Neues Buch von Ethiker Schirrmacher über Internetpornografie
Pornografie – nur ein Thema für die anderen? Jeder mit Internetzugang oder einem Fernseher sollte sich wappnen. Denn Pornografie begegnet uns überall und macht abhängig. Pornografie ist eine süße Sucht, die schon früh beginnt. Ein Ethiker setzt sich fachkundig mit dem gravierenden Thema auseinander. Er klärt auf und gibt wertvolle Hinweise, um diesen Fallstricken zu entkommen.
Wir stellen hier eine Meldung, zwei kurze Rezensionen zum Buch sowie ein Interview mit dem Autor zum Thema zur Verfügung. Die Texte können frei kombiniert oder auch nur ausschnittsweise verwendet werden.
Meldung im pro-Medienmagazin
Die Zahlen sind alarmierend: Mehr als ein Drittel aller weltweiten Internet-Downloads haben einen pornografischen Inhalt. Jede neunte Website besteht aus Pornografie. Fast jeder zehnte Mann in Deutschland gilt bereits als pornografiesüchtig, Tendenz steigend. Der Ethiker und Theologe Thomas Schirrmacher analysiert in seinem neuen Buch den Trend „Internetpornografie“.
Thomas Schirrmacher, Rektor des Martin Bucer Seminars, hat für seinen jetzt in der proWerteBibliothek erschienen Band weit über 1.000 Quellen und Studien ausgewertet. Er liefert eine Analyse mit zahlreichen Beispielen, die aufrütteln sollen, und zeigt darüber hinaus die zerstörerischen Folgen der Internetpornografie.
Lösungen aus der Sucht
In seinem Buch will Schirrmacher jedoch nicht einzig die Dramatik der allgegenwärtigen Pornografie aufzeigen, sondern auch Lösungswege darlegen. Angesichts der Ausmaße sind Lösungsansätze wichtiger denn je, da sind sich Experten einig. Pornografie im Internet ist ein grenzenloser Markt mit ständig neuem Material, bei dem durch die interaktiven Möglichkeiten des Web 2.0 die Grenzen zwischen Konsument und Produzent verschwimmen. Seit es Breitband-Internetzugänge und Flatrates gibt, sind pornografische Angebote im WWW für jeden leicht zugänglich, anonym und dabei kostengünstig.
„Wer sexsüchtig ist, kann trotz negativer Auswirkungen den Konsum von Pornografie nicht beenden. Dies hat negative Folgen für das soziale Umfeld und die Beziehungen, vor allem zur Partnerin oder Familie“, erklärte kürzlich der Psychiater Andreas Hill, Oberarzt am Institut für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie an der Universitätsklinik in Hamburg-Eppendorf, auf einer Tagung.
Und noch ein Problem kommt hinzu: Viele Kinder und Jugendliche haben sich bereits Pornografie im Internet angesehen. Sie wachsen mit Bildern auf, die noch vor einigen Jahren eben nicht zum Alltag gehörten. Laut einer skandinavischen Studie gaben 96 Prozent der 14- bis 18-Jährigen an, pornografische Inhalte im WWW angesehen zu haben. Dieser Konsum hat Auswirkungen.
Aus: Christliches Medienmagazin pro, 04.06.2008
Statement von Stephan Holthaus
In einem neuen Band der „Wertebibliothek“ des Christlichen Medienmagazins „Pro“ legt der Bonner Ethiker Thomas Schirrmacher eine faktenreiche Darstellung und Analyse der grassierenden Internetpornographie vor. Die Daten sind erschütternd: Mehr als ein Drittel aller weltweiten Internet-Downloads haben einen pornografischen Inhalt. Jede neunte Webseite enthält pornographische Inhalte. 25% aller deutschen Internetnutzer sind jeden Monaten auch auf pornographischen Seiten. Dementsprechend steigen nicht nur die Umsatzzahlen der Pornoindustrie, sondern auch die Zahlen von Pornographiesüchtigen, die im „Online-Sex“ ihre Befriedigung suchen.
