Der von mir zusammen mit Professor Christian Troll, SJ, verfasste Artikel „Der innerchristliche Ethikkodex für Mission“ aus dem Materialdienst der EZW 74 (2011) 8: 293–295 (Text des Kodex S. 295-299) (ISSN 0721-2402) steht inzwischen im Internet unter http://www.ekd.de/ezw/Publikationen_2541.php teilweise zur Verfügung.
Freundlicherweise hat mir die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen gestattet, den Text auch direkt bei mir einzustellen, obwohl ich jedem empfehle, die Seite der EZW zu durchstöbern:
Der innerchristliche Ethikkodex für Mission
Eine Einführung
Christian Troll SJ, Thomas Schirrmacher
Materialdienst der EZW 74 (2011) 8: 293–295 (Text des Kodex S. 295–299)
Seit 2006 arbeiteten der Päpstliche Rat für den Dialog mit den Religionen und die für das Verhältnis zu den anderen Religionen zuständigen Abteilungen des Weltkirchenrates und der Weltweiten Evangelischen Allianz an einem Ethikkodex für Mission. Christian Troll SJ und Thomas Schirrmacher nahmen an der letzten Konsultation in Bangkok teil und führen in das jüngst unter dem Titel „Christian Witness in a Multi-Religious World – Recommendations for Conduct“ veröffentlichte Ergebnis ein. Der Ethikkodex ist im Internet über die Seite des Ökumenischen Rates der Kirchen (www.oikoumene. org) zugänglich. Im Anschluss an die Einführung dokumentieren wir ihn in der vom ÖRK verbreiteten Übersetzung.
Die Frage nach der Ethik der Mission stellt sich in den letzten Jahren zunehmend im innerchristlichen Diskurs[1] sowie im Verhältnis zwischen den Religionen.[2] Aber auch die Politik fragt, inwieweit das Menschenrecht der Religionsfreiheit[3], einschließlich des Rechts auf öffentliche Selbstdarstellung der Religionen und des Religionswechsels, durch andere Menschenrechte begrenzt werden darf und muss[4].
Die erste Konsultation im Jahre 2006 im italienischen Lariano war eine interreligiöse, bei der Vertreter der christlichen Konfessionen auf Angehörige verschiedener Religionen hörten. Am Ende stand ein gemeinsames Bekenntnis zur Religionsfreiheit, aber auch ein innerchristliches Arbeitsprogramm.
Bei der zweiten Konsultation im Jahre 2007 im französischen Toulouse handelte es sich um eine innerchristliche Zusammenkunft. Ziel war es, sowohl eine gemeinsame Richtung zu finden als auch einen Problem- und Fragenkatalog aufzustellen. Fragen zu Familie, Schule, Bildung, sozialer und medizinischer Versorgung, Wirtschaft, Politik, Gesetzgebung und Gewalt wurden diskutiert. Am Ende stand eine grobe Gliederung für das kommende Dokument.[5] Man begann aufzulisten, welche Mittel der Mission als unethisch zu qualifizieren und somit zu verwerfen sind. Dazu gehören etwa der Einsatz von Gewalt, Drohungen, Drogen oder Gehirnwäsche, aber ebenso auch das Verschaffen materieller Vorteile oder der Einsatz von Polizei oder Armee zur Verbreitung einer Religion. Ein solcher Ethikkodex für Mission sollte aus christlicher Sicht die Formen des Missbrauchs der Religionsfreiheit näher benennen und damit nicht zuletzt auch der Politik eine Hilfestellung bieten.
Eine kleine Gruppe von etwa neun Mitarbeitern des Heiligen Stuhls, des Weltkirchenrats und der Weltweiten Evangelischen Allianz, die sich 2006 bis 2011 regelmäßig in Genf bzw. Bossey und Rom traf, formulierte daraufhin in Stufen einen Textvorschlag, der 2010 an viele Kirchenführer, Mitgliedskirchen und Kommissionen versandt wurde. Ungezählte Vorschläge wurden ausgewertet und eingearbeitet. Dieser ganze Prozess wurde vom Päpstlichen Rat für Interreligiösen Dialog (PCID) organisiert, dessen Delegation insbesondere Erzbischöfe und andere Kirchenführer aus Asien und Afrika angehörten, sowie vom Büro für Interreligiöse Beziehungen und Dialog (IRRD) des Weltkirchenrates (WCC), dessen Delegation neben evangelischen Kirchenführern auch aus Vertretern der orientalischen und orthodoxen Kirchen und der Pfingstkirchen bestand. Für die Weltweite Evangelische Allianz waren die Kommission für Religionsfreiheit (RLC) und die Theologische Kommission aktiv. Durch die Einbeziehung zahlreicher Kirchenführer aus allen Kontinenten waren schnelle Ergebnisse nicht zu erwarten.
