In meinen beiden letzten Blogs habe ich die Aussage ‚Alle Menschen sind Sünder‘ angesprochen.

Diese Aussage, dass alle Menschen ‚Sünder‘ sind, hat auch eine eminent gesellschaftspolitische und politische Bedeutung.

So bedeutet sie etwa, dass wir als Christen gesellschaftliche Probleme aller Art nicht nur als strukturelle Probleme sehen, die man mit Aufklärung, (Um-)erziehung und politischen Programmen allein bekämpfen kann.

Hinter Folter, Rassismus, Hyperkapitalismus, Unterdrückung von Frauen oder sexuellem Kindesmissbrauch – um nur einige Beispiel zu nennen – steht die Realität der Sünde, und so sehr wir die Folgen der Sünde vor Ort bekämpfen mögen, so sehr wir auch das strukturelle Böse gesamtgesellschaftlich und politisch angehen wollen, steht doch dahinter eine unheimliche Gemeinsamkeit, die – wenn in einer Form unterdrückt – an immer neuen Stellen und mit immer neuen Gesichtern an die Öffentlichkeit drängt. Zu viele Menschen nutzen die Möglichkeiten, dass es uns allen besser geht, mutwillig nicht, sondern versuchen allein für sich einen Vorteil herauszuschlagen, auch wenn sie dafür bisweilen so tun müssen, als ginge es ihnen um das Gemeinwohl (siehe Jesus in Lk 22,25: „… ihre Machthaber lassen sich dafür Wohltäter nennen“).

Die Formen des Bösen wie Neid, Gier, Hass oder Schadenfreude zeigen ihre Fratze immer wieder im Kleinen wie im Großen. Ohne einen Blick auf dies Gesamtbild wird jeder, der sich gesellschaftspolitisch einsetzt, unrealistisch in seiner Einschätzung der Möglichkeiten bleiben. Wir müssen nüchtern sehen, dass die Wurzel der großen gesellschaftlichen Übel das Böse, also die Sünde ist – die vieler Einzelner ebenso wie die gesellschaftlicher Strukturen.

Ohne Hass, Neid, Stolz und Lüge kein Rassismus. Ohne Gier, Sucht und Betrug keine Ausbeutung. Ohne Machtgelüste und Unbeherrschtheit kein Missbrauch und keine sexuelle Gewalt.

Es ist, wie Jesus es sagt: Nicht das, was von außen kommt, ist, was uns böse macht, sondern dass, was von innen kommt (Mt 15,18-20; Mk 7,18-23). (Das aus uns heraus kommende Böse wird dann natürlich für die anderen eine Bosheit, die sie von außen trifft. Auch uns trifft das aus anderen herauskommende Böse einzeln oder als strukturelle, gesellschaftlich verfestigte Sünde von außen.) Nicht erst seid Sigmund Freud wissen Menschen, welcher Abgrund sich in ihnen auftun kann.

Zu den Grundaussagen einer Politik auf der Basis eines christlichen Menschenbildes gehört nicht nur, dass alle Menschen von Gott als seine Ebenbilder geschaffen sind, sondern auch, dass jeder auf Versuchungen hereinfallen kann. Es muss immer mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass der Mensch überraschend und plötzlich aus der Höhe in die Tiefe fällt. Vorbildliche Politiker lassen sich plötzlich bestechen, friedliche Mitbürger greifen plötzlich zur Gewalt oder ‚bekehren‘ sich und werden zu religiösen Terroristen.

Christen können nie sagen: ‚Das hätte ich nie für möglich gehalten‘ oder ‚Das hätte mir nie passieren können‘. Doch, alles ist möglich, und gute Politik rechnet damit und baut vor, um das Schlimmste zu verhindern. Auch die Kirche rechnet gut neutestamentlich, dass ihre eigenen Leiter zur Gefahr werden können (z. B. Apg 20,30)! Jeder kann Macht missbrauchen, Priester die Macht über Kinder, Eltern die Macht über ihre süßen Kleinen, der Korruptionsbeauftragte über seine Mitarbeiter.

Es gibt Menschen, die radioaktives Material gegen andere einsetzen wollen. Man muss nicht warten, bis man einen konkreten Anfangsverdacht hat, oder diskutieren, ob dieser oder jener wirklich zuschlagen wird, sondern muss jetzt planen und vorbauen. Denn das Böse, das man denken und planen kann, kann man auch tun. Wohin die Fehleinschätzung führte, Hitler werde schon nicht so böse handeln, wie er sprach und schrieb, kann jeder sehen (vgl. die Einleitung meines Buches ‚Hitlers Kriegsreligion‘).

Fortsetzung folgt …

 

2 Kommentare

  1. […] Sünder sind, hat gesellschaftliche Auswirkungen. Dies beschreibt Thomas Schirrmacher in einer Artikelserie: So bedeutet sie etwa, dass wir als Christen gesellschaftliche Probleme aller Art nicht nur als […]

  2. wir Menschen – leider auch wir Christen – neigen dazu, unser eigenes Verhalten immer noch als besser anzusehen als das der anderen. Trotz Berufung auf die Bibel haben wir doch unsere eigenen Maßstäbe, nach denen wir unser Verhalten und das der anderen messen. Wir rechtfertigen unser eigenes Tun und verurteilen das der anderen. Daher stehen wir auch in der Gefahr, manches sündhafte Verhalten nicht für möglich zu halten (weil wir es nicht tun würden), aber dafür erwarten wir Barmherzigkeit gegenüber unserem sündhaften tun. Das Menschenbild der Bibel aber bringt Objektivität hinein und stellt uns alle unter das gleiche Urteil. Das erschreckt, aber befreit auch.
    Viel Blauäugigkeit und Fehleinschätzung, aber auch Enttäuschungen können uns daher erspart bleiben.

    Danke für diese Artikelserie !

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