Gedrucktes Original: „Die Ehe der Eltern“. S. 101–107 in: Cornelia Mack, Friedhilde Stricker (Hg.). Zum Leben erziehen. Hänssler: Holzgerlingen, 2002.

Die Liebesbeziehung zwischen Vater und Mutter ist für die Kindererziehung von größter Bedeutung, ja, sie sollte Vorrang vor der Beziehung zu den Kindern haben, denn:

  • Die Kinder sind nur auf Zeit bei den Eltern, die Ehe gilt dagegen lebenslänglich.
  • Die Ehe wird nicht durch Kinder definiert.
  • In ihrem Umgang miteinander prägen die Eltern die Werte und Umgangsformen ihrer Kinder.
  • Nichts hemmt die Entwicklung der Kinder mehr als eine zerbrechende Ehe.

1. Die Kinder sind nur auf Zeit bei den Eltern, die Ehe gilt lebenslänglich

Unter normalen Umständen geht die Ehe und die Beziehung der Eltern der Geburt der Kinder voraus und „überlebt“ die Kindererziehung. In früheren Jahrhunderten war das „Überleben“ der Kinder sicher nicht so selbstverständlich wie heute, da viele Mütter bei der Geburt oder früh starben. Aufgrund der niedrigen Lebenserwartung der Frauen bemühte man sich auch, die Kinder möglichst früh zu bekommen. Doch bei der heutigen Lebenserwartung in der westlichen Welt muss ein normales Ehepaar damit rechnen, dass für etwa die Hälfte der Dauer der Ehe die erwachsenen Kinder bereits das Haus verlassen haben – von der Zeit vor der Geburt des ersten Kindes gar nicht zu sprechen. Selbst bei 5 Kindern ist das Ehepaar leicht noch einmal 20 Jahre allein, bei der heute üblichen kleineren Kinderzahl können daraus sogar 40 Jahre werden!

Deswegen ist es schon für den Erhalt der Ehe wichtig, dass die Investition in die Beziehung der Eltern Vorrang vor der Kindererziehung hat. Sonst kann es geschehen – und es geschieht sehr oft –, dass die Kinder aus dem Haus gehen und die zurückbleibenden Eltern sich nichts mehr zu sagen haben, weil die Kinder zum Lebensinhalt und zum Kitt der Beziehung geworden sind.

So wichtig, so schön und so arbeitsintensiv Kindererziehung ist: Sie darf nicht der Kitt werden, der die Ehe zusammenhält. Investieren Sie also wenigstens ebenso intensiv in Ihre Beziehung zu ihrem Lebenspartner wie in ihre Beziehung zu den Kindern!

Lassen Sie Ihre Kinder wissen, dass die Beziehung zu Ihrem Ehepartner wichtiger ist. Die Kinder werden sich dadurch nicht zurückgesetzt fühlen, sondern geborgen wissen.

2. Die Ehe wird nicht durch Kinder definiert

Durch den Ehebund – ebenso wie durch die Adoption – wird Blutsverwandtschaft (alttestamentlich gesprochen: dasselbe „Fleisch“) hergestellt, wo sie vorher nicht bestanden hat. Zwei Menschen, die nicht einmal blutsverwandt sind und in ganz verschiedenen Umgebungen aufwachsen, werden durch die Ehe zu einer untrennbaren Einheit zusammengeschmiedet. Die neue Verwandtschaft übertrifft sogar die bisherigen Verwandtschaftsbande. In 1. Mose 2,24 wird die Ehe definiert, indem „ein Mann Vater und Mutter verlassen und an seiner Frau kleben“ wird und dadurch Mann und Frau „ein Fleisch“ werden. Durch die Ehe wird also die engste biologisch-blutsverwandtschaftliche Bindung, die es gibt, nämlich die der Eltern und Kinder, überboten! Es ist offensichtlich, dass „das eheliche Band als stärker dargestellt wird als das im A. T. doch so hoch gestellte sittliche Verhältnis zwischen Eltern und Kindern“1.

Nach dem Schöpfungsbericht ist die Ehe der Höhepunkt der Schöpfung. Nachdem Gott alles geschaffen hatte („Und Gott sah, dass es gut war“, 1. Mose 1,25), schuf er zuletzt Mann und Frau, die füreinander bestimmt sind (1. Mose 1,26–30), und stellte erst dann fest, dass alles „sehr gut“ (1. Mose 1,31) war. Zu diesem Zeitpunkt war zwar schon von Nachkommen die Rede, aber sie existierten noch nicht – und trotzdem war alles, auch die Ehe ohne Kinder, „sehr gut“.