Das Buch beschreibt nicht nur die Fakten, sondern informiert ausführlich über die katastrophalen Folgen von Pornographie. Schirrmacher bleibt aber dabei nicht stehen, sondern bietet auch praktische Hilfen an, was man gegen den Pornographieboom tun kann. Eine ausführliche Literaturliste mit einigen hundert Titeln enthält die Belege für die aufrüttelnden Thesen des Buches.
Eine Pflichtlektüre für alle, die Antworten suchen auf eine der größten Herausforderungen unserer Tage. Leider.
Stephan Holthaus, Institut für Ethik & Werte
Statement von Phil Poesch
Internetpornographie und was jeder darüber wissen sollte: Eine Fundgrube an Quellmaterial, Studien, Statistiken … ein Muss für jeden, der sich mit Daten, Fakten und Zahlen zum Thema Internetpornographie und Pornographiesucht auseinandersetzen möchte. Endlich ein Buch, das das Thema aus Studiensicht beleuchtet und gut aufarbeitet.
Besonders gefällt mir die Auseinandersetzung mit dem Thema Kinderschutz und Gesprächsführung
Phil Pöschl, Projektleiter LOVEISMORE
LOVEISMORE ist eine christliche Internetseite zum Thema Pornographiesucht. Neben persönlichen Zeugnissen und grundsätzlichen Informationen gibt es auch konkrete Hilfe zum Ausstieg aus der Sucht – sei es z.B. durch ein Onlineseminar, durch Kontakt zu Selbsthilfegruppen oder einfach nur praktische Tipps. Darüber hinaus gibt es Videos, Audios, eine Seite für betroffene Eltern, ein Forum, Presseinformationen und vieles mehr.
Interview mit Thomas Schirrmacher
„Der eigentliche Boom liegt noch vor uns“
Ethiker Thomas Schirrmacher über die Gefahr von Pornographie und die ausufernde Sexualisierung
pro: Herr Professor Schirrmacher, laut einem Magazinbericht verzeichnen pornographische Internetseiten mehr Zugriffe von Nutzern als Ebay, Google, Amazon und Microsoft zusammen. Wie pornographisch ist unsere Gesellschaft?
Schirrmacher: Als die Pornographie in den 70er Jahren freigegeben wurde, war eines der Hauptargumente, dass das Interesse an Pornographie schwinden werde, wenn sie legal sei und die Menschen in der Realität ihre Sexualität ausleben dürften, wie sie wollten. Stattdessen kann sich heute jeder im Internet Vergewaltigungssequenzen, Massensex und Sex mit jeder beliebigen Tierart anschauen und sich das Sexobjekt seiner Wahl nach Haarfarbe, Nationalität oder Alter zusammenstellen. Die Pornographie im engeren Sinne zusammen mit leichtbekleideter Erotik hat einen Lebensbereich und Medienbereich nach dem anderen erobert und ist heute so allgegenwärtig, dass man zwangsweise an ihr teilnehmen muss, selbst wenn man sie ablehnt. Nichts geht mehr ohne sie. Wer sich die Plakatwerbung anschaut, könnte meinen, dass Bekleidungsgeschäfte nur noch Unterwäsche und Bikinis verkaufen. Ganze Industriezweige werben fast nur mit massiver Erotik und verkaufen scheinbar die Produkte nur nebenbei. Selbst in manchen Männermagazinen ist die Werbung mittlerweile anzüglicher als die Bilder des redaktionellen Teils.
pro: Erotische Darstellungen hat es in der Geschichte in allen Kulturen gegeben, längst sind jedoch alle Grenzen gefallen, alles scheint möglich. Im Fernsehen laufen immer mehr Sexfilme und über das Internet werden auch perverseste Neigungen befriedigt. Woher kommt die enorme, beinahe grenzenlose Nachfrage nach der Darstellung von Sex?