Zur dritten, ebenfalls innerchristlichen Konsultation trafen sich vom 25. bis 28. Januar 2011 in Bangkok Experten und hochrangige Kirchenführer ausschließlich, um intensiv am endgültigen Text zu arbeiten. Der dort erarbeitete Text wurde nur noch in kleineren Details von den jeweils höchsten Gremien der drei Körperschaften in Absprache untereinander geändert. Alle Konfessionen, die sich ohne Wenn und Aber für die Religionsfreiheit aussprechen und einsetzen, sind gleichzeitig daran interessiert, dass gerade auch innerchristlich gemeinsam über die Grenzen der Religionsfreiheit sowie über unethische Methoden der Mission gesprochen wird. Auch sind sich mittlerweile alle der Tatsache bewusst, dass es in allen Konfessionen in Bezug auf die genannten Fragen Probleme gibt und somit gerade auch diesbezüglich ein selbstkritischer innerchristlicher Dialog angesagt ist.
Christliches Zeugnis schließt grundsätzlich ein, einem den eigenen Glauben ungeheuchelt darzustellen, stets jedoch friedlich und mit tiefem Respekt vor der Würde des anderen. Menschen, die eventuell wünschen Christen zu werden, sollen dies aus Überzeugung und nicht aus Berechnung tun. Sie sollen Gelegenheit haben, ihre Entscheidung zu überdenken und sie frei and ganz und gar im Vertrauen auf Gott tun. Alle Formen der christlichen Zeugnisses und der Evangelisation, die diesen Kriterien nicht entsprechen und in der einen oder anderen Weise die Menschenwürde und die Menschenrechte verletzen, sind entschieden als der christlichen Frohbotschaft widersprechend abzulehnen.
Der vorliegende Verhaltenskodex hat keinen kirchenrechtlichen Charakter. Die Situationen in verschiedenen Ländern und Kulturen sind in der Tat so unterschiedlich, dass kurze, knappe Aussagen dem oft nicht gerecht werden können. Deswegen werden im Kodex allgemeine Prinzipien („Guidelines“) formuliert.
[Aus Platzgründen gestrichen: Der vorliegende Verhaltenskodex ist jedenfalls ein unzweideutiger Beweis dafür, dass sich die überwältigende Mehrheit der Weltchristenheit eindeutig von jeder Art der Mission distanziert, die mit psychischer, finanzieller oder physischer Macht und Gewalt Menschen zwingen oder manipulieren will. Mission ist ethisch nur im Rahmen der recht verstandenen Religionsfreiheit vertretbar. Sie basiert auf der Überzeugung, dass es wesentlich zur Würde des Menschen gehört, sich frei und konkret für den Glauben oder die Weltanschauung entscheiden zu können, die er nach reiflicher Überbelegung für wahr und ihn verpflichtend betrachtet. Täglich sehen wir im Fernsehen Menschen, die ihre Religion mit Gewalt oder unlauteren Mitteln ausbreiten oder es zumindest versuchen.]
Das Christentum hat in seiner Geschichte vielfach unlautere Mittel eingesetzt und muss vor jeglichem Rückfall in alte Fehlhaltungen und Verhaltensweisen auf der Hut sein. Wir betrachten es somit als ein äußerst begrüßenswertes and lange überfälliges Zeichen, wenn nun die Christen wie im vorliegenden Kodex gemeinsam offiziell erklären, dass sie solche Methoden als unmoralisch und unchristlich und somit dem wahren Sinn der Mission widersprechend verwerfen und das sie sich öffentlich verpflichten, die im Kodex genannten Prinzipien zu befolgen sowie ihr Tun an ihnen messen zu lassen.