Durch Jahrtausende haben Menschen das Glück der Ehe erfahren und bezeugt, so etwa ein römischer Christ des 5. Jahrhunderts in der Nähe von Bonn:

„Hier ruht Meteriola, meine teure Gattin, die mit mir viele lange, lange Jahre Mühen und Arbeit teilte, die mir 23 Jahre Gattin gewesen ist und acht Jahre und sieben Monate und 18 Tage Schwester im Herrn, unserem Gott Jesus Christus, der geruhen möge, mir meine Wege zu weisen, denen ich folgen kann.“2

Wie aber kommt eine Ehe zustande? Zunächst ist es ein großes Geheimnis, was in Mann und Frau vorgeht, die sich kennen und lieben lernen und schließlich eine Ehe schließen. Dies macht Sprüche 30,18–19 sehr schön deutlich:

„Drei sind mir zu wundersam, und vier verstehe ich nicht: des Adlers Weg am Himmel, der Schlange Weg auf dem Felsen, des Schiffes Weg mitten im Meer und des Mannes Weg beim Weibe.“

Diese ganz persönliche, gewissermaßen innerliche Seite der Ehe ändert jedoch nichts daran, dass die Eheschließung wie die Verlobung auch eine für die Öffentlichkeit fassbare juristische und gesellschaftliche Seite hat. Dietrich Schneider definiert Liebe allgemein und damit auch die eheliche Liebe wie folgt: „Unter ‚Liebe‘ versteht man die Beziehung zwischen Personen, wobei die Ebene des Gefühls (Zuneigung, Freiwilligkeit) wie die rechtliche Seite (Treue, Verbindlichkeit) gleichermaßen wichtig sind.“3 Diese Treue und Liebe kommen vor allem im Verzicht und Opfer zum Ausdruck und sind daher das Gegenteil von Egoismus und Lustprinzip. Jesus verzichtete zu unseren Gunsten, um unseren Bund mit Gott zu stiften.

All das ist zwar die beste Voraussetzung für die Kindererziehung, aber geht damit auch der Kindererziehung voraus. Der Ehebund erhält seine Bedeutung nicht von den Kindern her, sondern ist die gottgewollte, also beste Voraussetzung für Kinder und ihre Erziehung.

3. Sexualität hat ihren Wert nicht nur in der Zeugung, sondern auch in Glück und Erfüllung

Was für die Ehe allgemein gilt, gilt auch für die Sexualität in der Ehe speziell. Sie spielt zwar eine zentrale Rolle bei der wunderbaren Zeugung von Nachkommenschaft (z. B. Mal 2,14-15), die Gott der Familie schenken will, erschöpft sich aber nicht darin und ist auch Gottes Schöpfung und Wille, wenn keine Kinder gezeugt werden.

Die Sexualität dient zunächst dem Glück und der Erfüllung der Ehepartner und ihrer Liebesbeziehung. Dass die Ehe auch ohne Kinder vollgültige Ehe ist, ja die Beziehung zum Ehemann von weit größerer Bedeutung ist als die Frage nach Kinderlosigkeit oder Kindern, macht Elkana, der Ehemann der Hanna, sehr schön deutlich, denn er hatte seine kinderlose Frau sehr „lieb“ (1. Sam 1,5) und fragte sie: „Bin ich dir nicht mehr wert als zehn Söhne?“ (1. Sam 1,8).

Dass die Sexualität eine Schöpfung Gottes ist und die Ehepartner erfreuen soll, macht vor allem das Hohelied Salomos deutlich, das Kinder gar nicht erwähnt. In Hohelied 5,10-16 schildert zum Beispiel das Mädchen ihren Geliebten, der ihr eine einzige „Wonne“ ist. Auch an anderen Stellen hat Salomo die eheliche Sexualität gerühmt und besungen. So heißt es in Prediger 9,9:

„Genieße das Leben mit deiner Frau, die du lieb hast, solange du das eitle Leben hast, das dir Gott unter der Sonne gegeben hat, denn das ist dein Teil am Leben und bei deiner Mühe, mit der du dich mühst unter der Sonne.“

In Sprüche 5,15–20 wird eine solche Aufforderung noch deutlicher ausgesprochen und mit der Warnung vor außerehelicher Sexualität verbunden:

„Trinke Wasser aus deiner Zisterne und was quillt aus deinem Brunnen. Sollen deine Quellen herausfließen auf die Straße und deine Wasserbäche auf die Gassen? Habe du sie allein und kein Fremder mit dir. Dein Born sei gesegnet, und der Frau deiner Jugend. Sie ist leiblich wie eine Gazelle und holdselig wie ein Reh. Lass dich von ihrer Anmut allezeit sättigen und ergötze dich allewege an ihrer Liebe. Mein Sohn, warum willst du dich an der Fremden ergötzen und herzest eine andere?“

In all diesen Stellen ist von Kindern nirgends die Rede!