Schirrmacher: Das hat damit zu tun, dass zum einen die sexuelle Stimulanz durch Pornographie abstumpft, so dass immer härtere Bilder und Töne her müssen und zum anderen damit, dass intensiver Pornographiegebrauch häufig zur Sucht wird – hier liegt auch die eigentliche Verdienstquelle. Wissenschaftler haben 8,5 Prozent der amerikanischen Internetbenutzer als sexsüchtig eingestuft, da sie mehr als 11 Stunden pro Woche pornographisches Material im Internet studieren und nicht in der Lage sind, länger als 24 Stunden darauf zu verzichten. Kornelius Roth, der führende deutsche Sexsuchtexperte, schätzt die Zahl der hochgradig Sex- und Pornographieabhängigen in Deutschland auf 500.000.
pro: Das alles hat Auswirkungen auf den Alltag auch von Jugendlichen. Rapper wie „Frauenarzt“ oder „Sido“ singen von brutalen Vergewaltigungen, Jugendliche filmen Vergewaltigungen und schicken sie an Freunde, andere sehen gar Gruppenvergewaltigung als Freizeitsport an. Tabus scheint es keine mehr zu geben. Wie sehr schadet die Pornographisierung der Gesellschaft?
Schirrmacher: Pornographie ist letztlich ein Angriff auf die Würde des Menschen und ebenso ein Wegbereiter für Verbrechen wie Rassenwahn. Die Geschichte hat gezeigt, dass rassistische Aufrufe zu rassistischen Handlungen führen. Zu Recht sind sie deshalb hierzulande verboten. Nazischriften führen zu Nazihandlungen, Vergewaltigungsdarstellungen und -gesänge zu Vergewaltigungen. Die Wirtschaft würde doch nicht Milliarden in erotische Werbung investieren, wenn das nicht unser Denken und Handeln beeinflussen würde! Das verbrecherische Boomen pornographischer Pädophilie ist ein gutes Beispiel dafür. Der führende amerikanische Pornographieforscher, der Psychologieprofessor Dolf Zillmann, schreibt im 2004 erschienenen deutschen „Lehrbuch der Medienpsychologie“: „Die intensive Nutzung pornographischer Medianangebote steigert die selbst zugegebene Vergewaltigungsbereitschaft von Männern. Sowohl zwangsausübende als auch nicht zwangsausübende sexuelle Darstellungen haben diese Wirkung.“ Und: „Nach der intensiven Nutzung von Pornographie hielten Männer und unerwarteterweise auch Frauen Vergewaltigung für ein weniger schweres Vergehen“.
pro: Die Meinungsmacher in Politik und Medien müssten sich ob derartiger Befunde doch im klaren darüber sein, was eine ausufernde Sexualisierung auslöst – und davor warnen, oder nicht?
Schirrmacher: Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben es hier mit massiven Tabus zu tun! Die alten Tabus beinhalteten, dass über Sex nicht geredet wurde und schon gar nicht in der Öffentlichkeit praktiziert wird. Diese Tabus sind weitgehend gefallen. Ich sitze im bürgerlichen Bonn etwa im Bus regelmäßig Schülern unter 14 Jahren gegenüber, die sich in einer extremen Weise öffentlich küssen, die Kleidung hochschieben, sich an den Geschlechtsteilen streicheln, als wären sie völlig allein. Rapper – Sie haben das angedeutet – singen von der blutigen Vergewaltigung kleiner Mädchen und im Internet ist nichts, aber auch gar nichts mehr tabu. Stattdessen ist aber ein ebenso massives Tabu an die Stelle getreten, nämlich das Verbot, über die Folgen des sexuellen Massenkonsums und des Pornographiezwangs zu berichten und zu sprechen. Sexsucht und Pornographiesucht werden tabuisiert. Man tabuisiert die Folgen, die es für die Entwicklung von Kindern hat, wenn sie im Alter von zehn bis zwölf Jahren in Filmen und Bildern gemeinsam Dinge sehen, die andere nicht einmal zu denken wagen. Man tabuisiert, dass die Botschaft der Verfügbarkeit der Frau alle Erfolge der Gleichberechtigung zunichte macht. Tabu ist auch, darüber zu sprechen, wieviele Scheidungen auf Pornographie und Sexsucht oder durch sie ausgelöste Seitensprünge zurückgehen. Massenhafte Pornographie reduziert nachweislich den Wunsch auf langfristige Beziehungen – und außerdem den Kinderwunsch. Aber es ist tabu, darüber zu sprechen, welche Rolle die sexuelle Verwahrlosung dabei spielt.
pro: Pornografie ist an erster Stelle Kommerz. Wie viel Geld wird pro Tag mit Pornographie umgesetzt?