Petrus fordert die Gläubigen in 1Petrus 3,15–17 auf, jedem, auch dem der uns übel will, alle Fragen zu beantworten und die eigene „Hoffnung“ klar zu verteidigen. Aber sie sollen es eben gerade „bescheiden und ehrfürchtig“ tun. Menschen, die anderen gegenüber nicht zu ihren Überzeugungen stehen, sind keine ernstzunehmenden Gesprächspartner, aber zwischen der friedlichen und respektvollen Verbreitung und dem gewaltsamen Ausbreiten der eigenen Überzeugung, die die Würde des anderen nicht respektiert, besteht ein himmelweiter Unterschied. Das christliche Zeugnis ist kein ethikfreier Raum; es braucht eine biblisch fundierte ethische Grundlage, damit wir wirklich das tun, was Christus uns aufgetragen hat.
In Indien und Malaysia haben die katholische Kirche, der nationale Kirchenrat und die nationale Evangelische Allianz bereits Dachverbände gegründet, die mit einer Stimme dem Staat gegenüber treten, gerade auch in Fragen der Mission und der gegen sie formulierten Antibekehrungsgesetze. Durch ungerechte Gesetze ausgegrenzt und diskriminiert, arbeiten die christlichen Konfessionen dort nicht gegeneinander sondern mit- und füreinander.
In den letzten Jahrzehnten sind in allen Konfessionen Entwicklungen eingetreten, die dies Zusammengehen erst möglich machen. Auf katholischer Seite beginnt dies mit der Erklärung zur Religionsfreiheit auf dem 2. Vatikanischen Konzil, die der staatlichen Gewalt einzig die Sorge um das zeitliche Gemeinwohl zuerkennt und die Idee des ‚katholischen Staates‘ ein für alle Mal als der Religionsfreiheit widersprechend ablehnt. Dazu gehört aber auch der Abbau früherer Feindbilder und Kontroversthemen zwischen Weltkirchenrat und Evangelikalen – dank einer selbstkritischer gewordenen evangelikalen Missionswissenschaft und einer Aufwertung des Missionsgedankens gegenüber politischen Themen im ökumenischen Bereich. Die Kirchen des Südens spielen dabei im Brückenbau zwischen den Lagern eine Vorreiterrolle.
Es bleibt zu hoffen, dass der vorliegende Verhaltenskodex zur Mission begleitet sein wird von regelmäßig stattfindenden Konsultationen nach dem Modell der innerchristlichen Bangkok Konsultation vom 25.–28. Januar 2011. In solchen Konsultationen sollten die christlichen Konfessionen ihr konkretes Missionsverhalten gemeinsam immer wieder selbstkritisch unter die Lupe nehmen. Auch allerseits selbstkritische, ehrliche interreligiöse Gespräche zu Fragen des aktuellen, konkreten Verhaltens der Religionsgemeinschaften zueinander, sind angesagt.
[1] Siehe Siehe Elmer Thiessen, The Ethics of Evangelism. A Philosophical Defence of Proselytizing and Persuasion, Paternoster / Exeter 2011; Papst Benedikt XVI., Lehrmäßige Note zu einigen Aspekten der Evangelisierung, Vatikanstadt 2007.
[2] Alle derzeitigen internationalen Vereinbarungen, Selbstverpflichtungen und „Codes“ vergleichen Matthew K. Richards / Are L. Svendsen / Rainer Bless, Codes of Conduct for Religious Persuasion. The Legal Practice and Best Practices, in: International Journal for Religious Freedom (Cape Town) 3 (2010) 2, 65–104.
[3] Vgl. die internationale Konsultation an der Universität Bamberg: Marianne Heimbach-Steins / Heiner Bielefeldt (Hg.), Religionen und Religionsfreiheit. Menschenrechtliche Perspektiven im Spannungsfeld von Mission und Konversion, Würzburg 2010.
[4] Siehe die 2010 in Norwegen interreligiös und in säkularem Ton verabschiedete Oslo Declaration, Missionary Activities and Human Rights: Recommended Ground Rules for Missionary Activities, www.oslocoalition.org/mhr.php (5.7.2011), dort auch deutsche Übersetzung.
[5] Das Programm umreißt der Eröffnungsvortrag der Konsultation in Toulouse: Thomas Schirrmacher, „But with gentleness and respect“. Why missions should be ruled by ethics, Kurzfassung in: Current Dialogue (World Council of Churches) 50 (Februar 2008), 55–66, lange Fassung unter www.worldevangelicals.org/news/article.htm?id=1372 (5.7.2011), deutsch: „Mit Sanftmut und Ehrerbietung“. Warum die Mission von der Ethik bestimmt sein muss, in: Klaus W. Müller (Hg.), Menschenrechte – Freiheit – Mission, edition afem – missions reports 18, Nürnberg 2010, 97–119.
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