragen dankbar. Er ist als einer bekannt, der auch bereit ist anzuecken. Mir ist er vor allem für seinen Kampf um verfolgte Christen weltweit bekannt. Seine offene Haltung zur Ökumene brachte Ihm jedoch auch viel Kritik ein. Bekannt ist er auch als Autor zahlreicher Publikationen, darunter das berühmte Standardwerk: „Ethik“.
1. Wie kamen Sie dazu Bücher zu schreiben?
Ich bin eigentlich ein Vortrags- und Vorlesungstyp. Aber ich konnte den Studenten und Zuhörern immer nur kleine Ausschnitte liefern und wollte ihnen mehr zum Weiterstudium da lassen. Also begann ich Vorlesungen zu verschriftlichen und stellte fest, dass ein gründliches Buch Leben verändern und sogar globale Diskussion in Gang bringen kann.
2. Ist aktuell ein Buchprojekt geplant?
Ja, immer. Neben einer völligen Bearbeitung meines Buches „Menschenhandel“ und der englischen Fassung von „Kaffeepausen mit dem Papst“ steht eine Geschichte des Dokumentes „Christliches Zeugnis in einer multireligösen Welt“ an.
3. Nennen Sie uns ihre 3 Lieblingsbücher (neben der Bibel)?
Johannes Calvins Institutio in allen Überarbeitungsstufen.
4. Welche Bücher würden Sie nicht noch einmal lesen?
Miroslav Wolfs Buch über den Islam, Rob Bells Buch über die Hölle und drei Romane von Johannes Mario Simmel, die wir in der Schule lesen mussten.
5. In welchem Bereich sehen Sie die größte Not in der heutigen Christenheit und wo (und/oder) wie könnte man da am besten einschreiten/helfen?
a) Im Analphabetentum der Bibel gegenüber. Wir müssten wieder von der Basis her eine ständig die Bibel lesende Bewegung sein. De facto kommen wir aber bei den Millionen Bekehrungen jedes Jahr mit der Schulung nicht mehr hinterher.
b) In der Vergesslichkeit, dass Christsein immer potentiell die Bereitschaft zum Leiden einschließt und dass für weite Teile der Christenheit das Wohlstandsevangelium absurd ist, weil die diskriminiert, verfolgt und getötet werden.
c) Während ich in dogmatischen Fragen weltweit ein Aufeinanderzubewegen in großen Teilen der Christenheit sehe, treiben gleichzeitig ethische Fragen die Kirchen weiter auseinander, trennen aber oft nicht eine Kirche von der anderen, sondern Flügel innerhalb der Kirchen. Ohne Heiligung wird aber kein Christ und keine Kirche die Herrlichkeit Gottes sehen.
6. Wie beurteilen Sie den reformatorischen Aufbruch unter vielen Christen aktuell?
Die evangelikale Bewegung hat in ihrer Geschichte allerlei mehr oder weniger gute Erweckungsbewegungen aufgenommen, die oft in lehrmäßigen Fragen recht dünn aufgestellt wurden, durch die Gemeinsamkeit mit anderen Christen aber den Grundstock der christlichen, biblischen Lehre übernahmen. Derzeit erleben wir weltweit, dass in der evangelikalen Bewegung wieder gründliche reformatorische Lehre gefragt ist. In den 1980er und 1990er Jahren war ich etwa mit meinen Auffassungen ein Außenseiter.
7. Wie wurden Sie Christ?
Zum einen haben mir zwei Diakonissen mit 6 Jahren erklärt, was Sünde ist und warum Menschen sie nicht wieder gut machen können. Darauf wollte ich, dass Jesus nicht „ein“ Herr ist, sondern „mein“ Herr. Mit 20 musste ich während des Theologiestudiums noch einmal eine Grundsatzentscheidung fällen, ob mein kindlicher Glaube angesichts der Bibelkritik Bestand haben kann. Der konnte!
8. Was bedeutet für Sie „Christ sein“?
Vor allem, dass ich selbstkritisch eingestehen kann, dass ich sündige und Fehler mache und nicht ständig anderen etwas vormachen muss, dies aber keine Entschuldigung ist, sondern durch Gottes Versöhnung und Vergebung zur Veränderung führt.
9. Worin sehen Sie Grundlagen für geistliches Wachstum?
Das ständige Gebet, dass Gottes Geist uns aufzeigt, wo wir irren, fehlen und uns selbst betrügen, damit unser von Vorurteilen geprägtes Denken durch Gottes Denken ersetzt werden kann (Römer 12,1–3).
10. Welche historischen Personen würden Sie gerne Treffen und welche Fragen würden Sie mit dieser besprechen wollen?
Kaiser Konstantin, um zu verstehen, wie sehr er wirklich persönlich Christ war und wie sehr er die Kirche nur für seine Politik benutzte.
Martin Bucer, um ihn zu fragen, wie er mit all den Angriffen und Beleidigungen von anderen Protestanten und von Katholiken umgegangen ist.
Den Jünger Thomas, um zu erfahren, wo er missioniert hat und ob er wirklich bis nach Südindien gekommen ist.
11. Ist die katholische Kirche heute nicht weiter entfernt von der Rechtgläubigkeit als zur Zeit der Reformation?
Die katholische Kirche ist in ihrer Geschichte nicht statisch, sondern macht starke Entwicklungen durch. In einigen Fragen hat sie sich viel weiter von biblischen Positionen entfernt, als noch zur Reformationszeit. Das gilt etwa für die ständige Überhöhung des Papstamtes oder den Ausbau der Mariendogmen. In anderen Fragen dagegen hat man falsche Positionen der Reformationszeit aufgegeben, etwa mit der Erlaubnis für Laien die Bibel zu lesen und der Massenverbreitung von Bibeln, oder der Religionsfreiheit, die Religionskriege früherer Zeiten unmöglich macht.
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