Wenn Christen göttliche Offenbarung zum Ausgangspunkt ihres Denkens machen, bedeutet das nie und nimmer, dass sie Unsinniges glauben oder dass sich die Offenbarung grundsätzlich vernünftiger Begrün­dung oder Diskussion entzieht. Es bedeutet nur, dass Gott bzw. die Offenbarung Aussagen machen kann, die für uns in ihrer Gesamtheit nicht zu erfassen sind, so dass wir sie erst begreifen, wenn wir sie akzeptieren und im Alltag nachvollziehen.

Wählen wir ein Beispiel: Die bibli­sche Aussage, die die christliche Dogmatik übernommen hat, dass alle Menschen Sünder sind, kann man beispiels­weise nur ‚glauben‘, nicht beweisen, denn wie sollte man eine Unter­suchung an allen Menschen durchführen und wer könnte vorurteilslos jedem Menschen gerecht werden. Wer kennt schon ‚alle‘ Menschen, geschweige denn so gut, dass er ein solches Urteil über sie fällen könnte? Und wer wollte ein solches Urteil über die Men­schen anderer Kulturen, über Verstorbene oder gar über die erst in Zukunft geborenen machen und wissenschaftlich erfassen? Nur der Schöpfer hat das Wissen – und das Recht und die Gerechtigkeit –, eine solche allumfas­sende Aussage zu machen.

Heißt das aber, dass die Aussage nur auf blindem Glauben beruht und jeder Vernunft widerspricht? Nein, denn die grundsätzliche Aussage, die für uns zu umfassend ist, wird uns Tag für Tag an uns selbst, an den Menschen, die wir kennen und an der Menschheit (wie wir sie etwa durch die Medienberichterstattung kennenlernen), bestätigt und damit auch vernünftig ‚bewiesen‘. Die Bibel konkretisiert die grundsätzli­che Aussage, dass alle Menschen Sünder sind, deswegen pausenlos an konkreten Menschen, Beispielen und Sünden. Wir alle lügen konkret, hassen konkrete Menschen, lassen andere unseren Geiz spüren und leben auf Kosten anderer. Und Rassismus oder Menschen verhungern zu lassen, gibt es nur, weil konkrete Menschen daran beteiligt sind.

Da wir noch nie jemanden getrof­fen haben, von dem wir sagen könnten, dass er kein Sünder sei, erweist sich diese aufgrund der göttlichen Offenbarung getroffene Aussage im Rahmen unserer Überprüf­barkeit als richtig und vernünftig, weil mit der Wirklichkeit überein­stimmend. Kein Mensch hat jemals einen Menschen kennengelernt, der von klein auf nur selbstlos, liebevoll und edel war, nie betrogen oder gelogen hätte. Selbst Mutter Theresa soll bei aller Selbstlosigkeit im Großen im alltäglichen Umgang nicht immer einfach gewesen sein und hat auch neben ihren großen, weltbewegenden Worten auch manche merkwürdige politische Äußerung von sich gegeben.

Nun ist ja mit der Aussage, dass alle ‚Sünder‘ sind, noch nicht im Detail gesagt, was Sünde ist. Aber ganz gleich, wie auch immer man im Einzelnen Sünde, das Falsche, das Böse usw. definiert, man wird keinen Menschen finden, der davon völlig frei ist.

Wie man aber grundsätzlich davon ausgehen kann, dass die Bibel und das Christentum sich irren, wenn sie davon sprechen, dass alle Menschen zum Bösen neigen, ist mir schleierhaft. Haben Menschen, die das abstreiten, mit anderen Menschen zu tun als ich? Lesen sie andere Zeitungen als ich? Und haben sie noch nie von der philosophischen Einsicht gehört „Der Mensch ist des Menschen Wolf“?

 

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