Wären Sexualität und Zeugung untrennbar miteinander verbunden, müsste die Sexualität ja spätestens aufhören, wenn ein Ehepaar genügend Kinder hat und oder erst recht, wenn die Frau zu alt ist, um schwanger zu werden oder wenn einer der beiden Partner unfruchtbar ist. Der Gedanke an eine Ehe ohne Sexualität ist aber in der Bibel undenkbar (vgl. 1. Kor 7,1–6; 1. Tim 4,1–5). Vielmehr heißt es:

„Genieße das Leben mit deiner Frau, die du lieb hast, solange du das eitle Leben hast, das dir Gott unter der Sonne gegeben hat“ (Pred 9,9).

Deswegen deutet die christliche Seelsorge eheliche Krisen im Ausleben der Sexualität immer als Kennzeichen einer grundlegenden Krise der Ehe überhaupt. In aller Deutlichkeit schreibt Paulus in 1. Korinther 7,3–4:

„Der Mann leiste der Frau, was er ihr schuldig ist, desgleichen die Frau dem Mann. Die Frau verfügt nicht über ihren Leib, sondern der Mann. Ebenso verfügt der Mann nicht über seinen Leib, sondern die Frau.“

Dieser Text macht auch unmissverständlich deutlich, dass die Sexualität nicht nur den Mann erfreuen soll, sondern dass die Bibel eine sexuelle Gleichberechtigung kennt, weil beide Ehepartner nicht sich selbst gehören, sondern dem anderen – auch und gerade auf sexuellem Gebiet.

4. Die Bedeutung der Ehe der Eltern für die Prägung der Kinder

Nichts hemmt die Entwicklung der Kinder mehr, als eine zerbrechende Ehe, denn in ihrem Umgang miteinander prägen die Eltern die Werte und Umgangsformen ihrer Kinder.

Selbst wer der Kindererziehung Vorrang vor der Ehe geben möchte, sollte um der Kindererziehung willen in die Liebesbeziehung der Eltern investieren! Denn es gibt kaum etwas, dass die Entwicklung der Kinder negativer beeinflusst als das Auseinanderbrechen einer Ehe und eine Scheidung. Deswegen muss die Investition in die Beziehung der Ehepartner Vorrang vor allem anderen haben!

Kinder lernen am konkreten Vorbild, wie man miteinander umgeht. Die zentralen Werte unseres Lebens werden in der Familie nicht vorrangig durch „Vorlesungen“, sondern durch Anschauungsunterricht vermittelt.

Nichts verwirrt Kinder aber mehr als fehlende Einigkeit und fehlende gemeinsame Werte ihrer Eltern. Das heißt nicht, dass Eltern automatisch immer einer Meinung sein müssen, sondern gerade, dass sie in vielen Gesprächen ermitteln, für welche Werte sie einstehen wollen und den besten Weg für ihre Kinder suchen.

Nehmen Sie sich als Ehepartner Zeit, ausführlich über Ihre Kindererziehung zu sprechen. Reden Sie solange miteinander, bis Sie das Empfinden haben, die Anliegen des Anderen verstanden zu haben. Das wird sowohl Ihrer Beziehung gut tun, als auch bessere Entscheidungen für Ihre Kinder hervorbringen. Diese Gespräche sind natürlich nicht nur bei der Kindererziehung wichtig, sondern für alle Lebensbereiche.

Lassen Sie sich von ihren Kindern nicht auseinanderdividieren, weder grundsätzlich, noch in Bezug auf konkrete Erziehungsentscheidungen. Eltern dürfen unterschiedlicher Meinung sein. Kinder dürfen ruhig wissen, dass die Entscheidung der Eltern das Ergebnis einer Diskussion ist – sie sollen das ja selbst auch für ihr Leben lernen –, aber am Ende muss eine klare Entscheidung für die Kinder stehen. Wenn Sie mit Entscheidungen ihres Ehepartners nicht einverstanden sind, diskutieren Sie es nicht vor ihren Kindern, sondern unter vier Augen mit ihrem Partner. Sollten Sie dann gemeinsam ihre Meinung ändern, können Sie das ja ihrem Kind mitteilen und erläutern. Aber wenn Sie ihren Ehepartner vor den Kindern kritisieren oder gar „ausschimpfen“, wissen die Kinder bald nicht mehr, wer hier eigentlich Kind und wer Elternteil ist! Im Übrigen wird es auch Ihrer Ehe guttun, wenn die Partner wissen, dass der Andere sie nicht öffentlich kritisiert, sondern erst das Gespräch sucht.