Schirrmacher: Mit Pornographie wird nach recht zuverlässigen Schätzungen derzeit jährlich weltweit rund 43 Milliarden Euro legal umgesetzt, für den Schwarzhandel etwa mit Kinderpornographie dagegen gibt es nur Vermutungen. Daran ist das Internet erst mit fünf Prozent beteiligt, weswegen hier auch so aggressive Werbung betrieben wird und der eigentliche Boom noch vor uns liegt.
pro: Viele Menschen finden nichts dabei, sich regelmäßig Pornos anzusehen. Welche Auswirkungen kann der Konsum von Pornographie auf das Zusammenleben von Männern und Frauen haben?
Schirrmacher: Da liefert uns schon ein Blick ins Neue Testament die Antwort. Paulus schreibt in 1. Korinther 5, dass es das Geheimnis der Sexualität ist, dass die Frau nicht sich, sondern ihrem Mann gehört und der Mann nicht sich, sondern seiner Frau. Diese sexuelle Gleichberechtigung und das Denken von der Befriedigung des anderen her macht Pornographie zunichte, denn hier geht es immer um meine eigene Befriedigung, entweder weil ich sowieso allein bin, oder weil der Partner meine Vorgaben zu erfüllen hat und das immer, wenn ich es will. Das Ergebnis haben viele Studien bewiesen: Die Klagen insbesondere von Frauen, dass Männer sie zwingen wollen, Dinge genau so zu tun, wie sie im Pornofilm gezeigt werden, nehmen zu. Vergewaltigungen in der Ehe nehmen zu – obwohl inzwischen glücklicherweise strafbar.
pro: Männliche Jugendliche interessieren sich spätestens in der Pubertät für Sexualität – leider zunehmend auch für Pornographie. Ist das eine normale Erscheinung, die zum Erwachsenwerden gehört?
Schirrmacher: Das Interesse für Sexualität ist normal. Das Interesse, wie man mit weiblichen Menschen umgeht, ist normal. Der Raum zur Diskussion über alle Aspekte von Liebe, Partnerbeziehung muss gegeben sein. Unnormal ist, dass die Beziehungen zu Mädchen und Frauen auf den sexuellen Aspekt reduziert wird und über die Stimulierung sexueller Erregung alles andere, was lebenswert ist, in den Hintergrund gerät. Wer einmal zugehört hat, wenn heute Jugendliche mit Pornos auf ihren Handys über Frauen reden und womit sie prahlen, dem kann nur schlecht werden.
pro: Teenager kommen immer früher mit Pornographie in Berührung. Sind junge Erwachsene, bei denen Pornographie ein Teil der Freizeitbeschäftigung ist, überhaupt noch fähig, eine Partnerschaft mit Liebe, Zärtlichkeit und „normalem“ Sexualleben zu führen?
Schirrmacher: Die Pornographie in Zeitschriften, Internet und Film ist – das wird gerne verschwiegen – das Hauptwerkzeug der Aufklärung für Kinder geworden, die oft schon am Ende des Grundschulalters damit in Berührung kommen. Dabei wird jedoch ein schreckliches Bild von Sexualität vermittelt, das die eigene und sofortige Befriedigung zum obersten Maßstab macht, vorwiegend Frauen, auf jeden Fall den Partner, zum Erfüllungsgehilfen degradiert und über das Biologische hinaus nicht viel zu vermitteln hat.
Die Fragen stellte pro-Redakterin Ellen Nieswiodek-Martin
Aus: Christliches Medienmagazin pro, 3/2007
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