5. Der Umgang mit Sexualität wird durch Werte geprägt

Dass unser Umgang als Eltern miteinander die Werte der Kinder prägt, gilt auch und gerade für die Sexualität. Die Psychologie hat längst mit umfangreichen Statistiken belegt, wie stark sich der Umgang mit der Sexualität von Generation zu Generation vererbt. Dies gilt für positive Elemente genauso wie für negative. So haben Frauen, die häufig einen erfüllenden Orgasmus erleben meist auch Mütter, denen es ebenso erging. Und erschreckenderweise „vererbt“ sich auch sexueller Missbrauch, so dass die Opfer überdurchschnittlich häufig später selbst zu Tätern werden.

Wir haben bereits gesehen, dass Paulus in 1. Korinther 7,3–4 die Gleichberechtigung im sexuellen Umgang der Ehepartner fordert beziehungsweise als logische Konsequenz aus dem Wesen der Ehe ansieht. Diese Gleichberechtigung macht auch deutlich, dass der sexuelle Umgang miteinander maßgeblich von den Werten von Mann und Frau bestimmt wird. Nach 1. Thessalonicher 4,1–8 ist der Mann dafür verantwortlich, dass er seine Frau in einer gerade auch auf sexuellem Gebiet ehrbaren und die Würde der Frau nicht verletzenden Art und Weise gewinnt. Nach 1. Petrus 3,7 soll der Mann seine Frau besonders auf sexuellem Gebiet zuvorkommend und mit Ehrerbietung behandeln, damit Gott seine Gebete überhaupt erhört.

Dass der sexuelle Umgang miteinander von Werten bestimmt wird, führt dazu, dass damit auch maßgeblich die Werte der Kinder mitgeprägt werden, und zwar gleichgültig, wie viel sie tatsächlich davon mitbekommen. Viele Untersuchungen haben gezeigt, dass Kinder als Erwachsene so mit dem anderen Geschlecht umgehen, auch im sexuellen Bereich, wie sie es zu Hause gelernt haben, und zwar erstaunlicherweise auch und gerade dann, wenn sie von expliziten sexuellen Handlungen gar nichts mitbekommen haben.

Das alles bedeutet natürlich nicht, dass Kinder nur ein Nebenprodukt der Ehe wären. Die Aufforderung „seid fruchtbar und mehrt euch“ (1. Mose 1,28; an Adam und Eva) oder „sei fruchtbar und mehre dich“ (1. Mose 35,11; an Jakob) macht deutlich, dass die Ehe unter normalen Umständen auf Kinder angelegt ist (vgl. 2. Mose 1,7; Jes 48,18–19). Es gilt als Segen, wie Hiob „seine Kinder und seine Kindeskinder, vier Generationen“ zu sehen (vgl. Hiob 42,16). Gemeindewachstum beginnt in der Bibel immer damit, dass sich das Volk Gottes durch Vermehrung vergrößert. Gott hat die Sexualität als wunderbares Mittel zur Zeugung von Kindern geschaffen, die in gottesfürchtigen Familien Gottes Liebe und Gesetz kennenlernen. In Maleachi 2,14–15 werden Nachkommen als selbstverständliches gottgegebenes Ziel des Ehebundes beschrieben:

„Weil der Herr Zeuge war zwischen dir und der Frau deiner Jugend … Die deine Gefährtin und die Frau ist, mit der du einen Bund geschlossen hast. Nicht einer hat das getan, in dem noch ein Rest von Geist war. Denn er sucht Nachkommen, die Gott geheiligt sind.“


  1. Gustav Friedrich Oehler. Theologie des Alten Testaments. J. F. Steinkopf: Stuttgart, 18913. S. 230–231.
  2. Kurt Kleeman. Das Römische Museum Remagen. Rheinische Kunststätten 401. Neusser Verlag: Neuss, 1994. S. 21 (Inschrift auf einer der frühe­sten christlichen Grabplatten im Rheinland aus dem 5. Jh., gefunden in Rema­gen, heute im Rheini­schen Landesmuseum, Bonn); vgl. die la­teinische Fas­sung und den Kommentar in Helga Hemgesberg. „Die frühchristliche Me­teriola-Inschrift aus Remagen“. Bon­ner Jahrbücher 186 (1986): 299–313.
  3. D. Schneider. „Liebe“. S. 240–243 in: Fritz Grünzweig u. a. (Hg.). Brock­haus Wörterbuch. R. Brockhaus Verlag: Wup­pertal, 1982, hier S. 240–241.
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